Ideen mit Lerneffekt

Um Azubis zu finden und zu binden, setzen Firmen auf Zusatzangebote. Diese erhöhen nicht nur die Attraktivität des Betriebs, sondern vertiefen auch die Ausbildung. Erfahrungen aus der Praxis.
Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 09/2025
Die Azubis der H-Hotels GmbH in München führen eine Woche lang gemeinsam und selbstständig das Restaurant. Sie stellen die Speisekarte zusammen, bestellen die Waren, kochen, bereiten die Tische vor, servieren, nehmen Lob von den Gästen entgegen und spendieren bei etwaigen Beschwerden auch mal einen Espresso aufs Haus.
„Es fühlt sich überaus gut an, die ganze Verantwortung zu tragen. Mir wird bewusst, was ich in den vergangenen drei Jahren alles gelernt habe“, sagt die Auszubildende Gianna Karadeniz.
Eine Woche das Restaurant führen
„Die Azubis stellen sich einer großen Herausforderung“, freut sich Judith-Barbara Hindemitt, Ausbildungsleiterin am Standort München. „Wir vertrauen ihnen, sind mit ihnen stolz, wie gut sie die Aufgaben jedes Mal meistern.“
Airbus Defence and Space GmbH in Manching lässt die Azubis abheben. Nicht nur vor Begeisterung, einen zukunftsträchtigen Ausbildungsplatz gefunden zu haben. Sie gehen im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft: in einem Motorsegelflugzeug, in dem sie selbst am Steuer sitzen. „Wir fahren jedes Jahr mit allen Azubis des ersten Lehrjahrs zu einem Team- und Kreativseminar auf die Nordseeinsel Juist. Dort können sie auch einen Flugschein machen“, erklärt Veronika Schmidmeier, die bei Airbus im Ausbildungsmarketing tätig ist.
Flugschein als Teil der Ausbildung
Selbstfindung und Selbsterfahrung, nicht Ausbildungsinhalte stehen in den zehn Tagen auf der Tagesordnung. „Erst sind die Azubis irritiert, dass so etwas Bestandteil der Ausbildung ist“, beobachtet die Personalexpertin. „Dann lassen sie sich darauf ein und wachsen über sich hinaus.“
Spaß mit pädagogischem Zweck
Florian Kaiser, Abteilungsleiter Berufliche Ausbildung bei der IHK für München und Oberbayern, ermutigt Unternehmen ausdrücklich zu solchen Angeboten. „Die Unternehmen tun gut daran, weiter an ihrer Attraktivität als Ausbildungsbetrieb zu feilen.“ Dazu gehört auch, über die Vorgaben der Ausbildungsverordnungen hinauszugehen und besondere Angebote zu platzieren. Diese seien aber nicht in erster Linie ein Spaßfaktor, sie erfüllen einen tieferen pädagogischen Zweck, so Kaiser. „Die Azubis können sich ausprobieren und sich entwickeln, zusätzliche Erfahrungen sammeln, tiefer in Inhalte einsteigen, Verantwortung übernehmen.“
Erprobte Möglichkeiten gibt es einige: „Die Filiale oder das Restaurant zu führen, gehört zu den Klassikern und wird von diversen Unternehmen bereits erfolgreich umgesetzt“, sagt Kaiser. Außerdem beliebt sind Kreativ- und Teamtage wie bei Airbus, Praktika bei Partnerunternehmen, Auslandsaufenthalte, die Umsetzung eigener Projekte oder auch zusätzliche Qualifizierungen. So lernen Azubis etwa bei der Weiterbildung zum IHK Energie-Scout, Einsparpotenziale für Energie und Rohstoffe im Unternehmen aufzuspüren und Verbesserungen zu entwickeln.
