Kündigung vermeiden

Wenn Mitarbeitende vor Arbeitsantritt oder kurz danach wieder gehen, kostet das Firmen viel Geld, Energie und Reputation. Doch „Frühfluktuation“ lässt sich reduzieren.
Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 09/2025
Vor 25 Jahren hat Birgit Gehr (55) die BLUES Bay. Logistik Umwelt & Entsorgungs Systeme GmbH gegründet. Seither stellt sie Mitarbeiter ein. Das ist angesichts des Fachkräftemangels schwierig genug. Doch hinzu kommt noch ein weiteres, für Gehr schwerwiegenderes Problem: Etliche neue Mitarbeiter verlassen das Unternehmen nach kurzer Zeit. „Wir haben häufig erlebt, dass Angestellte nach 9 bis 15 Monaten wieder gegangen sind“, sagt die BLUES-Geschäftsführerin.
Frühfluktuation heißt das Phänomen, wenn Mitarbeiter nach wenigen Monaten wieder kündigen. Darunter fallen auch Personen, die den Vertrag unterzeichnet haben, aber schon vor Arbeitsantritt abspringen. Das verursacht hohe Kosten, weil die Arbeit erst einmal liegenbleibt, ein neuer Mitarbeiter gesucht, eingestellt und eingearbeitet werden muss. Hinzu kommt der Imageschaden. Doch es gibt Ansatzpunkte, um das Risiko von allzu schnellen Abgängen zu verhindern.
Kaum da, schon wieder weg
Leider findet sich zu dem Thema wenig Zahlenmaterial, sagt Tobias König, Referent Fachkräfte und Zukunft der Arbeit bei der IHK für München und Oberbayern. Eine Umfrage des Freiburger Unternehmens Haufe HR Services ergab 2023, dass 36 Prozent der befragten Arbeitgeber frühe Kündigungen zwischen der Vertragsunterschrift und dem ersten Arbeitstag verzeichnen. Allerdings geht aus der Umfrage nicht hervor, wie häufig das geschieht. Gar nicht untersucht wurde, wie viele Mitarbeitende in den ersten 12 Monaten kündigen.
Um das Ausmaß des Phänomens zu erfassen, muss man sich also auf die Erfahrungen einzelner Unternehmen stützen. Oliver Plank (53), Personalleiter der Stadtwerke München GmbH mit 11.000 Beschäftigten, nennt folgende Werte: „Die Gesamtquote der Fluktuation beträgt weniger als 4 Prozent“, sagt er, „die Quote der Frühfluktuation jedoch rund 10 Prozent.“ Das ist beträchtlich. Und jeder Mitarbeiter, der nach kurzer Zeit kündigt, ist einer zu viel.
Hohe Kosten für Betriebe
„Die freiwillige Frühfluktuation stellt für Unternehmen einen besonders schmerzhaften Verlust dar, da bereits in den Recruiting-Prozess sowie in Onboarding und Einarbeitung investiert wurde“, sagt Stefan Scheller (51), Buchautor, Speaker und Gründer des Portals persoblogger.de, das sich mit Personalthemen beschäftigt.
Noch schlimmer sei, dass „missgestimmte, unmotivierte, illoyale Mitarbeitende die größten Umsatzvernichter sind“, schreibt Expertin Anne Schüller auf persoblogger.de. Sie würden die Innovationsfähigkeit, das organische Wachstum und die betrieblichen Zukunftschancen hemmen, weil sie öfter abwesend und destruktiv sind. „Die daraus resultierenden Produktivitäts- und Ertragseinbußen sind enorm“, so Schüller.
Enttäuschte Erwartungen
Es ist also dringend geboten, Frühfluktuation zu verhindern und die neuen Mitarbeitenden im Betrieb zu halten. Dazu sollten Firmen erst einmal wissen, warum sich Beschäftigte bald nach Arbeitsantritt wieder verabschieden. „In der Regel liegt es an nicht erfüllten Erwartungen“, sagt Experte Scheller. Zum Beispiel, weil im Recruiting-Prozess gemachte Versprechen nach Ansicht des Mitarbeitenden nicht eingehalten wurden: Der Arbeitsplatz ist doch nicht so modern wie angenommen, die Arbeitsaufgaben sind nicht spannend genug oder die soziale Einbindung in die Organisation ist nicht oder nicht herzlich genug erfolgt.
