Flexibel punktet

In der Pandemie haben sich die Erwartungen der Mitarbeiter an einen attraktiven Arbeitgeber verändert. Worauf es ankommt, wenn Fachkräfte ihrem Unternehmen lange treu bleiben sollen.
EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 03/2022
Softwareentwickler und -ingenieure, Systemadministratoren, IT-Projektleiter, Onlinemarketing-Manager: Die Liste der offenen Positionen bei der TechDivision GmbH aus Kolbermoor dürfte wohl für jeden Personalverantwortlichen eine Herausforderung darstellen.
Schließlich sind Fachkräfte im weiten Feld der Informationstechnologie besonders begehrt. Mit einem ausgefeilten Recruiting-Programm, das unter anderem auf Kooperationen im Hochschulbereich setzt, gelingt es dennoch, die Zahl der Mitarbeiter weiter aufzustocken. »Um unseren Wachstumskurs zu halten, ist es aber mindestens genauso wichtig, dass wir unsere Mitarbeiter an Bord behalten«, sagt Josef Willkommer (45), Mitgründer und Geschäftsführer des Dienstleisters für Digitalisierungslösungen für mittelständische Unternehmen.
Wertvolles Know-how
Denn Stellen neu zu besetzen, ist meist aufwendig und kostspielig. Arbeitgeber müssen potenzielle Kandidaten für sich interessieren, einen Bewerbungsprozess starten und erfolgreich durchführen und die Neuen einarbeiten. Mit jedem Mitarbeiter, der das Unternehmen verlässt, besteht überdies das Risiko, dass wertvolles Know-how verloren geht.
Wie also schaffen Unternehmen ein Arbeitsumfeld, in dem Fachkräfte ihre Stärken entfalten können und gern im Betrieb bleiben?
Wir-Gefühl stärken
TechDivision setzt bei der Mitarbeiterbindung vor allem auf eine positive Unternehmenskultur. »Wir geben unseren einzelnen Teams große Freiräume bei der Abwicklung ihrer Projekte«, sagt Geschäftsführer Willkommer. »Solange das Endergebnis stimmt und der Kunde glücklich ist, können sie ihre Arbeit weitgehend selbst ein- und aufteilen.« Firmenveranstaltungen sollen das unternehmensübergreifende Wir-Gefühl stärken.
Vor Corona lud TechDivision zum »Angrillen«, zum Familien-Sommerfest, zum Besuch des Rosenheimer Herbstfests sowie zur Weihnachtsfeier. Jetzt gibt es digitale Events und Treffen für die Mitarbeiter, die seit Mitte März 2020 mit einer kurzen Unterbrechung im Sommer alle remote arbeiten. Die digitalen Veranstaltungen kämen gut an, sagt Willkommer, »aber es ist halt nicht ganz dasselbe«.
Regelmäßige Sondierungen
Um die Stimmung der Teams im Homeoffice zu sondieren, führt das Unternehmen die interne Zufriedenheitsumfrage jetzt häufiger durch: In den ersten Monaten wurden alle Mitarbeiter wöchentlich befragt, aktuell werden sie alle zwei bis vier Wochen gebeten, ein paar standardisierte Fragen zu beantworten. »Die Ergebnisse schauen wir uns genau an«, sagt Willkommer. Er ist davon überzeugt, dass es sich positiv auf die Mitarbeiterbindung auswirkt, wenn das Team informiert und involviert ist. Daher berichtet die Geschäftsleitung alle zwei Wochen freitags über aktuelle Geschäftszahlen, Neueinstellungen, anstehende Projekte sowie die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung.
Mitarbeiter kamen zurück
Eine Fluktuation im einstelligen Prozentbereich, sehr gute Bewertungen auf der Plattform Kununu sowie zahlreiche Bewerbungen aus dem Bekanntenkreis der Mitarbeiter sind für Willkommer deutliche Indikatoren dafür, dass die Beschäftigten von TechDivision zufrieden sind: »Bislang sind sogar vier Mitarbeiter wieder zu uns zurückgekommen, nachdem sie einige Zeit in einem anderen Unternehmen tätig waren.«
Indikatoren für Zufriedenheit
Dass die Firmenkultur eine zentrale Rolle bei der Mitarbeiterbindung spielt, betont auch Filiz Koneberg (28). Sie forscht beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) am Institut der deutschen Wirtschaft Köln zu beruflicher Qualifizierung und Fachkräften. »Für eine positive Unternehmenskultur ist wiederum ein einheitliches, werteorientiertes Führungsverständnis entscheidend. Eine vertrauensbasierte Führung kann Mitarbeitende unterstützen und motivieren, ihr Potenzial zu entfalten.« Darüber hinaus spiele aber auch die attraktive Gestaltung der individuellen Arbeitsbedingungen eine Rolle. »Wobei Fachkräfte großen Wert auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung legen«, sagt die Expertin.
