Freier Handel | Standortpolitik
Nicht mit uns!
Nein zu Protektionismus und Abschottung – oberbayerische Unternehmen werben engagiert für ein offenes Europa.
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 04/2024
Noch ist keine Stimme ausgezählt, aber am rechten Rand wird schon gefeiert. Im Januar stimmten sich die Teilnehmer der „Conservative Political Action Conference“ in Budapest voller Vorfreude auf das Superwahljahr 2024 ein. Die „Patrioten“ fühlen sich im Aufwind. Die Europawahl soll der nächste Kipppunkt sein. Ihre „political action“ baut auf ein verlässliches Instrument: Wut auf Migranten schüren.
Österreichs FPÖ-Chef Herbert Kickl befeuerte per Videobotschaft die Euphorie. Er lobte Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán für seinen Kampf gegen „den globalistischen Zugriff“ Brüssels. Worüber Rechtsextreme in Deutschland nur im Geheimen reden, Kickl spricht das auch auf großer Bühne offen aus: „Remigration ist Trumpf, liebe Freude, es gibt nichts einzuwenden gegen einen Geh-heim-plan!“ Die Botschaft kommt an. Umfragen sehen die FPÖ mit gut 30 Prozent klar vor ÖVP und SPÖ.
Rechtsruck schadet Europa
Ein grenzüberschreitender Trend. Laut Umfragen könnten bei der Europawahl in neun EU-Mitgliedstaaten Rechtspopulisten bis Rechtsextreme die Mehrheit gewinnen. Die liberalen Regierungen sind EU-weit in der Defensive. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, einst glühender Verfechter eines starken Europas, ist unter Druck. Marine Le Pen, Galionsfigur der rechtspopulistischen französischen Partei „Rassemblement National“, hat erfolgreich an Einfluss gewonnen. Seit Frankreichs Bauern Mist auf den Champs-Élysées abgeladen und Aldi-Filialen mit Gülle besprüht haben, bewegt sich auch die Handelspolitik im Rückwärtsgang.
Macron hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gebeten, auf das Freihandelsabkommen Mercosur zu verzichten – ein Projekt, das seit 20 Jahren verhandelt und von der IHK-Organisation gefordert wird, weil es deutschen Firmen neue Absatzchancen bringt und das Land weniger abhängig von China und den USA macht.
Dexit? Klares Nein der Wirtschaft
Hierzulande streuen AfD-Anhänger auf allen Kanälen den Vorschlag von AfD-Chefin Alice Weidel, „das Volk“ über den Verbleib Deutschlands abstimmen zu lassen. Der #Dexit bestimmte im Januar tagelang die Debatten auf Social Media. Die „geordnete Auflösung der EU“ reiche nicht mehr, war da zu lesen. Deutschland müsse sofort raus aus dem von Konzernen beherrschten Europa.
Laut einer Allensbach-Umfrage halten 80 Prozent der Top-Entscheider der deutschen Politik und Wirtschaft die AfD für eine „ernste Gefahr für Deutschland“. Peter Inselkammer, Hotelchef, Wiesn-Wirt und Vorsitzender des IHK-Regionalausschusses Stadt München, erklärte im Interview mit dem IHK-Magazin, wohin nationale Beschäftigungsstrategien führen würden: „Ohne qualifizierte Zuwanderung gäbe es unsere Branche nicht mehr.“
Zuwanderung sichert Zukunft
Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst warnt vor Illusionen. Nur auf dem nationalen Arbeitsmarkt sei der Bedarf an Fachkräften für IT oder Cybersicherheit „nicht annähernd“ zu decken. Man brauche Experten aus dem Ausland. Sollte die Stimmung Richtung „Deutschland-den-Deutschen“ kippen, würden die guten Leute wegbleiben. „Dann werden wir auf diesen Technologiefeldern einen rasanten Abstieg erleben. Das ist eine große Sorge in der Wirtschaft. Wir müssen alles dafür tun, um dieses Szenario zu verhindern“, fordert Wintergerst.
In der IHK für München und Oberbayern arbeitet man daran. IHK-Präsident Klaus Josef Lutz fordert, angesichts von Ukraine-Krieg und zunehmendem Populismus müsse sich Europa zu einer „wehrhaften Schicksalsgemeinschaft“ vereinen.
