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„Profitabel genug“

Julian Rohn ©
„Den einen gehen wir nicht weit genug, den anderen zu weit.“ Michael Austermühle, Regional Manager Central Europe Patagonia

Der Outdoorausrüster Patagonia wirtschaftet, um den Planeten zu retten. Was das praktisch bedeutet, erklärt Michael Austermühle, Regional Manager des US-Unternehmens.
 
Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 09/2024

Herr Austermühle, dass Unternehmen sich über ihr eigentliches Geschäft hinaus zu Klimaschutz oder Weltoffenheit bekennen, ist keine Seltenheit. Patagonia geht jedoch deutlich weiter und versteht sich ausdrücklich als Umwelt- und Klimaaktivist.

Richtig. „Wir sind im Geschäft, um unseren Heimatplaneten zu retten.“ So lautet unsere Überzeugung, unser Anspruch und bereits seit 2018 auch unser Leitbild. Und diese Mission setzen wir nicht nur um, indem wir unseren unternehmenseigenen CO2-Fußabdruck reduzieren.

Wir äußern uns politisch, nehmen mit Mitarbeitenden an Klimaschutzdemonstrationen teil, investieren weltweit in Umwelt- und Klimaschutzkampagnen, unterstützen Umweltinitiativen und ihre Projekte. Aktuell helfen wir isländischen Aktivisten bei ihrem Kampf für ein Verbot von Aquakultur und wirken an einer Petition für das Verbot von Grundschleppnetzfischerei in küstennahen Gebieten mit.

Gründer versteht sich als Aktivist

Wie kam es dazu?

Unser Gründer Yvon Chouinard ist Bergsportler, Surfer, Fliegenfischer, er hat eine starke Affinität zur Natur. Er will sie erhalten, nicht durch Produktion zerstören. Yvon hat schon immer über den Tellerrand geschaut, wollte aufklären und mitreißen, versteht sich selbst mehr als Aktivist denn als Unternehmer. Protest ist ihm wichtig.

Schon in unserem ursprünglichen Leitbild verpflichtete er Patagonia nicht nur auf beste Produkte, sondern auch darauf, der Umwelt nicht unnötig zu schaden und andere Unternehmen zu inspirieren. Entsprechend unterstützen wir schon seit langer Zeit Umweltinitiativen oder gründen sie mit, wie etwa „One Percent for the Planet“.      

Gewinne fließen in Rettung des Planeten

Seit 2022 setzt Patagonia alle Gewinne, die nicht für Investitionen und Rücklagen gebraucht werden, für Artenvielfalt, Umwelt- und Klimaschutz ein. Ein radikaler Ansatz.

Ja, das war für Yvon die folgerichtige Konsequenz aus der wachsenden Umweltkrise. Zugleich gab es einen praktischen Anlass. Unser Gründer ist inzwischen Mitte 80, er wollte die Zukunft von Patagonia sichern. 2022 übertrug er das Unternehmen an die beiden eigens gegründeten gemeinnützigen Stiftungen Patagonia Purpose Trust und Holdfast Collective. In der Satzung legte Yvon fest, dass die Gewinne in die Rettung des Planeten fließen.

Wie beeinflusst ein solcher Anspruch die Art zu wirtschaften?

Er ändert nichts und doch alles. Natürlich müssen wir, um unseren Anspruch überhaupt erfüllen zu können, Geld verdienen, uns also mit Kosten, Märkten und Wettbewerbern beschäftigen. Aber wir müssen uns auch mehr als andere infrage stellen: was wir im Sinne der Umwelt besser machen, was wir lassen, wo wir mehr Verantwortung übernehmen müssen. Wir hinterlassen als produzierendes Unternehmen zunächst immer einen CO2-Fußabdruck.

Verantwortung wichtiger als Umsatz

Was heißt das konkret für das Unternehmen? Nehmen Sie zum Beispiel nicht nachhaltige Produkte aus dem Sortiment?

Genau. Wir haben vor einigen Jahren die Produktion eines Bestsellers – einer Regenjacke – eingestellt, weil sie zu schnell kaputtging und auf dem Müll landete. Inzwischen haben wir einen haltbareren, wenn auch teureren Ersatz. Wir haben auch die Kooperation mit einer Merinoschaffarm aus Tierschutzgründen auf Eis gelegt. Erst drei Jahre später, als das Tierwohl gesichert war, gab es wieder Merinoprodukte. Zudem setzen wir immer mehr auf die Reparierbarkeit unserer Produkte.

Damit büßen Sie Umsätze ein?

