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Die Chancen erkennen

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In der Krise gesucht – Perspektiven für junge Unternehmen

Die Pandemie trifft viele junge Firmen gerade in der kritischen Anfangsphase. Wie der Geschäftsaufbau auch in der Krise gelingt.

Monika Hofmann, Ausgabe 02/21

In der Wirtschaft herrscht momentan ein raues Klima, viele Branchen leiden unter den Folgen der Pandemie. Trotzdem geben gerade jetzt viele junge Unternehmen kräftig Gas und wachsen in großen Schritten weiter. Nach der anfänglichen Stille des ersten Lockdowns beobachtet Robert Oettl (50), Geschäftsführer der TÜV SÜD Advimo GmbH in München, wieder eine starke Bewegung in der Start-up-Szene.

Bayerns Startups: viermal so viel Kapital

Als Privatmann hält er drei Beteiligungen an jungen Firmen in der Frühphase, die er als Business Angel mit seinem Rat unterstützt. Oettl: »Im ersten Lockdown waren sowohl die Gründer als auch die Investoren wie gelähmt. Doch seit Mitte des Jahres geht es mit einer Mischung aus Fatalismus, Innovationswillen, Jetzt-erst-recht-Stimmung und staatlicher Unterstützung wie dem Programm Startup Shield Bayern wieder zügig voran.«

Zwar floss im ersten Halbjahr 2020 deutlich weniger Geld an deutsche Start-ups als im gleichen Zeitraum davor, ergab eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Jedoch scheinen die bayerischen Start-ups sich von dieser Entwicklung abzukoppeln. Sie erhielten nahezu viermal so viel Kapital wie zuvor.

Den Standort nutzen

»Unsere Münchner Start-ups sammeln fast ungebremst Geld ein, während der Markt im Rest des Landes deutlich einbrach«, stellt Martin Giese fest. Der Coach, Investor und Autor leitet den XPRENEURS-Accelerator von UnternehmerTUM in München. Ähnliche Trends fallen auch der Plattform Munich Startup auf. So nahm die durchschnittliche Höhe der Investitionsrunden im Vergleich zum Vorjahresquartal stark zu. Lag der Durchschnitt im dritten Quartal 2019 bei 6,2 Millionen Euro, stieg dieser Wert für das entsprechende Quartal 2020 auf 7,8 Millionen Euro. Für Giese ist klar: »Das intellektuelle und industrielle Umfeld in München ist förderlich, gerade auch für Technologie-Start-ups.«

  • Erstens gebe es in und um München Universitäten und Hochschulen mit ausgezeichneter Forschung und Lehre, besonders in den Ingenieurswissenschaften, Software, IT und Wirtschaft. »Zugleich haben sich viele Industrieunternehmen mit großem Interesse an Innovationen angesiedelt«, erklärt er weiter.
  • Zweitens spiegele der technologielastige Münchner Start-up-Mix gerade auch die Branchen, die sich momentan im Aufwind befinden, wie E-Commerce, Software, Gesundheitsmanagement, künstliche Intelligenz und IT: »Schaut man sich die Zukunftsbranchen für innovative Unternehmen an, ist die Münchner Start-up-Szene dort bestens vertreten – das macht sie krisenfester.«
  • Und drittens ziehe München angesichts seiner Stabilität und Lebensqualität stets Talente an.

Darüber hinaus helfen in München und Bayern besonders in der Anfangsphase starke, gewachsene Bündnisse den jungen Unternehmen. Dazu gehören vor allem die Netzwerke an den Universitäten wie zum Beispiel UnternehmerTUM, das Start-ups in allen Phasen von Lehrveranstaltungen an der TU München bis hin zum eigenen Risikokapitalfonds begleitet. Das Netzwerk BayStartUP unterstützt Gründer und wachsende Unternehmen mit Businessplan-Wettbewerben, einem umfangreichen Coachingangebot und Europas größtem Investorennetzwerk bei der Optimierung der Strategie, dem Firmenaufbau und der Suche nach Gründungs- und Wachstumskapital.

»Es ist ein positives Zeichen, dass sich gerade in einem so herausfordernden Jahr wie diesem so viele Unternehmerinnen und Unternehmer intensiv mit ihren Geschäftskonzepten auseinandersetzen und das Thema Gründung auf dem Schirm haben«, sagt BayStartUPGeschäftsführer Carsten Rudolph.

Gelegenheiten erkennen > 3 Firmenbeispiele unten

Einige junge Firmen nutzen die Ansatzpunkte, die ihnen die Krise eröffnet, und münzen sie in Marktchancen um: Streavent UG in einen Baukasten für virtuelle Veranstaltungen, die everdrop GmbH in nachhaltige Putz- und Waschmittel und die KINEXON GmbH mit ihrem neu-entwickelten Abstandssensor.

