Neue Wege, neue Chancen

Fachkräfte aus dem Ausland können exzellentes Know-how in bayerische Betriebe bringen. Das Projekt „Hand in Hand for International Talents" unterstützt Firmen bei der Rekrutierung.
Von Mechthilde Gruber, IHK-Magazin 04/2023
Er ist in Deutschland sehr willkommen: Elektrotechniker Vladimir Gaal aus Brasilien ist einer der ersten vermittelten Bewerber des Pilotprojekts „Hand in Hand for International Talents". Seit April 2022 ist er bei der Logatec GmbH im thüringischen Kölleda beschäftigt. Das Familienunternehmen ist spezialisiert auf After Sales Service und Fertigung von elektronischen Produkten. „Wir brauchen dafür exzellente Techniker", sagt Personalchefin Manuela Zühlsdorff (54). „In Deutschland konnten wir keine rekrutieren."
Mit der Teilnahme am Projekt habe ihre Firma ein Rundum-sorglos-Paket erhalten, so Zühlsdorff. „Mit den vielfältigen Anforderungen der Behörden mussten wir uns nicht beschäftigen." Von der Anerkennung der Abschlüsse des Bewerbers, dem ersten Vorstellungsgespräch per Video bis hin zu den Aufenthaltstiteln wurde alles von den „Hand in Hand"-Projektpartnern übernommen und geklärt.
Bewerber aus Brasilien, Indien und Vietnam
Logatec-Mitarbeiter Gaal ist einer von mehr als 40 gut ausgebildeten Fachkräften, die bisher mit dem Pilotprojekt „Hand in Hand for International Talents" nach Deutschland gekommen sind, um zu bleiben. Das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt unterstützt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei der Rekrutierung von Fachkräften aus den Drittstaaten Brasilien, Indien und Vietnam. Unter Führung der DIHK und der Bundesagentur für Arbeit sind die Auslandshandelskammern (AHKs) der drei Rekrutierungsländer sowie die IHKs und Arbeitsagenturen in den beteiligten Pilotregionen in Deutschland eingebunden.
Seit Anfang 2023 nimmt auch die IHK für München und Oberbayern an diesem Pilotprojekt teil, das IHK-Mitgliedsunternehmen vorbehalten ist. Der Fokus liegt dabei auf den Regionen München Stadt und Land sowie dem Arbeitsagenturbezirk Weilheim.
Technische Berufe, Informatik und Gastronomie im Fokus
Das Projekt konzentriert sich vorerst auf IHK-Berufe aus Elektronik und Elektrotechnik, Informatik und Gastgewerbe. „Die Rekrutierung im Ausland ist gerade für kleinere Unternehmen ein sehr komplexer Prozess, denn trotz Fachkräfteeinwanderungsgesetz gibt es noch immer viele bürokratische Hürden", sagt Sebastian John, Fachkräftereferent sowie „Hand in Hand"-Projektkoordinator bei der IHK in München.
Die Zahl der bisher vermittelten Bewerber sei zwar relativ niedrig. Quantität sei aber auch nicht das wichtigste Ziel des Pilotprojekts, erklärt Carolin Ruppert, Projektleiterin bei der DIHK Service GmbH. Vielmehr zähle Qualität: „Mit dem Pilotprojekt wollen wir in einem kleinen, abgesteckten Rahmen die Prozesse der Fachkräfteeinwanderung beleuchten, Strukturen testen, Hürden identifizieren und dafür Lösungen erarbeiten."
Optimal vorbereitet in den Heimatländern
Durch das Netzwerk der Kooperationspartner bietet „Hand in Hand für International Talents" den teilnehmenden Unternehmen schon jetzt umfassende Unterstützung: Die IHKs sind für ihre Mitgliedsfirmen die direkten Ansprechpartner und Koordinatoren. Die AHKs in Brasilien, Indien und Vietnam rekrutieren geeignete Fachkräfte und kümmern sich noch vor Ort um die Anerkennung des Berufsabschlusses, um eine erste Sprachqualifizierung sowie um das Visaverfahren.
