Die Lücke wird größer

Der bayerischen Wirtschaft könnten 2028 rund 220.000 Arbeitskräfte fehlen, das zeigt der neue IHK Arbeitsmarktradar Bayern. Die Folgen sind gravierend.
Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 05-06/2025
Wirtschaft und Exporte schwächeln, tausendfach werden Mitarbeitende entlassen. Den Arbeitskräftemangel mindert diese Entwicklung jedoch kaum. Er wächst sogar weiter. Im Jahr 2028 werden in Bayern rund 380.000 Stellen unbesetzt sein. Das sind fast 25 Prozent mehr als 2023. Stellt man den offenen Jobs die passend qualifizierten Arbeitslosen in Bayern gegenüber, ergibt sich eine Arbeitskräftelücke von 220.000 im Jahr 2028. Dies zeigt der neue IHK Arbeitsmarktradar Bayern, den das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln im Auftrag der bayerischen IHKs (BIHK) erstellt hat.
„Die aktuelle Bewegung auf dem Arbeitsmarkt ändert nichts an der grundsätzlichen Situation“, erläutert IHK-Fachkräfteexperte Sebastian John. „Der demografische Wandel, die Alterung unserer Gesellschaft, die rentennahen Babyboomer bleiben bestimmend. Die daraus resultierende Arbeitskräftelücke ist für die Unternehmen weiterhin eine der größten Herausforderungen.“ Darauf muss sich die bayerische Wirtschaft einstellen:
Keine Entwarnung
Betrachtet man einzelne Branchen, sind Unternehmensverwaltung, -führung und -beratung am stärksten betroffen. Hier fehlen im Jahr 2028 laut Arbeitsmarktradar 26.000 Arbeitskräfte. Im Gesundheitswesen und im Einzelhandel sind es jeweils 18.000.
Aufgeschlüsselt nach Qualifikationsniveau, mangelt es vor allem an Fachkräften, also Personen mit beruflicher Ausbildung. Hier fehlen 2028 bei 189.000 offenen Stellen rund 123.000 Arbeitskräfte. Bei den Spezialisten (Meister, Fachkräfte mit Weiterbildung, Bachelors) können 36.000 von 57.000 Stellen, bei den Experten (Akademiker mit Masterabschluss) 48.000 von 68.000 Stellen nicht besetzt werden. Am kleinsten fällt die Lücke bei den Helfern aus: Hier fehlen bei 65.000 offenen Stellen lediglich 16.000 Arbeitskräfte.
Größte Engpässe in Kitas, Verkauf und IT
Betrachtet man Berufe und Qualifikationsniveaus zusammen, ist 2028 der Mangel bei Fachkräften im Verkauf, Spezialisten für Kinderbetreuung und -erziehung sowie Experten in der Informatik am größten.
Wertschöpfungsverlust: 24 Milliarden Euro
Die Folgen sind erheblich. Für Bayerns Wirtschaft bedeutet der Mangel 2028 einen Wertschöpfungsverlust von rund 24 Milliarden Euro. Dabei gehen die Berechnungen noch von optimistischen Bedingungen aus. „Wir haben Angebot und Nachfrage gegenübergestellt und angenommen, dass alle passend qualifizierten Arbeitslosen auf offene Stellen vermittelt werden“, sagt Alexander Burstedde, Economist für Fachkräftesicherung, der den Arbeitsmarktradar beim IW entwickelt hat. „Dafür haben wir für 1.300 Berufe ein detailliertes Matching vorgenommen. Doch selbst unter solchen idealtypischen Bedingungen der maximalen Passgenauigkeit und Verfügbarkeit bleibt der bayerische Arbeitsmarkt angespannt. Auch dann fehlen 2028 noch 220.000 Arbeitskräfte.“
Beschäftigung wächst, Lücke bleibt
Aufschlussreich ist der Blick auf Beschäftigungsaufbau und -abbau in den einzelnen Branchen. „Dabei gleicht der Arbeitskräftezuwachs den Mangel nicht automatisch aus“, betont Burstedde. So nimmt die Beschäftigung zum Beispiel in der Softwareentwicklung oder in der Kinderbetreuung bis 2028 besonders stark zu – aber eben nicht schnell genug. „Deshalb bleibt die Arbeitskräftelücke hier trotzdem groß“, erläutert der IW-Experte.