Azubi-Marketing par excellence
Für die Betriebe bringen solche Projekte einige Vorteile: „Die Angebote sind bestes Marketing. Sie helfen, Azubis auf den Betrieb aufmerksam zu machen“, sagt IHK-Experte Kaiser. Außerdem machen solche Erfahrungen die jungen Menschen stolz. Sie spüren, dass sie Teil des Ganzen sind. „Die Identifikation mit dem Betrieb wächst. Sie bleiben nach der Ausbildung.“ Auch Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit der Azubis nehmen zu, betont Kaiser: „Sie arbeiten nach solchen Erfahrungen ganz anders mit, entwickeln sich zu einer motivierten, verantwortungsvollen Fachkraft.“
Die Airbus-Auszubildenden haben auf Juist ein anspruchsvolles Programm. „Wir stellen nach dem Zufallsprinzip Kleingruppen aus allen Ausbildungsbereichen zusammen. Diese Gruppen drehen dann ein Video, schreiben und üben ein Theaterstück ein, komponieren und machen Musik oder probieren sich in bildender Kunst aus“, erklärt Schmidmeier. Dazu bekommen sie Anleitung von professionellen Coaches. Am Ende führen sie die Ergebnisse den anderen Gruppen vor.
Vertrauen und Zusammenhalt lehren
„Dabei kommen großartige Sachen heraus: beeindruckende Gemälde, selbst geschriebene Rap-Songs, Theaterstücke oder Poetry-Slams“, sagt Airbus-Expertin Schmidmeier. Zugleich lernen sie die Bedeutung von Zusammenarbeit und Zusammenhalt im Team.
Auch in der Ausbildung in Manching gibt es bei Airbus noch ein bisschen mehr, als in der Ausbildungsverordnung angelegt ist. „Wir haben zum Beispiel schon vor dem Ausbildungsbeginn einen Kennenlerntag, zu dem die Azubis die Eltern mitbringen können.“ Ganz am Anfang gibt es eine Einführungswoche, in der die Azubis auch gemeinsam Kanu fahren oder klettern gehen. „Dort geben wir einen ersten Überblick über die Inhalte und sorgen dafür, dass die Azubis sich untereinander kennen- und vertrauen lernen.“
Potenziale fürs Unternehmen freisetzen
Was das Unternehmen davon hat? „Es spricht sich herum, wir tun uns bei der Rekrutierung und Bindung leichter“, sagt Personalexpertin Schmidmeier. „Vor allem aber unterstützen wir die Azubis, im Job und darüber hinaus selbstbewusste Menschen zu werden. Denn sie lernen, sich auf Neues einzulassen, werden offener und kreativer, motivierter.“ Schmidmeier ist überzeugt: „Wir setzen damit Potenziale frei, die ins Unternehmen zurückfließen.“
Ähnlich ist es bei den H-Hotels: Das Restaurant zu führen, ist hier ein Höhepunkt, aber keineswegs der einzige. Die Ausbildung beginnt mit einem Willkommenstag und einem viertägigen Bootcamp, in dem die Azubis das Wesentliche des Hotel- und Gastronomiegeschäfts lernen: vom eigenen Auftreten bis zum richtigen Servieren. Zudem fördern vertiefende Trainings zu Einzelaspekten wie Etikette oder Marketing sowie Besuche bei anderen Hotels, bei einer Bierbrauerei oder bei einer Gin-Destillerie Kompetenz und Fachwissen.
„Selbstbewusste Gestalter ihres Lebens“
Einen Wettbewerb gibt es auch. Beim Young Star Award treten die Azubis der rund 40 H-Hotels gegeneinander an. Es geht um neue Rezepte, den leckersten Cocktail, den am schönsten gedeckten Tisch oder das perfekte Marketingkonzept. Die besten Ideen werden ausgezeichnet.
Ausbildungsleiterin Hindemitt hat den Anspruch, ihre Auszubildenden bestens auf den weiteren Berufs- und Lebensweg vorzubereiten. „Das ist mir ein persönliches Anliegen. Sie sollen selbstbewusste Gestalter ihres Lebens werden, weil sie wissen, was sie können und wozu sie fähig sind.“
Zusatzangebote machen den Unterschied
Aber natürlich profitieren auch die Hotels. „Wir sind in einer Branche, in der Jobs durchaus anstrengend sein können. Wir wollen die jungen Leute nicht nur finden, sondern sie auch behalten, sie sollen nicht abspringen.“ Dabei helfe eine Übernahmegarantie, sagt Hindemitt. „Aber mehr noch die Zusatzangebote, die Verantwortung, das Vertrauen.“
Mehr Infos rund um die berufliche Ausbildung gibt es auf der IHK-Webseite.