Kleine Patienten

Klinikgründer August von Hauner baute einst seine Pädiatrie mithilfe von Spenden auf. Der heutige Direktor des Kinderspitals braucht Zuwendungen für die Qualität in Ausbildung und Forschung.
Cornelia Knust, Ausgabe 10/2021
»Es gibt keine bessere Investition als die in die Gesundheit und Bildung kleiner Kinder«, sagt Christoph Klein (57), Direktor des Dr. Von Haunerschen Kinderspitals, gleich zu Beginn des Gesprächs. Damit wiederholt er sinngemäß, was der Ökonom und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften James Heckman aus Chicago seit Jahren erforscht und publiziert – und was dennoch oft verhallt.
»Anspruch auf Partizipation«
Den 175. Geburtstag der renommierten Kinderklinik am Goetheplatz nimmt Klein zum Anlass, eine Lanze für die Kinder zu brechen, gerade vor dem Hintergrund der Pandemie. Die Bewältigung der Coronakrise habe gezeigt, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, dass ihre gute Reaktion auf Impfstoffe und Medikamente nicht einfach vorausgesetzt werden kann, dass sie sich nicht durchtakten und folgenlos durch die Krise schaukeln lassen. »Dass das Bundesverfassungsgericht der Politik kürzlich vorgegeben hat, die Bedürfnisse künftiger Generationen stärker zu berücksichtigen, bezieht sich nicht nur auf den Klimawandel«, meint Klein. »Aus meiner Sicht muss es da insgesamt um die Bedürfnisse der heutigen Kinder und ihren Anspruch auf Partizipation gehen. Dafür würde ich mich einsetzen.«
Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, sei bisher nicht gelungen. Immerhin gebe es ein Bundesgesetz dazu, aber erstaunlicherweise kaum Präzedenzfälle in der Rechtsprechung. Auch der Pharmaindustrie wird ja oft vorgeworfen, die Forschung an Medikamenten für Kinder und besonders für seltene Krankheiten bei Kindern zu vernachlässigen.
»Kindermedizin anschlussfähig machen international«
Klein, der neben Medizin auch Philosophie studiert hat, hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Dabei gibt es laut Klein »kein schöneres Fach als die Kindermedizin mit ihrer breiten Vielfalt und ganzheitlichen Sichtweise«. Er beklagt die Knappheit an spezialisierten Kinderärzten, die Abschaffung des Berufs der Kinderkrankenschwester, die Fehlanreize im durchökonomisierten Gesundheitssystem. Vor allem aber setzt er auf mehr Forschung und mahnt die Politik in Bayern: »Wer Wissenschaftshauptstadt werden will, muss auch die Kindermedizin anschlussfähig machen an die internationale Champions League.«
Klein selbst hat sich der Kinderonkologie verschrieben, speziell der Gentherapie, aus der sich Hoffnung auf Heilung auch besonders seltener Krankheiten ergeben könnte. Der Professor aus Ehingen an der Donau mit Studium in Ulm, Harvard und München, der zuvor in Paris, Harvard und Hannover tätig war, leitet die Münchner Klinik seit 2011. Sie ist Teil des LMU-Klinikums, also eine Einrichtung der Ludwig-Maximilians-Universität. Forschung und Lehre stehen im Mittelpunkt, aber es werden eben auch Patienten behandelt. Weil die Pädiatrie, wie die Kinderheilkunde in der Fachsprache heißt, aufwendiger, spezieller, vor allem personalintensiver ist als die Erwachsenenmedizin, zählt sie regelmäßig zu den Verlustbringern des Universitätsklinikums.
Das »Neue Hauner« in Großhadern
Eigentlich sollte schon längst das »Neue Hauner« im Stadtteil Großhadern errichtet sein, als freundliches flaches Klinikgebäude mit geschwungenen grünen Innenhöfen und einer großen Forschungsabteilung. Dazu wurde 2015 ein Architektenwettbewerb abgehalten. 17 Millionen Euro spendete der inzwischen verstorbene Sultan von Oman Qabus bin Said al-Said schon 2014 für das Projekt im dreistelligen Millionenbereich. Doch nun fällt es etwas kleiner aus, kommt später, wird teurer.
Unterstützung aus dem Königshaus
Dass man als Kinderarzt gegen viele Widerstände ankämpfen und immer mit dem Klingelbeutel herumgehen muss, kann man schon beim (später geadelten) Klinikgründer August Hauner (1811–1884) sehen. Das Misstrauen war groß, als er 1846 auf einer Etage in der Münchner Sonnenstraße sein Kinderspital gründete, um die Kinder der Armen zu behandeln, die schlecht ernährt und selbst bei schwersten Krankheiten sich selbst überlassen waren, weil die Eltern arbeiten mussten. Erst als ein Mentor die Unterstützung des bayerischen Königshauses organisierte, kam Schwung in die Sammelaktion durch den Verein zur Unterstützung des Haunerschen Kinderspitals.
Viele Umzüge später fand das Spital 1882 seinen endgültigen Sitz an der Chaussee nach Sendling, die gerade (nach einem Arzt) in Lindwurmstraße umbenannt worden war. Im Hauptgebäude kann man noch heute die marmornen Spendertafeln besichtigen, auf denen vom Adligen bis zum Brauereibesitzer die Spender aufgeführt sind. Bis heute hat die Klinik immer wieder von privaten Zuwendungen, großen wie kleinen, profitiert.
Geld zur Behandlung seltener Krankheiten
Der heutige Direktor Klein will mehr. Er hat schon 2009, in seiner Zeit als Professor und Kinderklinikchef in Hannover, eine eigene Stiftung »Care-for-Rare« gegründet, die Geld zur Behandlung seltener Krankheiten einwirbt, aber auch zur Ausbildung forschender Spezialisten für die »Zukunft pädiatrischer Expertise«, wie es im Stiftungsprofil heißt. Klein schweben bei den Einnahmen noch viel höhere Volumina vor – nach amerikanischem Vorbild.
Auch Großspenden von Familienunternehmern
Es gibt auch hierzulande Vorbilder. Andere Kliniken in Deutschland haben Großspenden von Familienunternehmern eingeworben. Michael Otto (Otto Group) gab zehn Millionen für die Kinderklinik in Hamburg-Eppendorf, das Ehepaar Lautenschläger (MLP) 14 Millionen für das Haus in Heidelberg und die Quandt-Familie (BMW) unterstützte die Kinderklinik in Frankfurt immer wieder mit Millionen, zuletzt den Neubau für Pädiatrische Stammzelltransplantation und Zelltherapie.
»Nur mit mehr Solidarität in der Gesellschaft«
Der Haunersche-Chef Klein plädiert nicht nur für die Ausgabe von Social Bonds durch die öffentliche Hand, also von Anleihen, die in der Verwendung ihrer Mittel auf die Finanzierung sozialer und gesellschaftlicher Zwecke festgelegt sind. Er appelliert auch an zukünftige Gönner seiner Stiftung und der Klinik: »Wir haben keinen Wohlfahrtsstaat, sondern einen unterstützenden Sozialstaat. Wir müssen die knappen Ressourcen gerecht verteilen und gleichzeitig Innovationen stärken. Das geht nur mit mehr Solidarität in der Gesellschaft.«