Andere Branchen wie die Autoindustrie, der Maschinenbau oder die Banken bauen dagegen Überkapazitäten ab. „Trotzdem fehlen auch dort Fachkräfte, allerdings eher punktuell“, so Burstedde. „Der Beschäftigungsabbau im verarbeitenden Gewerbe dürfte der IT und dem wachsenden Verteidigungssektor zugutekommen.“
Frauen, Ältere, Zuwanderer
Was kann die Wirtschaft selbst tun, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen? Arbeitskräfte aus dem Ausland zu rekrutieren, bleibt weiter notwendig. Zudem sollte die Erwerbsbeteiligung von Frauen steigen und Ältere länger im Berufsleben bleiben. „Hier besteht weiteres Potenzial“, sagt Burstedde. „Für diese Gruppen müssen die Unternehmen noch attraktiver werden. Firmen sollten sie binden, stärker anwerben, das Onboarding erleichtern.“
Neue Langfristprognose bis 2038
Wie entscheidend dies ist, bestätigt die neue Langfristprognose: Wenn es gelingt, die Erwerbsbeteiligung dieser drei Zielgruppen noch weiter zu steigern und auch der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte sich wie in den letzten Jahren entwickelt, kann die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Bayern bis 2038 branchenübergreifend um sechs Prozent wachsen. Das sind etwa 350.000 Personen.
Gibt es lediglich Zuwanderung, bleibt die Beschäftigung bis 2038 immerhin konstant. Findet auch keine Zuwanderung statt, sinkt die Zahl der Beschäftigten hingegen bis 2038 um 10,5 Prozent – das sind etwa 600.000 Personen.
Länger arbeiten
Eine besondere Rolle können die Älteren spielen: Der neue Arbeitsmarktradar hat den Effekt einer längeren Lebensarbeitszeit berechnet. Dafür wurde angenommen, dass 2028 alle Erwerbspersonen ein Jahr später in Rente gehen als im Basisszenario.
Zugrunde gelegt wurde dabei das tatsächliche Renteneintrittsalter, nicht das gesetzliche. „Die Arbeitskräftelücke würde dann um rund 36 Prozent, das sind 81.000 Personen, schrumpfen, es gäbe 120.000 offene Stellen weniger“, sagt Burstedde. „Auch die sinkende Wochenarbeitszeit vergrößert die Arbeitskräftelücke. Auf ihren Ausgleich geht etwa ein Drittel des Beschäftigungsaufbaus zurück. Neben der Lebens- müssen wir bei den Lösungen daher auch die Wochenarbeitszeit in den Fokus nehmen.“
Gute Aussichten für München
Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf München und Oberbayern: Hier wird der Arbeitskräftemangel bis 2028 auf rund 56.000 Personen ansteigen. Die meisten fehlen im Verkauf, in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie in der Informatik. Zugleich kann sich die Beschäftigung bis 2028 um 7,1 Prozent erhöhen, wenn die Trends der letzten Jahre anhalten.
Jung und international
„München und Oberbayern sind grundsätzlich gut aufgestellt, der Standort ist durch hochkarätige Unternehmen, Universitäten und Netzwerke attraktiv, es wandern viele qualifizierte Arbeitskräfte aus dem In- wie Ausland zu, die Bevölkerung ist eher jünger“, betont IHK-Experte John. Zudem profitiert insbesondere München von vielen Pendlern aus dem Umland. „Unterm Strich läuft es hier demografisch besser als im bayerischen Durchschnitt.“
IHK-Info: Individuelle Filter – neues Auswertungstool je nach Branche und Region des IHK Arbeitsmarktradars Bayern
Die zentralen Ergebnisse des IHK Arbeitsmarktradars Bayern sind online abrufbar. Kernstück des Arbeitsmarktradars ist zudem ein neues Onlinetool. Hier können Unternehmen für ihre spezifische Branche, ihre benötigten Berufe und Qualifikationsniveaus sowie ihre Region die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abrufen.