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„Super gelaufen in Bayern“

Wolf Heider-Sawall ©
Teamwork – IHK-Bereichsleiter Martin Drognitz (l.) und Steuerberaterpräsident Hartmut Schwab

Ärger, Erfolge, Lernprozesse – Steuerberaterpräsident Hartmut Schwab und Martin Drognitz, Chef der IHK-Bewilligungsstelle, über ihre Zusammenarbeit für die Coronahilfen.
 
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 11-12/2024

Herr Schwab, Herr Drognitz, bislang galt Bayern als Vorzeigeland in Sachen Wirtschaftshilfen. 11,9 Milliarden Euro wurden ausbezahlt. Jetzt hört man Kritik. Sogar im Landtag beschäftigt man sich damit. Was läuft denn da schief?

Drognitz: Im Grunde nichts. Das habe ich vor Kurzem auch einem CSU-Arbeitskreis im Landtag erklärt. Gemessen an der Gesamtzahl der Anträge sind es nur wenige Fälle, die für Wirbel sorgen. Was viele leider nicht sehen: Die Masse der Anträge geht glatt durch. Und gerade in Bayern haben die Unternehmen schnell Geld bekommen.

Schwab: Leider gilt auch hier der Grundsatz: Nur schlechte Nachrichten verbreiten sich gut. Es gibt Probleme bei den Wirtschaftshilfen, klar, aber insgesamt muss man sagen: In Bayern ist es super gelaufen. Das ist zumindest mein Eindruck.

Hat dazu auch das Teamwork mit der IHK beigetragen?

Schwab: Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der IHK war sicher ein Glücksfall. Andere Bewilligungsstellen agierten wie eine übergeordnete Behörde. Uns verbindet viel. IHK und Steuerberaterkammer sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Wir arbeiten in Steuerfragen sehr eng mit den IHK-Experten zusammen.

Wechselnde Rechtslage

Waren die Vorgaben des Bundes nicht klar genug?

Schwab: Genau das war ein ewiges Problem. Die FAQs waren an vielen Stellen unklar, widersprüchlich, sie wurden laufend geändert. Gefühlt alle 14 Tage hatten wir eine neue Rechtslage. Deshalb war dieser Austausch mit der IHK so wichtig. Mit Herrn Drognitz hat das hervorragend geklappt. Die IHK hat sich auch für Fragen meiner Steuerberaterkollegen zur Verfügung gestellt. Kaum eine andere Bewilligungsstelle hat das gemacht.

Hätten Sie sich von Berlin mehr Transparenz gewünscht?

Schwab: Mit Sicherheit. Ein Punkt, der jetzt bei meinen Kollegen für viel Ärger sorgt: Fixkosten-Positionen, die ich nicht geltend gemacht habe, weil ich den Antrag auf Prognosebasis erstellt oder weil ich diese Positionen vergessen beziehungsweise übersehen habe, werden in der Schlussabrechnung nicht anerkannt. Das war so nicht bekannt. Dies ist dem Bundeswirtschaftsministerium erst im Nachhinein eingefallen.
Ansonsten hätte ich für alles, was denkbar ist, einen Euro angegeben. Das war einfach schlecht kommuniziert.

Drognitz: Der Bund argumentiert: Das Geld sei eine Notfallhilfe. Wenn der Posten vor 3 Jahren existenzentscheidend gewesen wäre, hätte der Steuerberater das angeben müssen. Immerhin ist jetzt die Aufstockung von Kosten möglich.

Warum beschweren sich jetzt Steuerberater über Nachfragen im Zuge der Schlussabrechnung?

Schwab: Ein Grund ist der Time Lag. Wenn du als Steuerberater die Anträge früh abgegeben hast, bekommst du erst 6 bis 9 Monate danach oder noch später die Rückfragen. Dann weißt du nicht mehr, worum es da ging. Du musst dich in jeden Fall wieder neu einarbeiten.

Vom Prüfer zum Geprüften

Sind die Nachfragen nicht sinnvoll? Es soll ja fairer zugehen als bei der Soforthilfe.

Schwab: Ja, genau deshalb sind wir als prüfende Dritte hinzugezogen worden. Wir sollten für gute Qualität der Anträge sorgen. Jetzt werden wir selbst geprüft. Da frage ich mich: Was soll das Ganze? Dann hätten unsere Mandanten ihre Anträge selbst einreichen können. Wenn ich das von Anfang an gewusst hätte, hätte ich das abgelehnt.

Drognitz: Ich kann den Frust schon verstehen. Ich rechne es den Steuerberatern hoch an, dass sie in den allermeisten Fällen die Zahlen für uns gut aufbereitet haben. Das hat die schnelle Auszahlung in einem Massenverfahren erst möglich gemacht. Ab einer bestimmten Summe müssen wir aber in der Schlussabrechnung verschiedene Themen abfragen.

