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Klare Regeln, weniger Streit

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Sensibler Prozess – beim Verfassen der gemeinsamen Charta wirken am besten alle Familienmitglieder mit

Gemeinsame Werte, Strategien und Strukturen – eine Familienverfassung hilft, ein Unternehmen über Generationen hinweg zu erhalten. Worauf es bei der Einführung ankommt.

Von Eva Elisabeth Ernst, IHK-Magazin 10/2023

Wie lange ein Familienunternehmen besteht, hängt maßgeblich von seiner Leistungskraft und dem Marktumfeld ab. Doch selbst wenn ein Familienbetrieb innovative und qualitativ hochwertige Produkte oder Dienstleistungen bietet, wenn die Kapitaldecke solide, das Team motiviert und die Marktposition hervorragend ist, darf eine latente Gefahr nicht unterschätzt werden: die Familie hinter dem Unternehmen.

Da gibt es die Tante, die Anteile hält und ihren Sprössling nun gern in einer Führungsposition sehen würde. Oder den Bruder, der seine Anteile schleunigst verkaufen will. Es kann vorkommen, dass eine Gesellschafterin besonders hohe Gewinnausschüttungen fordert, um damit ihr Eigenheim zu finanzieren. Ganz zu schweigen von all den Familienmitgliedern, die genau wissen, was die Geschäftsführung denn tun und lassen sollte, um den Erfolg des Unternehmens zu sichern. Dass diese Einzelmeinungen unterschiedlich bis gegenläufig ausfallen können, macht die Sache nicht einfacher.

Höheres Konfliktpotenzial bei mehreren Familienstämmen

„Auseinandersetzungen innerhalb der Familie sind häufig der Grund dafür, dass viele strategisch gut positionierte Familienunternehmen nicht mehr als zwei Generationen überdauern“, sagt Gustl F. Thum (45), Geschäftsführer der auf Familienbetriebe spezialisierten Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. „Sobald es mehrere Familienstämme gibt, weil zum Beispiel 2 oder mehr Kinder des Gründers Anteile halten, ist es daher sehr empfehlenswert, eine Familienverfassung aufzusetzen.“

Idealerweise wird dieses Regelwerk von den Familienmitgliedern erarbeitet und in ihm werden ein gemeinsames Wertesystem sowie ein Handlungs- und Verhaltenskodex im Spannungsfeld von Unternehmen, Familie und Eigentum definiert. „Eine Familienverfassung oder -charta sollte mindestens folgende Kernfragen beantworten: Was verbindet uns? Wo wollen wir hin? Und wer soll dabei welche Rolle spielen?“, zählt Thum auf. „Damit lassen sich Herausforderungen wie eine strategische Neuausrichtung, Nachfolge, Ausschüttungen oder Gesellschafterwechsel harmonischer bewältigen.“

Dennoch ist es auch sinnvoll, Mechanismen zur Konfliktlösung in der Familienverfassung festzulegen. Das können zum Beispiel Entscheidungs- und Eskalationsprozesse im Gesellschafterkreis oder institutionalisierte Gremien für die Familiengesellschafter sein.

Neutralen Moderator einbinden

Selbst wenn weitgehend klar ist, welche Punkte in einer Familienverfassung thematisiert werden sollten (siehe Kasten unten): Eine für alle Familienunternehmen passende Blaupause gibt es nicht. Denn jede Firma tickt anders, jede Unternehmerfamilie hat ihre eigenen Ziele und Werte. „Das Aufstellen einer Familienverfassung ist ein sensibler, weil oftmals auch emotionaler Prozess, der am besten von einem neutralen Moderator begleitet werden sollte“, sagt Thum.

Er empfiehlt mehrere ein- bis zweitägige Workshops, an denen sich alle Familiengesellschafter beteiligen. „Der Austausch von Erwartungen, die gemeinsamen Diskussionen und die Erarbeitung des Regelwerks definieren das Miteinander und stärken die Bande der Gesellschafter untereinander.“ Um die Verbindlichkeit zu betonen, sollten alle Familienmitglieder das erarbeitete Dokument unterschreiben. „Eine Familienverfassung ist zwar rechtlich nicht bindend“, sagt Thum. „Ihre ethisch-moralische Wirkung darf jedoch nicht unterschätzt werden. “

