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Quereinsteiger willkommen!

FormiChem ©
Vom Helfer zur Fachkraft – Marian Albu begann als Quereinsteiger in der chemischen Produktion

Im Kampf gegen den Fachkräftemangel werden Berufswechsler zur gefragten Zielgruppe. Bei der Suche und der Integration in den Betrieb hilft Offenheit.

Von Melanie Rübartsch, IHK-Magazin 04/2024

Die FormiChem GmbH ist darauf spezialisiert, chemische Erzeugnisse zu bearbeiten, abzufüllen und zu verpacken. Was viele verwundern dürfte: Zur Belegschaft des Produktionsdienstleisters aus Neuburg an der Donau gehören seit einigen Jahren unter anderem 1 ehemaliger Bäcker, 2 Maurer und 1 Buchdrucker, der Erfahrungen in der Lebensmittelbranche mitbringt. Alle sind in der sogenannten Formulierung tätig. Sie sind also dafür zuständig, Chemikalien nach einem vorgegebenen Rezept herzustellen.

„In unserer Produktion arbeitet inzwischen ein großer Teil an technischen Fachkräften, die keinen klassischen chemischen Ausbildungsberuf absolviert haben“, sagt Thomas Kürzinger, einer der Geschäftsführer von FormiChem. Seit 2013 hat das Unternehmen zudem 13 Mitarbeiter, die als fachfremde Helfer angefangen haben, mithilfe von Förderungen der Bundesagentur für Arbeit berufsbegleitend zu Produktionsfachkräften Chemie, Chemikanten oder Industriekaufleuten qualifiziert.

Seitenwege beim Recruiting

„Wir spüren den Fachkräftemangel sehr unmittelbar. Sowohl unsere Branche ist stark betroffen als auch die Region Ingolstadt. Der Markt ist relativ leer gefegt“, so der 44-Jährige. Aus diesem Grund hat FormiChem schon sehr bald nach seiner Gründung 2011 begonnen, bei der Rekrutierung auch Seitenwege einzuschlagen und nicht nur auf die klassischen chemischen Berufsbilder zu schauen.

Der Fachkräftemangel ist nach wie vor eine der Herausforderungen für Unternehmen. „Quereinsteiger oder sogenannte Aufstiegsqualifikationen sind eine große Chance, geeignete Fachkräfte zu bekommen“, sagt Tobias König, Referent Fachkräfte & New Work bei der IHK für München und Oberbayern. Es sei extrem wichtig, sich als Arbeitgeber zu öffnen und den Blick über den Tellerrand zu wagen.

Zahl der Berufswechsler nimmt zu

Eine Strategie, die immer mehr Unternehmen verfolgen. Nach einer Berechnung des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat sich die Zahl der Quereinstiege von rund 2,8 Millionen im Jahr 2015 auf etwa 4 Millionen 2022 erhöht – Tendenz weiter steigend. Relativ häufig trifft man Quereinsteiger nach dieser Erhebung zum Beispiel in Verkehrs- und Logistikberufen, Verkaufsberufen sowie im Tourismus und in der Gastronomie.

„Quereinsteiger sind besonders in Berufen gefragt, in denen Persönlichkeit und Motivation eines Menschen erfolgsentscheidender sind als eine bestimmte fachliche Qualifikation“, meint Louisa Kürten, Wirtschaftspsychologin und KOFA-Expertin. „Wer den Schritt in ein neues berufliches Umfeld wagt, ist in der Regel sehr motiviert, diesen Weg zu meistern, und bringt entsprechend hohes Engagement mit.“

Motiviert und resilient, aber ohne Fachwissen

Zudem verfügen viele Quereinsteiger über Eigenschaften, die in unserer heutigen Arbeitswelt sehr gesucht sind, wie etwa Veränderungsbereitschaft und Resilienz. Auf der anderen Seite steht das Fachwissen, das diesen Mitarbeitern zunächst fehlt. Das heißt: Unternehmen müssen Zeit für Schulungen und Einarbeitung einkalkulieren.

„Wer Quereinsteiger als Zielgruppe ansprechen und binden möchte, muss ohnehin ein paar Dinge beachten“, so die Expertin. Das fängt bei der Suche an. Die Stellenausschreibung darf nicht zu eng gefasst sein und sollte möglichen Bewerbern signalisieren, dass auch Fachfremde willkommen sind. FormiChem etwa sucht seit Jahren explizit nach Fachkräften mit einer technischen Ausbildung. Von Chemie ist da keine Rede.

