Bewerber tauchen ab

Immer mehr Firmen klagen, dass Kandidaten im Bewerbungsprozess verschwinden und nicht mehr erreichbar sind. Was können Arbeitgeber dagegen unternehmen?
Von Bärbel Schwertfeger, IHK-Magazin 05-06/2023
Bei der Bäckerei Ludwig Stocker Hofpfisterei GmbH in München beobachtet man das Phänomen in den letzten Monaten verstärkt. „Das kommt gefühlt relativ oft vor, besonders im gewerblichen Bereich und bei den Verkäufern“, sagt Personalleiterin Ulrike Hintermayr-Würfl. „Am meisten Verluste haben wir beim Vorstellungsgespräch.“ Im Schnitt kommen von 10 Bewerbern 2 nicht zum Vorstellungsgespräch. Dabei kläre man im Vorfeld in einem Telefonat ab, ob der Kandidat überhaupt infrage kommt, und stimme den Termin mit ihm ab. „Wir schicken ihm auch noch eine schriftliche Einladung mit der Adresse“, sagt Hintermayr-Würfl.
Zwischen Bewerbungsgespräch, Vertragsunterzeichnung und Arbeitsbeginn sei man immer wieder in Kontakt mit den Bewerbern und informiere sie über die Zusendung des Vertrags, die Bereitstellung der Arbeitskleidung und schließlich auch über die Arbeitszeiten am ersten Arbeitstag, sodass man eine Verbindlichkeit herstelle. Von 10 Kandidaten, die einen Vertrag bekommen, unterschreibt 1 nicht. Und von denen, die unterschrieben haben, fängt einer nicht an. „Die sagen nicht ab, sondern kommen einfach nicht“, sagt die Personalleiterin. „Einen wirklich erfolgreichen Lösungsansatz haben wir dazu bisher nicht gefunden.“
Verschobene Kräfteverhältnisse
Wie der Hofpfisterei geht es vielen Unternehmen. Sie leiden nicht nur unter Fachkräftemangel, sondern auch unter der zunehmenden Unverbindlichkeit der Bewerber. Bisher kannten vor allem Jobsuchende, dass sich Unternehmen nach einer Bewerbung nicht mehr meldeten. Wer Glück hatte, bekam wenigstens eine Eingangsbestätigung. Heute ist es umgekehrt. Der Mangel an Beschäftigten hat die Kräfteverhältnisse verschoben. Ghosting heißt das Phänomen.
Bekannt ist es von Dating-Plattformen: Nach einem Kontakt oder Treffen meldet sich der Dating-Partner nicht mehr. Er reagiert nicht mehr auf E-Mails oder WhatsApps, er taucht einfach ab. Auch bei Bewerbern tritt das Phänomen nun verstärkt auf.
Ghosting eher bei Jüngeren verbreitet
Bei einer Umfrage der Jobplattform Indeed unter 400 Recruitern gaben gut 56 Prozent an, dass sich der Trend des Ghostings durch Bewerber im vergangenen Jahr verschärft hat. Fast ein Drittel der Personalmitarbeitenden wird einmal im Monat geghostet, ein Viertel einmal wöchentlich. Insgesamt haben 90 Prozent der Personaler schon einmal erlebt, dass Jobkandidaten abtauchen. Bei 36 Prozent springen die Bewerber bereits vor dem Vorstellungsgespräch ab, 29 Prozent melden sich nach dem Bewerbungsgespräch nicht mehr und 17 Prozent nach einer Zusage vor dem ersten Arbeitstag. Und immerhin 7 Prozent erscheinen nicht am ersten Arbeitstag.
Im Grunde kann das Phänomen bei allen Jobsuchenden auftreten. „Das lässt sich nicht an einer Zielgruppe festmachen“, sagt Emine Yilmaz, Leiterin des Bereichs Festanstellung Deutschland & Schweiz beim Personaldienstleister Robert Half. Tendenziell tritt es eher bei den Jüngeren auf. „Sie haben einfach eine extreme Auswahl und kennen es nicht anders“, so die Personalberaterin.