Hätte man das nicht lockerer handhaben können?

Drognitz: Dafür haben wir uns von Anfang an eingesetzt. Die IHK hat dazu beigetragen, dass wir heute überhaupt ein digitales Verfahren haben. Leider hat der Bund dabei einen Kardinalfehler begangen. Man hat eine Plattform für die prüfenden Dritten und dann 21 Plattformen für die Bewilligungsstellen geschaffen. Diese Trennung hat die Kommunikation sehr erschwert.

Schwab: Man hätte das ganze System besser aufsetzen müssen. Zum Beispiel regeln, dass der Sachbearbeiter, der die Fragen rausschickt, auch wieder die Antworten zu diesem Fall bekommt. Die bekommt dann irgendein anderer, der da zufällig sitzt. Das ist an sich schon schlecht.

Massenverfahren mit 200 Mitarbeitern

Warum hat man das nicht umgesetzt?

Drognitz: Weil das in einem Massenverfahren mit 200 Mitarbeitern nicht zu steuern ist. In der Auszahlungsphase musste das Geld schnell raus, um Firmen zu retten. Wenn ich da jedem Steuerberater einen Mitarbeiter zugeordnet hätte, hätten wir zu viel Zeit und Effizienz verloren.

Die Phase ist doch abgeschlossen …

Drognitz: Deshalb haben wir das in der Schlussabrechnung umgestellt. Hier in München bekommt jetzt jeder Steuerberater den Sachbearbeiter, den er vorher hatte.

Schwab: Das finde ich sehr gut. Das wird hoffentlich viel verbessern.

Kritiker bemängeln, die IHK arbeite in der Schlussabrechnung zu bürokratisch. Wie kommt es zu diesem Vorwurf?

Drognitz: Woran jetzt Steuerberater verzweifeln, sind die strikten Prüfvorgaben. Die wollten wir verhindern. Wir haben als IHK gesagt, man sollte den prüfenden Dritten mehr vertrauen. Es reichen 25 Prüfalarme. Der Bund hat dann aber knapp 100 Prüfalarme reingesetzt. Das sind sehr umfangreiche Prüfvorgaben auch für unsere Sachbearbeiter.

Digitalisierung als Beschleuniger

Gab es auch Lob für die Arbeit als Bewilligungsstelle?

Drognitz: Ja, vor allem in der Phase, als die Unternehmen schnell Geld bekommen haben. Besonders gut lief das bei der Neustarthilfe. Da hatten wir voll automatisierte Bewilligungen, auch der Finanzamtsabgleich war implementiert. Antrag gestellt, 3 Tage später war das Geld auf dem Konto. Das war eine enorme Leistung, das kam sehr gut an.

Wie ist denn der Stand bei der Schlussabrechnung?

Drognitz: Die Einreichungsquote für die Anträge liegt jetzt bei 94,1 Prozent, das ist ein Traumwert. Der Bund hat nun eine automatisierte Anhörung verschickt, um auch noch dem Letzten die Chance zu geben, seinen Antrag einzureichen.

Schwab: 100 Prozent erreicht man nie. Unter den fehlenden gut 5 Prozent stecken eventuell Firmen, die insolvent oder abgetaucht sind.

Bayern war auch treibende Kraft für die Verlängerung der Antragsfrist für die Schlussabrechnung. Kamen die Steuerkanzleien mit der Arbeit nicht hinterher?

Schwab: Ja, ich habe den Aufwand tatsächlich unterschätzt. Ich erinnere mich gut an das Gespräch mit Peter Altmaier (damaliger Bundeswirtschaftsminister, CDU, d. Red.), der mich gebeten hat, das zu machen. Es war damals nicht absehbar, dass es bei den Coronahilfen so viele unterschiedliche Programme und Anträge geben würde. Für unsere Kanzleien bedeutete das eine immense Zusatzbelastung über Jahre hinweg. Zudem hat uns die Reform der Grundsteuer viel Arbeit gemacht. In der Coronazeit ging auch in den Behörden alles nur schleppend voran.

Drognitz: Die Unsicherheit in der Frage, bei welchen Fällen es um einen Unternehmensverbund geht, hatte auch einen Effekt. Viele haben mit ihren Anträgen gewartet in der Hoffnung, dass es Urteile gibt, die Klarheit schaffen.

Dank Bayern längere Fristen

Wie haben Sie die Fristverlängerung durchgesetzt?

Schwab: Wir haben eine bundesweite Initiative der Berufsvertretungen der prüfenden Dritten initiiert. Es gingen Schreiben an alle politischen Akteure auf Bundes- und Landesebene raus. Da haben wir ordentlich Druck gemacht. Auf mein Betreiben hin hat dann Hubert Aiwanger (Bayerischer Wirtschaftsminister, FW, d. Red.) eine Sondersitzung der Wirtschaftsminister einberufen. Da habe ich unsere Position sehr deutlich gemacht. Aiwanger hat sich da wirklich reingehängt.