BLUES-Geschäftsführerin Gehr hat außerdem vor allem bei jüngeren Leuten beobachtet, dass „ihnen die Bindung zum Arbeitgeber nicht wichtig ist. Erscheint ihnen die Arbeit nicht zu 100 Prozent sinnhaft und komfortabel, suchen sie weiter.“ Was sie ebenfalls schon erlebt hat: Eine neue Mitarbeiterin, die vorher bei einem Großunternehmen gearbeitet hatte, kündigte, weil sie sich nicht mit den mehr Flexibilität erfordernden Strukturen eines kleinen Mittelständlers anfreunden konnte. „Wir haben falsch eingestellt“, sagt die Geschäftsführerin selbstkritisch.
Bindung schaffen
Auch die in der Haufe-Studie befragten Firmen sahen zum Teil eine eigene Verantwortung. So gab gut ein Fünftel an, dass es zu schnellen Kündigungen kam, weil „es kein professionelles Onboarding gab“. Tatsächlich liegt bei Personalakquise und Onboarding, also bei der Einstellung, Einführung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter, auch der Schlüssel für eine von Beginn an gute Bindung zwischen Arbeitgeber und -nehmer.
Für die Personalakquise gilt: „Die Unternehmen sollten realistische Versprechen abgeben“, sagt Experte Scheller. „Aufgesetzte Kampagnen, an der Realität vorbei, führen schnell zu Frühfluktuation.“ Stattdessen sei Ehrlichkeit in den Stellenausschreibungen und in der weiteren Kommunikation mit den Interessenten angebracht.
Onboarding muss früh starten. Der Prozess beginnt bereits mit der Vertragsunterschrift und nicht am ersten Arbeitstag. Ziel ist es, den neuen Mitarbeiter bereits vorab ins Unternehmen zu integrieren und somit eine positive Bindung aufzubauen, dies wird Preboarding genannt.
Menschlich eng begleiten
„Sowohl Pre- als auch Onboarding-Prozesse sind wichtige Meilensteine zur Vermeidung von schnellen Wiederaustritten“, sagt Scheller. Er plädiert für eine enge menschliche Begleitung durch Paten, Kollegen, Führungskräfte und die HR-Abteilung. „Je authentischer, desto besser.“
„Wir haben das erkannt“, sagt Stadtwerke-Personalleiter Plank. „Ab dem Moment, in dem der Vertrag unterschrieben wurde, haben wir die neuen Kollegen auf dem Schirm. Da schicken Führungskräfte schon mal vor Arbeitsantritt eine Karte zum Geburtstag oder zu Weihnachten.“
Ebenso sei es nicht ungewöhnlich, dass sich Teams bereits im Vorfeld mit neuen Mitarbeitern treffen, um sich kennenzulernen. Das Unternehmen setzt auf eine Willkommenskultur: „Am ersten Tag wird der neue Kollege von der Führungskraft begrüßt, erhält sofort den Mitarbeiterausweis und die IT ist startklar.“ Das sei im Interesse von beiden Parteien, findet Plank: „Wir wollen, dass die neuen Mitarbeiter schnell arbeitsfähig werden.“
Selbst ausbilden, Werkstudenten aufbauen
BLUES-Geschäftsführerin Gehr hat einen weiteren Weg gefunden, um Mitarbeiter zu gewinnen und ans Unternehmen zu binden: Sie stellt Werkstudenten ein, betreut Bachelor- und Masterarbeiten. Der Vorteil: Die jungen Leute machen sich mit dem Betrieb vertraut, werden Teil des Unternehmens. Sie lernen Kollegen, Markt und Aufgaben kennen und sind bei sozialen Aktivitäten wie Firmenfeiern dabei.
Zudem, so Gehr, können sie sich entwickeln, immer anspruchsvollere Aufgaben übernehmen. Das schaffe Bindung. Gehr bildet außerdem aus. Der Effekt ist ähnlich. „Seit wir so vorgehen, läuft es wesentlich besser“, sagt sie. Schnelle Kündigungen gehören der Vergangenheit an.
IHK-Info: IHK-Podcast „Wirtschaft für Zukunft – Impulse, die voranbringen“
Erfahrungsberichte und Tipps für Unternehmer sowie Selbstständige, das bietet der IHK-Podcast „Wirtschaft für Zukunft“. Unter dem Motto „Fokus Fachkräfte“ liefert das Format auch Tipps und Ratschläge von Personalverantwortlichen und Führungskräften. Neben einer Folge zur Frühfluktuation gibt es unter anderem diese Themen:
- Zwischen Ambitionen, Arbeitsklima und Altersvorsorge. Wie rekrutiert man erfolgreich Young Professionals?
- Hybrides Arbeiten – wie bekomme ich meine Mitarbeiter ins Büro?
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