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„Die Lage ist ernst wie noch nie“

Thomas L. Fischer ©
Krisenstimmung im Chemiepark Gendorf

Die drohende Schließung des Dyneon-Werks im Chemiedreieck sorgt für Schockwellen. Für den Erhalt der PFAS-Produktion kämpft der IHK-Regionalausschuss Altötting-Mühldorf

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 05-06/2023

„Der Chancenstandort“: Bis Ende Dezember 2022 galt für den Chemiepark Gendorf dieser Slogan tatsächlich. Die Chancen schienen sich sogar zu verbessern. Tilo Rosenberger-Süß, PR-Chef der Betreibergesellschaft des Chemieparks, der InfraServ GmbH & Co. Gendorf KG, gerät selbst im Rückblick noch ins Schwärmen. Die Dyneon GmbH hatte im November 2022 angekündigt, rund 200 Millionen Euro in ihr Werk in Gendorf zu investieren. Es ging um Hochtechnologie, um Weltklasseniveau, um einen technischen Quantensprung.

Weltweit einzige Anlage in Gendorf

Dyneon betreibt in Gendorf die weltweit einzige Anlage zur Wiederverwertung von Fluorpolymeren (PFAS) nach dem sogenannten Up-Cycling-Verfahren. „Das können nur wir hier am Standort“, versichert Rosenberger-Süß. Mit dem Dyneon-Investment hätte sich der finale Schritt zum geschlossenen Stoffkreislauf realisieren lassen. Das ist, wovon Techniker träumen: maximale Effizienz bei minimaler Umweltbelastung.

Überraschendes Aus für Dyneon

Der Traum ist geplatzt. Der US-Konzern 3M erklärte kurz vor Weihnachten völlig überraschend, man werde sein Tochterunternehmen Dyneon schließen und bis 2025 aus der PFAS-Produktion aussteigen. Das hat Schockwellen in Südostbayern ausgelöst. Aus dem Chancen- ist ein Krisenstandort geworden. Der IHK-Regionalausschuss Altötting-Mühldorf tagte daher Mitte März dort, wo es brennt: im Chemiepark Gendorf.

Schon zum dritten Mal in Folge beschäftigte sich der Ausschuss mit der regionalen Chemieindustrie. Nach Ansicht der Ausschussvorsitzenden und IHK-Vizepräsidentin Ingrid Obermeier-Osl ist dieses Engagement bitter nötig. Sie warnt seit Langem, in Südostbayern könnte es zu einem Ruhrpott-Syndrom kommen. Die schlechte Schienenanbindung, die fehlenden Stromleitungen, die hohen Energiepreise – in Summe könnte das die Chemieindustrie kippen lassen. „Was passiert dann mit unserer Gastronomie, dem Einzelhandel und unseren Dienstleistern?“ Das Ende Dyneons könnte im Chemiedreieck „einen Dominoeffekt“ auslösen, fürchtet sie. Auch andere Chemieunternehmen könnten das als Signal verstehen und ihre Tore schließen.

Stoff- und Produktionsverbund aus 30 Unternehmen

Wie real diese Gefahr ist, verdeutlichte eine Busrundfahrt durch den Chemiepark mit Infraserv-Sprecher Rosenberger-Süß. Er vermittelte den Teilnehmern, wie sich Krise anfühlt. „Hier im Chemiepark gab es schon viele Umbrüche. Aber eine Firmenschließung in dieser Dimension hatten wir noch nie.“ Seinen Worten zufolge bilden die 30 Unternehmen des Chemieparks einen Stoff- und Produktionsverbund. So habe sich etwa das Technologieunternehmen W. L. Gore & Associates GmbH nur deshalb dort angesiedelt, weil Nachbar Dyneon die PFAS produziert.

Das Ende Dyneons schwächt den Chemiepark zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Er steht laut Rosenberger-Süß vor der großen Aufgabe, klimaneutral zu werden. Das erfordert Investitionen in Geothermie und in ein Biomasseheizkraftwerk. Ohne Dyneon müssten die anderen Firmen mehr für die Infrastruktur bezahlen. Der Standort verteuert sich und verliert gleichzeitig an Attraktivität.

Drohendes Verbot von PFAS

Auf der Ausschusssitzung war zwar persönlich niemand vom 3M-Management anwesend, gleichwohl wurde intensiv über eine Aussage des Konzerns diskutiert. In der Pressemitteilung des US-Konzerns vom 20. Dezember 2022 heißt es, ein Grund für den PFAS-Ausstieg sei das EU-Vorhaben, diese Stoffgruppe von 2025 an zu verbieten. Seit März läuft hierzu ein sechsmonatiges Konsultationsverfahren. Mehrere Unternehmer wiesen darauf hin, dass Deutschland zu den 5 EU-Mitgliedern zählt, die von der EU-Kommission dieses Verbot gefordert haben.