Die Nachfrage von Bewerbern ist hoch, besonders in Brasilien. Die Arbeitsmarktlage dort ist schwierig, Deutschland als Einwanderungsland attraktiv. Aus dem Pool von Bewerbern können die Firmen mithilfe anonymisierter Kurzprofile geeignete Kandidaten auswählen. Die Agentur für Arbeit übernimmt das weitere Management. Unterstützt durch Dolmetscher, findet ein virtuelles Bewerbungsgespräch statt. Ist die Vermittlung erfolgreich, zahlen Firmen eine von der Unternehmensgröße abhängige Pauschale, mit der viele Leistungen wie etwa Berufsanerkennungsverfahren, Sprachqualifizierung B1 oder Visaverfahren abgedeckt sind.
Bürokratische Hürden abbauen
Die Hürden, die bei der Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten auftauchen, sind nicht neu, sagt DIHK-Projektleiterin Ruppert. „Es geht vor allem um die Beschleunigung der Verwaltungsprozesse bei Visa. Sie dauern zu lange, weil ausreichende Kapazitäten fehlen." Das Visum für den neuen Mitarbeiter aus Brasilien war auch bei Logatec die größte Herausforderung, sagt Personalchefin Zühlsdorff: „Er hätte sonst schon 3 Monate früher nach Deutschland kommen können."
Willkommenspaket vom deutschen Arbeitgeber
Die Integration von Elektrotechniker Gaal in Deutschland lief dagegen von Anfang an reibungslos. Um diesen Part hat sich die Firma hauptsächlich selbst gekümmert: ihn vom Bahnhof abgeholt, ein Zimmer vermittelt, den Kühlschrank mit Lieblingsessen gefüllt und schon vorher seine Hobbys erkundet und ihm einen Platz im Bogenschützenverein vermittelt. „Wir wollen unsere Fachkräfte an uns binden", sagt Zühlsdorff. „Da geht es nicht um Geld allein. Sie müssen sich in unserem Unternehmen wohlfühlen, damit sie bleiben."
Mit dem brasilianischen Mitarbeiter hat Logatec einen hervorragenden Techniker gewonnen, das Unternehmen profitiert von seinem umfassenden Know-how. „Wir hoffen deshalb, noch eine weitere Fachkraft aus Brasilien rekrutieren zu können", so die Personalchefin.
IHK und Arbeitsagentur unterstützen die Firmen
Auch die GWA Hygiene GmbH aus Stralsund hatte schon diverse Möglichkeiten genutzt, um qualifiziertes Fachpersonal zu finden – ohne nennenswerte Ergebnisse. „Das Projekt ‚Hand in Hand for International Talents‘ bot uns eine neue Chance", sagt Geschäftsführer Maik Gronau (32).
Mit Erfolg: Seit April 2022 arbeitet ein Ehepaar aus Brasilien in der jungen Firma, die Technologieprodukte für Krankenhäuser entwickelt. Es dauerte 9 Monate, bis die Fachinformatikerin Bianca Rodrigues de Castro und ihr Mann, Hardware-Entwickler Marcello Simon, nach Stralsund kommen konnten. „Die Beratung und Betreuung durch IHK und Arbeitsagentur während des gesamten Prozesses war sehr intensiv, vor allem in Bereichen, mit denen wir nicht täglich zu tun haben", sagt Gronau.
So wurde das Unternehmen durch die lokale Ausländerbehörde vor einige Herausforderungen gestellt, die den Einstellungsprozess verzögerten. Gemeinsam mit der IHK-Ansprechpartnerin konnten sie aber gemeistert werden. „Das war eine willkommene Unterstützung", sagt der Geschäftsführer.
Schneller Aufstieg in leitende Positionen
Die beiden brasilianischen Fachkräfte haben sich im Betrieb bereits bewährt, sie sind ein wichtiger Teil des Teams geworden. „Mittlerweile haben sie leitende Tätigkeiten übernommen", sagt Gronau. Für die gelungene Integration des Ehepaars hat sich die Firma stark engagiert. „Wir als Unternehmen können dafür sorgen, dass sich die neuen Mitarbeiter wohlfühlen", sagt der Geschäftsführer. Dazu gehören auch gemeinsame Aktivitäten mit den Kollegen jenseits der Arbeit, wie etwa die Unterstützung bei der Wohnungseinrichtung, Teamevents oder Spieleabende. Gronau ist überzeugt: „Damit die Integration langfristig gelingt, braucht es Anstrengungen von allen Beteiligten."