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Das Musikhaus Kirstein bringt online und offline zusammen

Gitarren, Verstärker, Effektgeräte – im Laden können Kunden alle Produkte ausprobieren und sich beraten lassen

Klaus Mergel, Ausgabe 03/2020

Das Musikhaus Kirstein.de mischt im Onlinegeschäft gewaltig mit. Gleichzeitig setzt es auf gute Beratung im Stationärgeschäft –auch wenn das wenig Umsatz bringt. Warum Multichanneling im Einzelhandel große Zukunft hat.

Licht aus, Spot an. Über ein Dutzend Gitarrenfans sind zur »Taylor Guitars Roadshow« gekommen, um die Experten des Herstellers zu erleben: Simon und Stefan. Nette Jungs, die gute Sprüche und am Instrument was draufhaben. »Unsere US-Kollegen können richtig Gitarre spielen, wir tun nur so«, witzelt Stefan auf der Minibühne. Simon führt das »X-Bracing«, eine neue Bauweise, am Instrument vor: »Hört ihr den Unterschied?« Alles nickt. Klar. Jeder Gitarrist will gute Ohren haben. Die Gratisveranstaltung ist eine von vielen, mit denen die Musikhaus Kirstein GmbH in Schongau Kunden anzieht: Konzerte, Kurse, Workshops. Nach Feierabend Wissen erwerben, Instrumente testen und Gleichgesinnte treffen – Bierchen gibt’s gratis. Das schafft Beziehung und Emotion: etwas, das Onlinehandel nicht bieten kann. Kirstein handelt stationär und online zugleich – und das erfolgreich. Über dem Eingang im Schongauer Gewerbegebiet verkündet das Schild: »Kirstein.de«. 1987 von Klaus Kirstein gegründet, erwirtschaftet das Unternehmen heute einen Jahresumsatz von 30 Millionen Euro. Damit ist es unter den deutschen Musikhäusern auf Platz drei. »Zweigleisigkeit ist die Zukunft«, sagt Carla Kirmis, IHK-Fachreferentin für Handel und E-Commerce. Das Zauberwort heißt Multichanneling. »Der Kunde unterscheidet nicht mehr zwischen online und offline.« Gerade Musikinstrumente hätten eine besondere Haptik, die wolle man anfassen. »Solche Events stationär anzubieten, rentiert sich. Das erzeugt Nähe.« 2005, als viele Deutsche auf eBay nach einem Schnäppchen fieberten, starteten die Schongauer den Verkauf im Netz gleich im eigenen Shop. Roman Thomas, Kirstein-Mitgeschäftsführer, war ein Jahr zuvor eingestiegen. »Ich fand Onlinehandel zuerst mal einen Riesenspaß«, erinnert sich der 34-Jährige. Es habe viele Zweifler gegeben, »ob die Leute Gitarren übers Netz kaufen würden«. Partner Klaus Kirstein (58) habe »gleich vermutet, dass da große Chancen drinstecken«. Heute verschicken sie sogar Klaviere. Kirstein zeigte Mut, investierte Geld in die Verkaufsplattform und in Marketing. Im selben Jahr kam die erste Eigenmarke »Classic Cantabile« auf dem Markt. Die Eigenmarken sind heute ein wichtiges Standbein und werden auch über Discounter vertrieben. Der Onlinehandel bedeutet ein 24-Stunden-Angebot und eine Reichweite, die – wenn man will – den Globus umfasst. Der Schritt ins Netz neben dem Stationärgeschäft bietet sich an – ist jedoch nicht für jeden geeignet. »Das wird oft unterschätzt, was Arbeit und finanziellen Aufwand betrifft«, sagt IHK-Expertin Kirmis: Anfragen sind zeitnah zu beantworten, Bestellungen rasch zu verschicken. Ein Shop muss gepflegt werden. Auch ein Warenwirtschaftssystem ist von Vorteil: »Kunden nehmen es krumm, wenn man etwas nicht liefern kann«, sagt Kirmis. »Ein Einmannbetrieb kommt da schnell an seine Grenzen.« Logistik ist bei Kirstein ein Riesenthema: 17000 Quadratmeter Lagerfläche, 70 Mitarbeiter kümmern sich nur um den Versand. Derzeit sucht das Unternehmen nach einer Gewerbefläche für ein neues Logistikzentrum, da der Umsatz ständig steigt. Die Produktpalette ist inzwischen auf etwa 16000 angewachsen. Doch bei allem Erfolg im Netz verkauft und berät Kirstein weiter vor Ort. Auf 1600 Quadratmetern sind Instrumente, vom Flügel bis zur Tuba, ausgestellt. Alles kann der Kunde testen. 30 Mitarbeiter mit hoher Musikkompetenz – darunter Instrumentenbauer – stehen bereit. Das klingt nach viel Aufwand dafür, dass der Umsatz über die Ladentheke nur 20 Prozent ausmacht.