Dies bestätigt Rechtsanwalt Felix Link (33), der bei der Beratungsgesellschaft Rödl & Partner GmbH im Bereich Unternehmensnachfolge und Family Offices tätig ist. „Die Familienverfassung bildet quasi die Richtschnur für den Umgang in der Familie in Bezug auf das Unternehmen und trägt viel dazu bei, Konflikte zu vermeiden und zu lösen“, sagt er. „Sie kann aber auch als Weisung an die Organe eines Unternehmens, also etwa die Geschäftsführung und den Beirat, dienen.“

Wertekompass für Nachfolger

Als sofortigen positiven Effekt sieht Link, dass sich alle Familienmitglieder, die am Erarbeiten beteiligt sind, mit den eigenen Werten und Zukunftsvorstellungen beschäftigen und dabei über das Tagesgeschäft hinausdenken. Langfristig ziele eine Familienverfassung darauf ab, nicht nur das Unternehmen, sondern auch die gemeinsam erarbeiteten Werte, Strategien und Strukturen an die nächsten Generationen weiterzugeben und das Unternehmen unter dem Einfluss der Familie zu erhalten. Daher sei es wichtig, sich für diesen Prozess ausreichend Zeit zu nehmen.


Familiencharta: Was zu bestimmen ist

Eine Familienverfassung sollte folgende entscheidende organisatorische Fragen beantworten:

  • Wer erhält Anteile am Familienunternehmen?
  • Wie können Unternehmensanteile ge- und verkauft, vererbt und übertragen werden?
  • Welche Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte haben Familienmitglieder im Hinblick auf das Unternehmen?
  • Was passiert mit dem Unternehmensgewinn? Wann wird welcher Anteil ausgeschüttet? Wer erhält wie viel?
  • Soll das Unternehmen grundsätzlich von Familienfremden oder von Familienmitgliedern geführt werden? Wie werden diese Manager ausgewählt?
  • Welche Voraussetzungen müssen Familienmitglieder für eine Stelle beziehungsweise eine Führungsposition im Unternehmen erfüllen?
  • Wie findet die Kommunikation im Familien- und Gesellschafterkreis statt?
  • Wie oft treffen sich die Familienmitglieder zum Austausch?
  • Wie werden familiäre Konflikte rund um das Unternehmen beigelegt?

Auch Link rät, die Inhalte der Familienverfassung mit Unterstützung eines neutralen Moderators zu erarbeiten. „Anschließend sollte jedoch durchaus ein Anwalt eingebunden werden. Denn die Familienverfassung bildet die Basis für weitere, rechtlich bindende Dokumente wie Gesellschaftsverträge, Testamente, Ehe-, Erb- und Schenkungsverträge, Vorsorgevollmachten und Poolverträge, in denen einzelne Gesellschafter festlegen, dass sie bei Entscheidungen rund um das Familienunternehmen einheitlich abstimmen.“ Bereits vorhandene Verträge so anzupassen, dass sie die Inhalte der Familienverfassung widerspiegeln, sei eine weitere wichtige Maßnahme.

Anwalt und Steuerberater beim Finalcheck

Das Thema Erbschaftsteuer dürfe ebenfalls nicht unterschätzt werden. Daher sollte ein Steuerberater überprüfen, ob die Regelungen in der Familienverfassung bei Todesfällen bezahlbare Lösungen zulassen.

Auch wenn es nicht immer leicht ist: Der verbreiteten Versuchung, das Unternehmen in den Workshops besser darzustellen, als es ist, sollten Gesellschafter widerstehen. „Da ist häufig die Rede von Exzellenz, Markt- oder Technologieführerschaft“, weiß Link. „Falls das noch nicht ganz der Realität entspricht, sollten diese Punkte als Ziele verankert werden.“

Denn Ehrlichkeit und Realitätssinn sorgen dafür, dass eine Familienverfassung tatsächlich nützlich ist und auch im Tagesgeschäft gelebt wird. „Ganz wichtig ist außerdem, dass auf die Umsetzbarkeit und Praktikabilität der Regelungen geachtet wird“, so Link. „Denn wenn die darin definierten Leitlinien und Prozesse nicht angewendet werden, ist die beste Familienverfassung nichts weiter als ein Stück Papier.“

IHK-Infos zur Unternehmensnachfolge und -übergabe:

Weitere Hinweise und zum Beispiel Checklisten auf der IHK-Website für Unternehmensübergeber und Firmennachfolger.

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