Bei der Regenjacke sind uns mehrere Jahre lang Umsätze verloren gegangen. Und sicherlich gewinnen wir mit unserem Aktionismus nicht nur Kunden, sondern vergraulen auch manche. Aber für unsere Mission nehmen wir das in Kauf.

Wachstum kein Muss …

Wie halten Sie es mit dem Wachstum?

Der Aktivismus und konsequentes verantwortungsvolles Handeln sind uns tatsächlich wichtiger als Wachstum. Wachstum stößt immer auch an Umweltgrenzen. Wir könnten wachsen, es gäbe im herkömmlichen Sinne genug Potenzial. Aber wir müssen es nicht. Um unseren Anspruch zu erfüllen, sind wir profitabel genug.

… Klimaziele schon

Welche Ziele strebt Patagonia betriebsintern im Sinne der Nachhaltigkeit – Sie selbst sprechen von verantwortungsvollem Handeln – aktuell an?

Den CO2-Fußabdruck reduzieren wir nach den Vorgaben der Science Based Targets Initiative SBTi. Bis 2040 wollen wir über alle Ebenen der Wertschöpfungskette das Netto-Null-Ziel erreicht haben. Ebenfalls sollen ab 2025 alle Verpackungen kompostierbar und alle Zulieferer Fairtrade-zertifiziert sein. Derzeit sind 87 Prozent zertifiziert.

Unter Beobachtung

Wie setzen Sie Ihre wirtschaftlichen Ziele auf der einen und den Umweltaktivismus auf der anderen Seite organisatorisch um?

Wir haben ein Marketing Board und ein Environmental Board als oberste Gremien. Sie sind gleichberechtigt und handeln Sortiment, Forschung und Entwicklung, Investitionen, Kampagnen, Mitarbeitendenwohl miteinander aus. Zugleich haben wir Beschäftigte, die mitziehen und Eigeninitiative entwickeln.

Stehen Sie mit solchen Ansprüchen weit mehr als andere Unternehmen unter öffentlicher Beobachtung?

Oh ja. Den einen gehen wir nicht weit genug, den anderen zu weit. Wir erfahren einerseits immer wieder Kritik, gewinnen andererseits aber auch an Wertschätzung.

Missstände abschaffen

Die Welt retten geht gemeinsam besser. Sie erwähnten die Kooperation mit Umweltinitiativen.

Wir arbeiten sehr eng mit NGOs zusammen. Sie können sich um finanzielle Unterstützung bei uns bewerben. Wir haben in den vergangenen 15 Monaten in Deutschland und Österreich 57 Gruppen gefördert – vom Wildwasserfluss Vjosa in Albanien bis zur Bürgerenergie im Schwarzwald. Aber auch wenn einer NGO Ungereimtheiten auffallen, prüfen wir das und gehen es an. Etwa wenn Näherinnen und Näher bei einem Zulieferer nicht nach Fairtrade-Löhnen bezahlt werden.

Wettbewerber ins Boot holen

Wir sprechen zudem andere Unternehmen an, sich uns etwa im Bereich von Fairtrade anzuschließen. Oder Ideen von uns zu übernehmen. So haben wir zusammen mit unserem Partner Yulex einen neuen Surf-Wetsuit entwickelt, der mit Naturkautschuk, also nicht auf Ölbasis, hergestellt wird. Darauf haben wir extra kein Patent angemeldet, damit jeder die Formel nutzen, seine Produktion umstellen, sogar bei uns mitproduzieren kann. Das haben einige Wettbewerber auch gemacht. So können wir die Branche durch unsere Initiativen beeinflussen – zusammen mit anderen umso mehr.

„Für uns ist der Weg richtig“

Sollten andere Unternehmen Ihrem Beispiel folgen?

Sicherlich lässt sich unser Ansatz nicht auf jedes Unternehmen übertragen. Wir können aber aus unserer Erfahrung sagen, dass unkonventionelle Ansätze den Erfolg eines Unternehmens nicht unbedingt schmälern. Firmen können sich trauen, politisch zu sein. Wir haben uns für diesen Weg entschieden. Für uns ist er richtig – und für die Umwelt richtig gut.    

Zur Person: Michael Austermühle

Michael Austermühle studierte an der Universität Bayreuth Sportökonomie. Seit Juni 2015 ist er Regional Manager Central Europe beim US-Outdoorausrüster Patagonia. Er verantwortet in dieser Funktion das Wholesale-Geschäft der Region und treibt die Handels- und E-Commerce-Strategie des Unternehmens voran.

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