Fachkräfte | Standortpolitik

„Diversity ist kein Selbstzweck“

Flamingo Images/Adobe Stock ©
Gemischtes Team – Vorteil fürs Unternehmen

Wenn es um Diversität geht, hat die deutsche Wirtschaft noch Nachholbedarf. Dabei können Firmen davon profitieren und stärker werden – und neue Fachkräfte gewinnen.

Von Sebastian Schulke, IHK-Magazin 03/2023

Rot, Schwarz, Grün, Pink, Gelb und Blau – das sind die Farben und Streifen der One-Love-Binde. Fußballstars wie Manuel Neuer, Harry Kane oder Virgil van Dijk wollten mit ihr bei der Fußball-WM in Katar ein Zeichen setzen – für Toleranz und Diversität. Daraus wurde nichts. Der Weltverband Fifa ließ die Binde nicht zu, hatte offenbar ein Problem damit.

Während wir in einer immer bunteren und zunehmend diversen Gesellschaft leben, tut sich nicht nur ein weltweit agierendes Fußballunternehmen wie die Fifa mit dem Thema Diversität schwer. Auch die deutsche Wirtschaft hat Nachholbedarf. Der „German Diversity Monitor“, den die bundesweite Initiative „Beyond Gender Agenda“ erstellt, kommt zu dem Schluss: Es gibt viele punktuelle Einzelmaßnahmen, aber wenig nachhaltige Entwicklungen. Das verdeutlicht auch ein Blick in die Daten des Statistischen Bundesamts: So arbeiteten 2021 in deutschen Führungsetagen rund 29 Prozent Frauen. Im Ranking der 27 EU-Mitgliedstaaten ist das gerade mal Platz 20.

Von Alter bis Herkunft: Diversität hat viele Facetten

Die Frauenquote ist dabei nur eine von vielen Facetten beim Thema Diversität. Das Alter, die sexuelle Identität und Orientierung, kulturelle und soziale Herkunft, religiöse Anschauung sowie physische und psychische Beeinträchtigungen gehören ebenso dazu. Diversität bedeutet, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen, zu verstehen und vor allem zu respektieren. Davon profitieren nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch die Firmen.

Diversität mache ein Unternehmen insgesamt stärker, flexibler und innovativer, sagt Aylin Karabulut, das hätten leider noch nicht alle Entscheidungsträger verstanden. Karabulut ist promovierte Bildungswissenschaftlerin und arbeitet als Chief Business Development Officer bei der Employers for Equality GmbH, die Unternehmen mit einem selbst konzipierten Diversity-Programm unterstützt und begleitet. „Auch wenn sich schon sehr viel zum Positiven verändert hat, gibt es immer noch eine Vielzahl struktureller Barrieren und gläserner Hindernisse, die diverse Gruppen von Zugängen und Karrieremöglichkeiten ausschließen“, sagt sie.

Diversity-Management hilft, Fachkräftepotenziale zu heben

Dabei kann wirksames Diversity-Management Firmen handfeste Vorteile bringen. „Diversität sollte auf dem Arbeitsmarkt als Chance begriffen werden“, sagt Charlotte Hoppensack. Sie ist Referentin der Geschäftsleitung beim Fotodienstleister CEWE, der in Deutschland und Europa insgesamt 14 Standorte unterhält. Hoppensack meint: „Würde Diversity-Management so betrieben, dass Frauen, ältere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund oder Beeinträchtigungen besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können, stünden rund vier Millionen Fachkräfte zusätzlich auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.“

Bei CEWE spielt das Thema Diversität schon lange eine wichtige Rolle. 2017 hat das Unternehmen die „Charta der Vielfalt“ unterschrieben und sich verpflichtet, ein wertschätzendes sowie von Vorurteilen freies Arbeitsumfeld für seine Mitarbeitenden zu schaffen. Die Charta der Vielfalt ist eine Initiative, die 2006 in Deutschland von mehreren großen Wirtschaftsunternehmen gegründet wurde. Bis heute haben sich 4.600 Organisationen der Charta angeschlossen – darunter auch viele bayerische Firmen. Jedes Jahr werden es mehr.

Optische Signale für gehörlose Beschäftigte

CEWE lässt Diversity direkt in seine Unternehmensstrukturen einfließen. Schließlich sollen sich laut Hoppensack alle Mitarbeitenden barrierefrei und selbstbestimmt am Arbeitsplatz bewegen können. Dafür wurde der Standort des Fotodienstleisters in Germering bereits vor sechs Jahren mit dem „JobErfolg“ ausgezeichnet – einem Preis für Unternehmen, die ein besonderes Engagement bei der Beschäftigung von chronisch Erkrankten und von Menschen mit Beeinträchtigungen zeigen.