In Engpassberufen Marktwert testen
„Manche Kandidaten wollen nur ihren Marktwert testen, sind jedoch nicht ernsthaft auf der Suche nach einem neuen Job“, ergänzt Oliver Eggert, Trainer für Recruiting und Personalmarketing. Gerade IT-Mitarbeiter und Kandidaten in Engpassberufen bekämen sehr viele Anfragen von Unternehmen. „In einem Nachfragemarkt testen Beschäftigte das aus und schauen, ob ein noch attraktiverer Job drin ist“, so Eggert.
Und was lässt sich dagegen unternehmen? Als Arbeitgeber sollte man Verbindlichkeit aufbauen, empfiehlt Personalberaterin Yilmaz. Das beginnt schon damit, dass ein Ansprechpartner mit Durchwahl angegeben wird. „Meist nutzt der Bewerber das Angebot nicht, aber es ist ein Zeichen für verbindliches Auftreten“, sagt die Personalberaterin.
Sie rät: Geht eine Bewerbung ein, sollte ein Anruf innerhalb von 48 Stunden erfolgen. „Wenn ich eine Woche warte, hat der schon einen anderen Job“, so die Personalexpertin.
Im Gespräch sollte man sich dann Zeit nehmen, Interesse an der Person zeigen und kurz auf den Lebenslauf eingehen. „Betreiben Sie Smalltalk. So bauen Sie eine Beziehung auf“, erklärt Yilmaz. „Ghosting ist kein fachliches, sondern ein emotionales Problem.“
Instant-Bewerbungen verstärken Trend
Einen Grund für Ghosting sehen viele in der Digitalisierung des Bewerbungsprozesses. „Früher hat man aufwendig eine Bewerbermappe erstellt und sich mit dem Jobangebot befasst, heute braucht man nur noch einen Klick“, sagt Armin Trost, Professor für Personalmanagement an der Hochschule Furtwangen. „Je mehr man in die Bewerbung investiert, umso größer ist auch das Commitment.“
Das meint auch Roman Ziegler, Personalleiter bei Vinzenz Murr in München: „Das hat mit den Instant-Bewerbungen zu tun.“ Das Unternehmen bekomme von den Jobbörsen den Lebenslauf und die Telefonnummer. „Da muss man erst mal herausfinden, wie ist die Interessenslage und wo wohnt ein Bewerber“, so Ziegler. Das münde zwangsläufig in hohe Streuverluste. „Manche können sich nicht mal erinnern, dass sie sich überhaupt beworben haben“, sagt der Personalleiter. Die Qualität der Bewerbungen habe mit den sozialen Medien enorm abgenommen.
Stelle verbindlich zusagen, Kontakt halten
Bei der Stadt München beobachtet man das Phänomen ebenfalls, wenn auch nicht massenweise. Vor allem zwischen dem Vorstellungsgespräch und dem Vertragsabschluss verliere man manchmal Bewerber.
„Wir brauchen dann oft noch Unterlagen wie ein Führungszeugnis – und das kann etwas dauern“, sagt Tobias Stephan, zuständig für die Personalgewinnung bei der Stadt München. „Wir halten Kontakt mit den Bewerberinnen und Bewerbern und schicken ihnen den nicht unterschriebenen Vertrag mit einer verbindlichen Zusage“, erklärt er. Zudem sei die Stadt gerade dabei, Recruiting und Vertragsgestaltung zusammenzulegen, damit Bewerber nur noch einen Ansprechpartner haben.
Pre- und Onboarding neu ausrichten
Aber auch die Phase von der Vertragsunterzeichnung bis zum Ende der Probezeit sei kritisch im Hinblick auf Ghosting, beobachtet Stephan. Deshalb richte man das Pre- und Onboarding systematisch neu aus und integriere es in das digitale Talentmanagement. Stephan: „Nach einer Zusage bekommen die neuen Kolleginnen und Kollegen künftig gleich online wichtige Informationen für den Jobstart und wir können mit ihnen digital in Kontakt bleiben.“
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