Beiderseits Erwartungen klar kommunizieren

Weiter geht es beim Vorstellungsgespräch. „Hier ist es wichtig, dass beide Parteien klar ihre gegenseitigen Erwartungen zum Ausdruck bringen und prüfen, ob sich das deckt“, sagt Kürten. So können Bewerber am besten abschätzen, ob die Stelle zu ihnen passt. Und Arbeitgeber sichern ab, dass neue Mitarbeiter auch wirklich bleiben.

Ein systematischer Onboardingprozess ist ebenfalls hilfreich. Für die Einarbeitung seien Mentoren sowie regelmäßige Austauschrunden sinnvoll. „Den Führungskräften kann zudem helfen, im Rahmen von Coaching einen Perspektivwechsel vorzunehmen, um sich besser in die Rolle der Quereinsteiger hineindenken zu können“, meint Kürten. Welche Herausforderungen und Hürden müssen sie meistern und wie kann man ihnen dabei helfen?  „Am Ende des Tages geht es um eine offene und wertschätzende Unternehmenskultur.“ Kürten ist überzeugt: „Diese ist für jeden Mitarbeitenden wichtig und entscheidet darüber, ob jemand im Unternehmen bleibt oder nicht.“

Bei Gefallen Wissen verbessern – mit Unterstützung

„Man darf nicht zu sehr das Papier und den Lebenslauf ansehen, sondern muss den Menschen betrachten“, so formuliert es FormiChem-Geschäftsführer Kürzinger. Jeden Mitarbeiter, den sein Unternehmen zunächst als Helfer einstellt, beobachten die Führungskräfte sehr genau und gehen mit ihm ins Gespräch. Es zeige sich dabei sehr schnell, wer motiviert ist und wo welche Interessen liegen.

So wie bei Marian Albu. Der 28-Jährige begann zunächst als Produktionshelfer. In seiner Heimat Rumänien hatte er eine fachpraktische Ausbildung zum Transporttechniker absolviert, die in Deutschland nicht anerkannt wurde. Jetzt arbeitet er als Produktionsfachkraft in der Formulierung von Feststoffen. „Die Umschulung habe ich begonnen, weil mir der Job gefallen hat und ich mein Wissen in diesem Bereich verbessern wollte. Meine Vorgesetzten und ein paar Kollegen haben mich sehr unterstützt“, sagt er. Als nächste Schritte strebt er höhere Positionen an – Schichtleiter etwa oder Techniker.

Chance, aber kein Selbstläufer

Auch das ist aus Sicht des FormiChem-Geschäftsführers ein Vorteil: „Wenn Umschulungen und Quereinstiege gelingen, entsteht oft eine besondere Bindung ans Unternehmen, weil die Mitarbeiter Entwicklungspotenzial sehen.“ Er will aber keine unrealistischen Erwartungen wecken: „Qualifikationen und Quereinsteiger sind eine klare Chance, aber auch kein Selbstläufer.“

So schätzt er die Erfolgsquote bei der Aufstiegsqualifizierung in seinem Unternehmen bei etwa 50 Prozent ein. Und natürlich gebe es auch immer mal Quereinsteiger, die mit hoher Motivation starten, dann aber doch feststellen, dass die Aufgabe nicht das Richtige für sie ist. Trotzdem will Kürzinger den Weg weiterverfolgen. „Einfach auch, weil es Spaß macht, das Potenzial von Mitarbeitern zu entdecken und gezielt zu fördern.“

IHK-Info: Fachkräftesicherung
IHK-Veranstaltungstipp: BIHK Zukunftskonferenz 2024

Die Zukunftskonferenz steht in diesem Jahr unter dem Motto "Arbeitskräfte finden und binden". Auch das Recruiting und die Integration von Quereinsteigern werden dort Themen sein.

Termin: 6. Juni 2024

Ort: IHK für München und Oberbayern, IHK Campus, Orleansstraße 10–12, 81669 München

Mehr Infos und Anmeldung hier auf der Webseite der IHK zur BIHK Zukunftskonferenz 2024

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