Doch wie sieht dieses Engagement in der Praxis genau aus? „Wir haben für unsere gehörlosen Mitarbeitenden optische Signale installiert, die einen Maschinenstillstand signalisieren“, erklärt CEWE-Referentin Hoppensack. Außerdem würden religiöse Feiertage bei der Urlaubsplanung der einzelnen Kollegen so gut wie möglich berücksichtigt. Können Mitarbeitende aus Altersgründen oder krankheitsbedingt eine Tätigkeit nicht so ausführen wie bisher, werde nach Alternativen gesucht – durch eine Anpassung der Arbeitszeit, des Arbeitsplatzes oder eine Umschulung.

Unterschiedliche Perspektiven, bessere Lösungen

Für die Commerzbank AG ist Diversität ein Transformationshebel. „Wenn wir immer die gleichen Menschen nach ihren Meinungen und Blickwinkeln befragen, können wir keine neuen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft generieren“, sagt Sofia Strabis, die als Abteilungsleiterin das Thema „Diversity und Inklusion“ verantwortet. „Diversity ist kein Selbstzweck, sondern ein Verbindungskleber. Es ist längst kein alleiniges Human-Resources-Thema mehr.“

Das Kreditinstitut aus Frankfurt am Main war 2007 eines der ersten Unternehmen, das die Charta der Vielfalt unterzeichnet hat. Strabis betont: „Unser Diversity-Management setzt die Menschen mit ihren unterschiedlichen Perspektiven und Talenten in den Mittelpunkt.“ Das hätte einen positiven Einfluss auf die Gewinnung von Fach- und Nachwuchskräften, auf die Bindung der Mitarbeitenden, die Verbesserung der Kundenorientierung sowie die Steigerung der Innovationskraft und der Produktivität.

Diversity auch im Employer Branding spiegeln

„Um diverse Talente für sich zu gewinnen, bieten sich gezieltes Employer Branding, verstärkte Sichtbarkeit von vielfältigen Role Models aus dem Unternehmen sowie Kooperationen mit Verbänden und Initiativen an, in denen sich diverse Talente organisieren“, meint Expertin Karabulut und betont: „Wichtig ist hierbei Ganzheitlichkeit. Wenn Firmen nicht an einer inklusiven Unternehmenskultur arbeiten, werden die neu gewonnenen diversen Talente nicht lange bleiben.“

Beispiel: Netzwerke für queere Mitarbeitende

Bei der Commerzbank haben sich mit der Zeit Netzwerke etabliert, die die Beschäftigten initiiert haben. So ist „Courage“ laut Strabis eines der größten betrieblichen Frauennetzwerke in Deutschland. „Arco“ zähle zu den ältesten LGBT*IQ-Netzwerken in Deutschland und setze sich dafür ein, Vorurteile gegenüber queeren Menschen abzubauen. Mit dem „Global Diversity Council“ habe die Commerzbank 2012 zudem ein Gremium geschaffen, das Diversität als gemeinsame Verantwortung versteht. Dort treffen sich Führungskräfte und Vorstände zweimal im Jahr, um über Diversität zu reden und gemeinsam strategische Entscheidungen zu treffen. Zudem veranstaltet das Kreditinstitut regelmäßig Awareness-Formate, die Mitarbeitende über den eigenen Tellerrand blicken lassen und Themen von Antirassismus bis Coming-out am Arbeitsplatz behandeln.

Wie können Firmen mehr Vielfalt in den Betrieb bringen? Erste Diversitätsansätze zu realisieren, muss nicht aufwendig sein. Man kann beispielsweise damit beginnen, Bewerbungsunterlagen so weit zu anonymisieren, dass kein Rückschluss auf Herkunft, Geschlecht oder Alter des Bewerbenden möglich ist, um eine unbewusste Diskriminierung auszuschließen. Wer Gebetsräume oder Eltern-Kind-Zimmer einrichtet, gibt der Vielfalt nötigen Freiraum.

CEWE-Referentin Hoppensack ist überzeugt: „Wenn viele unterschiedliche Meinungen und Anschauungen aufeinandertreffen, entstehen Ideen, die ein Unternehmen vorantreiben.“

Verwandte Themen