Eigene Begeisterung mit innovativen Formaten vermitteln

Wenn Jungunternehmer für ihre Produkte große Leidenschaft entwickeln, können sie oft auch in schwierigen Zeiten Kunden und Investoren gewinnen. Selbst wenn Messen und Veranstaltungen wegfallen oder digital erfolgen, ist es möglich, die eigene Begeisterung mit innovativen Formaten weiter zu vermitteln. XPRENEURS-Leiter Giese: »Unsere Start-ups sind selbst ohne direkte Kontakte recht kreativ unterwegs.«

Risiken nicht ausblenden

Dennoch gibt es gerade in der aktuellen Krise neue Risiken. »Geschäfte, die auf echte Kundenkontakte setzen, sind nicht planbar. Zudem können auch Kundenzielgruppen plötzlich von der Krise betroffen sein«, gibt Business Angel Oettl zu bedenken.

Allen Unwägbarkeiten zum Trotz lassen sich Geldquellen für Produkte auch über Social Media und digitale Pitches erschließen. »Wichtigste Voraussetzung ist dabei, dass die Start-ups mit tragfähigen, zu Ende gedachten Geschäftsmodellen überzeugen und sie glaubwürdig präsentieren, also intelligent Flagge zeigen auf allen Kanälen«, rät der Investor.

Sogar klare Vorteile in der Krise sehen

Business Angels und erfahrene Beiräte können dabei helfen, zum Beispiel die in der Krise nicht einfache Liquiditätssicherung zu sichern. Oettl sieht sogar klare Vorteile: »Nicht tragfähige Geschäftsmodelle fliegen schneller auf, ebenso steigert sich oft die Krisenfestigkeit des Geschäftsmodells.«

Streavent UG, Beuerbach: Inspirierende Meetings auch online

Mitten in der Krise, am 29. März 2020, gründete Felix Schwencke (26) mit Lennart Paul und Lysander Homm in Beuerbach die Streavent UG. »Ursprünglich hatten wir ganz andere Ideen zum Thema Kryptowährungen im Visier«, erinnert sich Schwencke. Doch dann kam die Coronakrise. Veranstaltungen mit persönlichem Kontakt, wie bislang üblich, waren nicht mehr möglich, einfach gestaltete Videokonferenzen sorgten oft für Ermüdung.

Neue Wirklichkeit nutzen

Rasch wurde den Gründern klar, dass diese neue Wirklichkeit auch Marktchancen birgt. »Unser Ziel war, die Lebendigkeit von Präsenzevents auch in virtuelle Veranstaltungen hinüberzuretten, indem wir sie innovativ weiterentwickeln«, sagt Schwencke. »Denn der inspirierende Charakter geht bisher im virtuellen Meeting oft verloren – genau das wollten wir ändern.«

Für ihre Idee erhielten die TUM-Studierenden, die kurz vor dem Abschluss stehen, jetzt aber Start-up und Studium gleichzeitig stemmen, die Unterstützung des XPRENEURS-Incubators der UnternehmerTUM. Auf das Ergebnis blicken sie mit Stolz: Über eine personalisierbare und technologisch anspruchsvolle Streamingplattform in Baukastenform können Unternehmen ihren virtuellen Veranstaltungen den kurzweiligen Charakter von echten Erlebnissen verleihen.

»Echte Marktchance«

Mit ihren Kunden richten sie eine an ihre Anforderungen angepasste, ausbaufähige Streamingplattform ein. »Wir unterstützen Firmen und Organisationen, ihre Veranstaltungsformate online so zu gestalten, dass sie die Teilnehmer fesseln und das Online-Event Freude bereitet«, erklärt Schwencke.

Die ersten Erfolge: Neben zahlreichen kleinen und mittleren Firmen, Verbänden und Organisationen zählen auch Konzerne wie Philips zu den Kunden, zudem die SPD-Bundestagsfraktion, Fairtrade Deutschland und der TÜV-Verband. »Damit erwies sich die Coronakrise als eine echte Marktchance, die uns wohl auch in Zukunft erhalten bleibt, da viele Events auch danach online bleiben«, ist Schwencke überzeugt.

everdrop GmbH, München: Nachhaltige Haushaltsprodukte

Die Konjunktur in Deutschland schwächelte bereits ein wenig, daher war der Herbst 2019 auf den ersten Blick womöglich nicht ideal für den Starat. Dennoch gründete David Löwe (37) mit Christian Becker und Daniel Schmitt-Haverkamp damals die everdrop GmbH in München. »Anfangs zweifelten wir ein wenig, ob wir den richtigen Zeitpunkt erwischen, doch dann überwog unsere Begeisterung für unsere Produkte: Wir wollten endlich unsere Ideen auf dem Markt testen«, erzählt David Löwe. »Mit unseren nachhaltigen Haushaltsprodukten wollen wir die Welt ein bisschen sauberer machen.«

Keine Wegwerfartikel

Die Idee der Unternehmer: Kunden bestellen fürs Reinigen oder Waschen im Onlineshop natürliche, vegane Produkte, die in Papier verpackt sind wie zum Beispiel Reinigungstabs. Wenn die Käufer Wasser hinzufügen, erhalten sie ein Putzmittel für Bad, Küche oder Glas. Dazu gibt es eine modern designte und immer wieder einsetzbare Sprühflasche aus recyceltem Plastik.