Bernhard Langhammer, Sprecher der Initiative ChemDelta Bavaria, erklärte den Ausschussmitgliedern, wie komplex das Thema ist. Er räumte ein, dass PFAS umweltkritisch, potenziell krebserregend und im menschlichen Körper nachweisbar seien, auch die Leitwerte für das Trinkwasser würden teilweise überschritten. Gleichwohl hält es Langhammer für falsch, PFAS undifferenziert zu verbieten.

„Derzeit keine marktreifen Alternativen“

Er sprach von einem strategischen Dilemma. 3M könne sich den Ausstieg aus der PFAS-Produktion leisten, Deutschland nicht. Zu den Stoffen gebe es derzeit keine marktreifen Alternativen und es sei unklar, ob es die jemals geben werde. Es gehe um Basisstoffe für viele Konsumartikel. PFAS steckten auch in Zukunftstechnologien: in Windrädern, Smartphones, 5-G-Funkmasten und Elektroantrieben. „Ohne PFAS gibt es keinen Green Deal“, stellte Langhammer fest.

Auf der Suche nach einer guten Lösung

Für Ingrid Obermeier-Osl steht eines außer Debatte: „Eine Werkschließung, das darf nicht passieren.“ In den vergangenen ein bis zwei Jahren habe man auf die harte Tour gelernt, was Rohstoffabhängigkeit bedeute. Sie nannte die Vorstellung absurd, jetzt bei Fluorpolymeren auf Importe beispielsweise aus China zu bauen.

IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl nannte das typisch für das planwirtschaftliche Denken der EU-Kommission: etwas zu verbieten, ohne eine bessere Alternative zu haben. Gößl sprach von einer Verbotskultur, die es erschwere, am Standort Gendorf zu einer guten Lösung zu kommen. Selbst wenn 3M den Weiterbetrieb ermögliche, wäre es für Unternehmen ein großes Risiko, bei Dyneon einzusteigen, während die EU schon an dem PFAS-Generalverbot arbeitet.

Forderungen übermittelt

Einstimmig verabschiedete der Regionalausschuss eine Position, die sich an Staatsregierung, Bundesregierung und die Europäische Kommission richtet. Der Ausschuss fordert zwei Dinge: Die Produktion von Fluorpolymeren im Chemiepark Gendorf muss weitergehen. Und ein PFAS-Verbot darf es erst dann geben, wenn es alternative Ersatzstoffe gibt.

IHK-Hauptgeschäftsführer Gößl übermittelte diese Position bereits an die Staatsregierung. Über die IHK-Organisation sollen die beiden Forderungen auch in die bundespolitische Debatte eingespeist werden.

Druck aus Bayern

Die Staatsregierung selbst macht ebenfalls Druck. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) setzte sich in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundesminister Robert Habeck (Grüne) für den Erhalt der chemischen Industrie in Bayern ein. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte schon Anfang Februar Gespräche mit der Konzernspitze von 3M an. Aiwanger und Söder wandten sich im März mit einem Schreiben an 3M-CEO Mike Roman und machten ein Gesprächsangebot in Bayern oder in den USA. Im April flogen der Altöttinger Landrat Erwin Schneider (CSU) und der Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer (CSU) nach Washington, um sich dort mit dem oberen Management von 3M zu treffen.

Entscheidung liegt in Minnesota

Offensichtlich versuchen die Akteure in Bayern alles, um das Mindestziel zu erreichen: den Erhalt der PFAS-Produktion in Gendorf. Nun liegt der Ball bei 3M in Minnesota. Die Wirtschaft Südostbayerns muss vorerst weiter um ihre Chemieindustrie bangen.

Stichwort: PFAS

Die Abkürzung PFAS steht für per- und polyfluorierte Chemikalien. PFAS sind wasser- und fettabweisend sowie stabil und sehr langlebig. Wegen dieser Eigenschaften finden sie sich in zahlreichen Produkten, von antihaftbeschichteten Pfannen über Kosmetik bis hin zu elektronischen Geräten. Sie sind zum Beispiel für die Wasserstoffproduktion notwendig und werden bei der Herstellung von Mikroprozessoren eingesetzt. Auch viele Medizinprodukte enthalten PFAS.

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