Um herauszufinden, wie zufrieden die Mitarbeitenden sind, empfiehlt Koneberg individuelle Jahresgespräche, bei denen Wahrnehmung und Wertschätzung, aber auch die Karriere- und Laufbahnplanung des Mitarbeiters im Vordergrund stehen sollten. Letzteres sei selbst in kleineren Firmen sinnvoll: »Dort gibt es zwar weniger Hierarchiestufen, dafür aber viele Handlungsfelder für weniger Menschen, sodass Aufgabenbereiche und Weiterbildungen entsprechend gestaltet werden können.«
Wir müssen reden!
Zudem rät die Expertin zu anonymisierten Mitarbeiterbefragungen, um die Entwicklung kritischer Faktoren besser beobachten zu können und die richtigen Maßnahmen zur Stärkung der Arbeitgeberattraktivität einzuleiten. Koneberg räumt ein, dass der Aufwand dafür nicht zu unterschätzen ist. Doch diese Zeit sei gut investiert: »Denn durch den Fachkräftemangel wird es für Unternehmen erfolgsentscheidend, ihre Mitarbeiter zu binden.«
Bei TechDivision sind Jahresgespräche bereits fester Bestandteil der Personalpolitik. »Mit der Kombination aus Mitarbeitergesprächen und -befragungen können viele Themen diskutiert und gelöst werden, bevor sie sich zu größeren Problemen auswachsen«, sagt Geschäftsführer Willkommer.
KOFA-Expertin Koneberg geht außerdem davon aus, dass flexible Arbeitszeiten und mobile Arbeitsformen künftig überproportional stark an Bedeutung gewinnen. »Während Corona haben die Arbeitgeber hier vieles möglich gemacht – und die Arbeitnehmer werden dies künftig wohl auch stärker einfordern.«
Acht Prozent möchten vier bis fünf Tage Homeoffice
Dass Angestellte, die während der Pandemie monatelang von zu Hause aus gearbeitet haben, nun andere Erwartungen an ihren Arbeitgeber haben, bestätigt der Steelcase Global Report, der Anfang 2021 erschienen ist. Zwar wäre der Großteil der Befragten aus Deutschland mit bis zu einem Tag Homeoffice zufrieden. Doch ein Fünftel wünschte sich bereits damals, zwei bis drei Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten zu können, acht Prozent möchten gar vier bis fünf Tage wöchentlich im Homeoffice bleiben.
Rituale für hybrides Arbeiten
Die Steelcase AG, die sich auf die Einrichtung moderner Arbeitsumgebungen spezialisiert hat und in Deutschland rund 680 Menschen beschäftigt, hat auf diese Erkenntnisse bereits reagiert: »Als Vordenker und Experten im Bereich New Work bieten wir seit Längerem flexible Arbeitsplatzmodelle für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Dennoch hat sich die Art und Weise unserer Zusammenarbeit und Interaktion durch die Pandemie noch weiter in Richtung hybrides Arbeiten verschoben«, sagt Gregory Kirk, der als Director Human Resources den Personalbereich für Europa, den Mittleren Osten und Asien verantwortet. »Allerdings ist noch weitgehend offen, mit welchen Ritualen wir bei dieser Arbeitsform die persönlichen Kontakte am besten aufrechterhalten können.« Für Organisationen sei es zudem wichtiger denn je, auch für die psychologische Sicherheit zu sorgen, die einzelne Mitarbeitende und Teams benötigen, um mit den neuen Arbeitsformen zurechtzukommen.
Kündigungsrisiken identifizieren
Bei Steelcase versuchen Personalexperten und Führungskräfte, in Team-Assessments klassische Alarmsignale für mangelnde Motivation, Leistungsdefizite und Stress zu finden. »Wenn wir Kündigungsrisiken identifiziert haben, führen wir Einzelgespräche mit den Betroffenen, um die Ursache für diese Herausforderungen zu ermitteln«, erklärt Kirk. »Daraufhin entwickeln wir individuelle Lösungen, die von der Karriereplanung über einen internen Arbeitsplatzwechsel bis hin zu flexibleren Arbeitszeiten oder auch zu einer Neueinstufung bei der Entlohnung reichen können.«
Gezielte Aktivitäten
Für Kirk basiert die Loyalität von Mitarbeitenden vor allem auf dem Vertrauen zwischen Angestellten und Vorgesetzten. Seiner Erfahrung nach ist es wenig zielführend, sich darum zu bemühen, Wege zur Messung dieser Loyalität zu finden. »Sinnvoller ist es, dass Führungskräfte ihre Energie für Aktivitäten einsetzen, die sie kontrollieren können, indem sie ihre Mitarbeitenden kontinuierlich dabei unterstützen, erfolgreich zu sein«, meint der Personalchef. »Dazu gehört es, ihnen zu helfen, Leistungsdefizite zu überwinden, sie bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung zu fördern oder einfach den Wert ihrer Leistungen für das Unternehmen zu erkennen und zu würdigen.«