Im Rückblick erwies sich der Herbst 2019 als genau der richtige Startpunkt. Denn in
der Coronakrise fielen viele Events aus, zahlreiche Menschen arbeiteten im Homeoffice,
zudem gab es einen Digitalisierungsschub. »Plötzlich wurden Themen wie Putzen, Spülen, Waschen wichtiger und glamouröser, selbst Influencer bloggten darüber«, erinnert sich Löwe. Um das Thema Klimawandel wieder stärker in den Blickpunkt zu rücken, trommelten die Gründer auf allen Kanälen dafür, Nachhaltigkeitsfragen mehr Bedeutung zuzumessen.

Neue Risiken

Allerdings brachte die Krise auch neue Risiken. In der kompletten Lieferkette kam es immer wieder zu Ausfällen. Aber diese Hürde ließ sich ebenfalls nehmen. Inzwischen freuen sich die Geschäftsführer über ein starkes Wachstum, sie beschäftigen 35 Mitarbeiter und das Konzept geht auf: »Mehr als zwei Millionen Plastikflaschen
haben wir schon eingespart«, bilanziert Löwe. Kein Wunder, dass auch Business Angels und Investoren Schlange stehen. Daher planen die Gründer die weitere Expansion, zunächst in die Nachbarländer. Ebenso wollen sie Betriebe als neue Kunden gewinnen.

Nicht zu lange feilen, lieber früher starten

Potenziellen Gründern rät Löwe: nicht zu lange am Konzept feilen, sondern lieber
früher starten. »Denn das Wichtigste ist, für eine Idee Leidenschaft mitzubringen –
und das spüren letztlich auch die Kunden und Investoren.«

KINEXON GmbH: Digitallösung zur Kontaktnachverfolgung

»Als die Coronapandemie begann, wussten wir sofort, dass das Einhalten von Abstand eine Schlüsselrolle spielen wird und wir hierzu die passende, bereits erprobte Technologie haben«, sagt der Mitgründer und Geschäftsführer der KINEXON GmbH Oliver Trinchera (37). »Damit wollten wir anderen Firmen und Organisationen ermöglichen, Mitarbeiter zu schützen und ihren Betrieb fortzuführen.«

Mit SafeZone bietet das junge Münchner Unternehmen eine Digitallösung, um vor
Kontakten zu warnen und Kontakte nachzuverfolgen. Nicht nur die US-Top-Sportligen
NFL und NBA, sondern auch Hunderte von Unternehmen, etwa der Konsumgüterhersteller Henkel oder der Schweizer Industriekonzern Oerlikon, verhindern
damit Infektionen am Arbeitsplatz. Trinchera: »Mehr als eine Milliarde Kontakte sichern wir dieses Jahr so ab und leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Eindämmung der
Pandemie.«

Lösungen rund um das Internet der Dinge

Das bedeutet mehr Wachstum für das vor sechs Jahren gegründete Unternehmen, das Lösungen rund um das Internet der Dinge anbietet. »Wir vernetzen und automatisieren Dinge, um in Echtzeit messbare Vorteile zu schaffen«, benennt Trinchera die Kernkompetenz. So automatisiert BMW seine Intralogistikprozesse mit KINEXON. »Dafür müssen wir den Ort und den Status aller relevanten Objekte und Maschinen kennen, sie verbinden und mit einer Echtzeitintelligenz verknüpfen«, erklärt der Geschäftsführer.

Um dafür den finanziellen Freiraum zu schaffen, gewann das Unternehmen prominente Investoren wie zuletzt die Europäische Investitionsbank. Sie gewährte ein Venture-Debt-Darlehen in zweistelliger Millionenhöhe. Damit will das Unternehmen weitere Entwicklungen und seine Expansion finanzieren. So baut es Niederlassungen in New York und Chicago aus. Vor allem aber möchte Trinchera das Team von mehr als 200 Beschäftigten erweitern: »Wir investieren dabei viel in unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre Einarbeitung, Zufriedenheit und Weiterentwicklung, zudem gehen wir beim Einstellen äußerst selektiv vor.«

Kraftakt Neue einzuarbeiten während Coronakrise

Während der Coronakrise neue Beschäftigte einzuarbeiten, sie auf laufende und neue Projekte einzuschwören und sie auch in Homeoffice-Zeiten zu motivieren, erwies sich als Kraftakt.»Das funktioniert nur deshalb so gut, weil wir auch in virtuellen Zeiten Präsenz zeigen, transparent kommunizieren und jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung
stehen«, so Trinchera.

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