Drognitz: Die Zusammenarbeit ist wirklich super gelungen. Ohne das Wirtschaftsministerium hätten wir das nicht so gut abwickeln können. Die haben in Berlin interveniert und unsere Interessen vertreten.

Der Bund hat danach angekündigt, die Schlussabrechnung zu beschleunigen und zu vereinfachen. Was wurde daraus?

Drognitz: Die erste Stufe haben wir in Bayern umgesetzt: Der Anteil der Anträge, bei denen wir rückfragen, ist deutlich gesunken. Jetzt diskutieren wir mit dem Bund über Stufe 2. Wir wollen die beschleunigte Bearbeitung auf Anträge mit größeren Summen erweitern. Das würde noch einen Push bringen.

Rückforderung im Schnitt bei 4.800 Euro

Es gibt Klagen über die Unsicherheit. Erst in eineinhalb Jahren wisse man, ob und wie viel man zurückzahlen müsse.

Drognitz: Das Bild muss man schon korrigieren. Auch dank der Steuerberater werden 19 von 20 Schlussabrechnungen so bewilligt, wie sie hereinkommen. Für die wenigsten Firmen ist das Ergebnis der Schlussabrechnung überraschend.

Falls überhaupt eine teilweise Rückforderung herauskommt, ist diese oft gering im Verhältnis zur gesamten Förderung. Die Rückzahlungsforderung liegt im Schnitt bei nur 4.785 Euro. Von den bisher über 82.000 final verbeschiedenen Schlussanträgen wurde in über 70 Prozent der Fälle die ausgezahlte Fördersumme bestätigt, oder das Unternehmen hat sogar eine Nachzahlung erhalten: Die schon ausgezahlte Summe wurde also aufgestockt.

Schwab: Wer einen Steuerberater hat, weiß in der Regel Bescheid, ob er etwas zurückzahlen muss. Manche behaupten zwar gegenüber einem Politiker in der Sprechstunde das Gegenteil, aber es ist nie so, dass ein Unternehmer ahnungslos in eine hohe Rückforderung schliddert. Und 4.785 Euro? Das ist zu schaffen.

Im jetzigen Umfeld könnten auch knapp 5.000 Euro ein Problem sein.

Drognitz: Deshalb haben wir uns beim Bund für längere Rückzahlungsfristen starkgemacht. Das Zahlungsziel beträgt jetzt ein halbes Jahr. Wem das nicht ausreicht, der kann Stundung oder Ratenzahlung beantragen. Bei Stundung bekommt er automatisch 18 Monate. Mir ist kein Fall bekannt, in dem eine Rückzahlung zur Insolvenz geführt hätte.

Bis wann ist die Schlussabrechnung abgeschlossen?

Drognitz: Das Auszahlen hat zweieinhalb Jahre gedauert. Die Idee, man könnte die Schlussabrechnung jetzt mit der gleichen Mitarbeitermannschaft in 4 Monaten schaffen, ist schon etwas weltfremd. Bis Ende 2025 wollen wir aber fertig sein.

Schwab: Bayern ist auch da sehr ambitioniert. In anderen Bundesländern ist von Ende 2027 die Rede.

Vater Staat soll es richten

Was ist Ihr Fazit nach gut 3 Jahren Wirtschaftshilfen?

Drognitz: Man darf nicht versuchen, in einem Massenverfahren Einzelfallgerechtigkeit herzustellen.

Schwab: Wir brauchen – wie bei allen Coronamaßnahmen – eine Aufarbeitung. Wir müssen uns klarmachen, welche Dinge gut und welche schlecht gelaufen sind. Dann sind wir besser vorbereitet, falls noch mal eine Pandemie ausbricht.

Es gibt Kritiker, die sagen: Die Förderprogramme hätten einen sehr negativen Effekt – man verlasse sich nur noch auf den Staat.

Schwab: Das ist leider in der ganzen Gesellschaft so. Bei jedem Problem erwartet man als Erstes Hilfe vom Staat. Da ist uns etwas abhandengekommen.

Drognitz: Das sehe ich genauso. Niemand hat in ganz Europa so viel Geld als Zuschuss zur Verfügung gestellt wie Deutschland. Und dann wegen 20.000 Euro einen Riesenaufriss zu machen für eine Dachsanierung, die mit Corona nichts zu tun hat, das geht einfach nicht.      

Zu den Personen: Hartmut Schwab und Martin Drognitz

Hartmut Schwab ist Präsident der Bundessteuerberaterkammer und der Steuerberaterkammer München. Er ist als niedergelassener Steuerberater in Augsburg tätig.
Martin Drognitz leitet bei der IHK die bayerischen Bewilligungsstelle für die Wirtschaftshilfen.

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