Online schauen, offline kaufen

Geschäftsführer Thomas erklärt: »Wir haben viele Synergieeffekte. Von online zu offline – und umgekehrt.« Sprich: Kunden, die online kaufen, suchen gerne die Atmosphäre im Geschäft. Gleichzeitig sei der »Beratungsdiebstahl« im Laden zurückgegangen. Im Gegenteil: »Viele machen sich heute online schlau, und kaufen im Laden«, sagt Kirstein. Ein Eindruck, den IHK-Expertin Kirmis bestätigt: »Der Ropo-Effekt nimmt zu.« Ropo bedeutet: Research online, purchase offline. Während mancherorts Verkäufer mangels Kundenverkehr viel Leerlauf haben, gehört bei Kirstein der Onlinejob für das Personal dazu – schlichtweg aus ökonomischen Gründen. Zwischen Instrumenten stehen etliche Computerdesks. Es gilt, Mails zu beantworten und telefonisch zu beraten. »Am Vormittag, wenn wenig los ist, bearbeitet unser Team Anfragen. Nachmittags betreut es eher Ladenkunden«, sagt Kirstein. Das sei zwar eine Zusatzbelastung und erfordere viel Selbstorganisation. »Aber es ist weitaus befriedigender, als herumzustehen.« Die Geschäftsführer haben ihre Zuständigkeiten klar aufgeteilt: Kirstein betreut die Produkte, den Einkauf und das Stationärgeschäft. Er ist viel unterwegs, etwa bei Produzenten in Asien. Thomas dagegen kümmert sich um Logistik, Marketing, Verkauf und alles Digitale. Das verteilt die Doppelbelastung auf mehrere Schultern. Und es schafft Raum für Entwicklung. So entwickelte Thomas selbst ein Softwaretool, das Preise im Netz eigenständig beobachtet. Denn: Stets der Günstigste im Netz zu sein, ist ein Erfolgsfaktor – allerdings kein unproblematischer. Die Preisspirale nach unten brachte in den vergangenen Jahren viele Händler zum Aufgeben. Ein Mindestpreis vom Hersteller wie in den USA – der Minimum Advertised Price (MAP) – ist in Deutschland nicht zulässig. Bei Kirstein beschloss man nach schlechten Erfahrungen: Bei der Nullmarge ist Schluss. Zusätzlich bietet Kirstein eine überdurchschnittlich lange Geld-zurück-Garantie von 60 Tagen. Fünf bis acht Prozent der Onlinekunden schicken Waren zurück, bei Offlinekäufen kaum jemand. Ansonsten gilt: Service, Service, Service. »Das müssen wir stemmen, immer besser sein«, sagt Kirstein. Auch IHK-Expertin Kirmis konstatiert: »Die Messlatte liegt hoch, der Wettbewerb hat sich verschärft. Man muss sich, so weit es geht, abheben vom Markt.« Zumindest der Taylor-Workshop hat sich schon mal gelohnt: Ein Besucher nützt den Rabatt beim Event und kauft gleich im Laden eine Gitarre für 800 Euro. Einen anderen trifft Kirstein wenige Tage später im Laden. Der, so der Händler, habe am selben Abend ein Instrument gekauft – online. »Jetzt kam er zu uns, um es umzutauschen. In ein höherwertiges Modell.«
 

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