And the winner is … Oberbayern
Oberbayern und ein offenes Europa – dieses Zusammenspiel hat für die IHK-Mitgliedsfirmen bislang hervorragend funktioniert. Der IHK-Bezirk hat von der EU so stark profitiert wie keine andere Region Deutschlands. Laut Bertelsmann Stiftung beträgt der Wohlfahrtsgewinn knapp 1.500 Euro pro Kopf und Jahr. Im EU-Ranking der innovativsten Regionen liegt Oberbayern auf Rang drei – hinter Hovedstaden (Dänemark) und dem finnischen Helsinki-Uusimaa.
EU – Lebensader für ganz Bayern
Bayerische Unternehmen profitieren vom europäischen Binnenmarkt, vom Euro und von Handelsabkommen, die die EU mit Drittstaaten schließt, betont die EU-Abgeordnete Angelika Niebler (CSU). „Bayerische Unternehmen exportieren jährlich Waren und Güter im Wert von 215 Milliarden Euro. Davon gehen 52 Prozent in die EU. Daher betone ich: Die EU ist die Lebensader der bayerischen Wirtschaft!“
Europas Zukunft mitgestalten
Die Zukunft Europas mitgestalten – das steht seit Langem ganz oben auf der Agenda der IHK. Seit 2013 hat die IHK knapp 120 Veranstaltungen in Brüssel organisiert. In Sichtweite zum EU-Parlamentsgebäude, in den Räumen der bayerischen Landesvertretung in Brüssel, hat die IHK ein erfolgreiches Debattenformat etabliert: EU-Vertreter von Rat, Kommission und Parlament diskutieren auf dem Podium gemeinsam mit bayerischen Mittelständlern über EU-Vorhaben. Im Mittelpunkt stehen dabei 2 Themen: Bürokratie und ein Manko des Binnenmarkts, Dienstleister kämpfen immer noch gegen Hürden im grenzüberschreitenden Geschäft.
Im Wahljahr 2024 geht es um das große Ganze. Das IHK-Magazin fragte Unternehmerinnen und Unternehmer aus dem Ehrenamt, wie sie zu Europa stehen – ihre Antworten gibt hier.
Für einen starken Wirtschaftsstandort EuropaEuropa braucht eine neue Agenda für Wettbewerbsfähigkeit. Offenheit und Vernetztheit im globalen Handel sind dabei ebenso wichtig wie die Versorgungssicherheit mit bezahlbarer Energie und Rohstoffen oder die technologische Souveränität bei Schlüsseltechnologien. Aus Sicht der Unternehmen sind eine effiziente Regulierung und Verwaltung, die Innovationen, Investitionen und das Wirtschaften erleichtern, unabdingbar. Die Wirtschaft hat 10 Forderungen für einen starken Standort aufgestellt, zum Beispiel:
- Bürokratieabbau endlich umsetzen. Die Ankündigungen der EU, die Bürokratie zu reduzieren, haben bislang keine spürbaren Ergebnisse gebracht. Dabei gibt es viele Möglichkeiten anzusetzen, etwa bei der Mitarbeiterentsendungs-Richtlinie, der Ausstellung von A1-Bescheinigungen oder dem Datenschutz.
- International wettbewerbsfähige Energiepreise sicherstellen. Damit Unternehmen in der EU weiterhin global konkurrenzfähig produzieren können, müssen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit noch besser miteinander in Einklang gebracht werden. Bis günstige erneuerbare Energie in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, sollte eine unkomplizierte Entlastung von Unternehmen möglich sein, damit energieintensive Industrien nicht abwandern. Ein vollständig integrierter europäischer Strombinnenmarkt hilft, günstigere Strompreise für Unternehmen zu erreichen.
- Wertschöpfungs- und Lieferketten widerstandsfähiger machen. Unternehmen diversifizieren bereits selbst ihre Lieferketten, um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren. Die EU sollte sie dabei durch neue Handels- und Rohstoffabkommen unterstützen.
- Datennutzung ermöglichen. Daten sind ein entscheidender Wettbewerbsfaktor für Unternehmen. Um die Datennutzung innerhalb Europas zu stärken, benötigen die Firmen Mechanismen für den Datenaustausch, Standards, Schnittstellen sowie den Aufbau einer offenen, transparenten und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur in Europa.
Die Position „Die Wettbewerbsfähigkeit Europas sichern“ mit allen 10 Forderungen der Wirtschaft lässt sich auf der IHK-Website nachlesen.