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Hollywood in Penzing

Hyperbowl ©
Digital – auf der sogenannten „Hyperbowl“ lassen sich Schauplätze von Drehorten originalgetreu projizieren

Joe Neurauter hat mit anderen Filmschaffenden die Penzing Studios auf einem alten Fliegerhorst in Oberbayern gegründet — sie locken mit großen Hallen und einer „Hyperbowl“ auch Kinoproduktionen aus den USA an.

Von Sebastian Schulke, IHK-Magazin 01–02/2024

Ein knapp 10 Meter hohes Eisentor ist leicht geöffnet. Es führt in eine riesige Halle, die so groß wie ein Fußballfeld ist. Gelbe und weiße Linien markieren den grauen Betonboden. Am Rand stehen zwei Paletten – eine mit Pappkartons und eine mit kleinen, weißen Säcken darauf. „Rauchen und Feuer verboten“ prangt groß und breit in Rot an den Außenwänden. Und hier sollen internationale Filmproduktionen aus Amerika und Europa laufen?

Ja, genau hier. Die riesige Halle ist Teil der „Penzing Studios“. Momentan läuft dort keine Produktion, dafür jedoch in den anderen Hallen. Sie stehen auf einem ausgedienten Fliegerhorst bei Penzing in Oberbayern. Früher hoben hier Hubschrauber und Transall-Flugzeuge der Bundeswehr ab. Heute breiten sich Filmsets aus, in denen Hollywood-Blockbuster und Kinofilme gedreht werden.

7 Filmschaffende , 1 Mission

Dafür sorgt seit knapp 2 Jahren ein Start-up, das aus einem Konsortium besteht – mit den Filmproduzenten Joe Neurauter und Philipp Kreuzer, Bastian Ried (Kameraverleih) und Jörn Siegele (Kulissenbauer) sowie Enzo Henze, Frank Förster und Ralf Drechsler (alle Virtual Production). Denn: „Die Nachfrage nach Studiokapazitäten steigt weltweit immer weiter an“, sagt Neurauter. „Gerade auch hier im süddeutschen Raum.“ Das würden die Bavaria Filmstudios, die mehr auf TV-Produktionen spezialisiert wären, allein nicht abfangen können. Ein neues Studio musste also her – und der alte Fliegerhorst bot mit seinen Hallen und der Infrastruktur beste Voraussetzungen dafür. Vor knapp 3 Jahren geriet das Ganze ins Rollen: 

Zusammen mit Harry-Potter-Darsteller Daniel Radcliffe befanden sich damals Neurauter und Kreuzer in Bayern auf der Suche. „Wir brauchten für die Actionkomödie „Guns Akimbo“ ein passendes Studio. Doch alles war belegt“, erzählt Neurauter. „Am Ende landeten wir in einer alten Papierfabrik bei Dachau.“

Drehort für millionenschwere US-Kinostreifen

Bei dieser Suche kamen die Produzenten über den FilmFernsehFonds Bayern, eine Gesellschaft zur Förderung der Medien, mit Bastian Ried und Jörn Siegele zusammen. Die beiden hatten das verlassene Militärgelände in Penzing bereits im Blick und sogar schon erste Gespräche mit dem Bürgermeister vor Ort geführt.

So nahm das Ganze seinen Lauf. Die Penzing Studios erhielten den Zuschlag. Millionenschwere US-Kinostreifen wie das Remake von „The Crow“ und die Fortsetzung von „Silent Hill“ sowie „Chantal im Märchenland“, ein Weiterdreh der „Fack ju Göhte“-Reihe, wurden in Penzing bereits gedreht.

400 Personen am Set

In einer der größten Hallen auf dem Gelände, in der bis September 2017 Transall-Maschinen standen, läuft momentan eine amerikanische Streaming-Show. „Das Set dafür umfasst über 400 Personen, die hier knapp 1 Jahr lang arbeiten und leben werden. Davon profitiert die gesamte Region“, meint Neurauter, der 12 Jahre lang in Los Angeles als Filmproduzent tätig war. Er weiß, wie das amerikanische und europäische Filmbusiness jeweils funktioniert, und verfügt über ein breites Netzwerk. „Ich kenne beide Welten. Das kann bei Verhandlungen hilfreich sein.“

Mit die größten Einzelstudios weltweit: die Transall-Hallen

Bislang haben die Penzing Studios 5 Hallen mit Büros in Betrieb genommen. Dafür mussten die monströsen Gebäude mit einer recht aufwendigen Schall- und Wärmeisolierung versehen werden. In Zukunft sollen insgesamt 15 Studios auf dem alten Fliegerhorst entstehen mit einer Gesamtfläche von mehr als 35.000 Quadratmetern. „Die Transall-Hallen mit jeweils 9.000 Quadratmetern zählen zu den größten Einzelstudios der Welt“, sagt Neurauter. Nur die Filmstudios in Babelsberg und von Pinewood in England, in denen die James-Bond-Filme gedreht werden, hätten ein ähnliches Set-up in Europa.

Technische Vorreiter dank Hyperbowl

Außerdem hat das Start-up ein besonderes Extra zu bieten – 1 „Hyperbowl“ für virtuelle Produktionen. Das ist eine 270-Grad-Leinwand, auf die sich die Schauplätze von Drehorten originalgetreu und unverfälscht projizieren lassen. Eine digitale Filmtechnologie, die laut Neurauter immer gefragter ist und die gesamte Filmbranche elementar verändern wird: „Mit einer Hyperbowl sind wir technologische Vorreiter.“ Denn die Filmproduktionen bräuchten mit ihren oft monströsen Filmsets nicht mehr durch die Welt zu den einzelnen Drehorten zu reisen und dafür viel Geld auszugeben. „Sie können hier in Penzing alles an einem Ort drehen und erledigen.“

Künstliche Intelligenz macht es möglich. Wie zuletzt, als es um eine Szene in der Prager Staatsoper ging. Statt des gesamten Filmsets fuhren 3 Leute der Penzing Studios dorthin. Sie fotografierten und scannten das Innere und Äußere des Gebäudes 3 Tage lang, um dann die Staatsoper originalgetreu am Computer nachzubauen. „Auf der Hyperbowl kann man dann jede beliebige Perspektive in der Staatsoper einnehmen. Auch die Lichtverhältnisse, ob Tag oder Nacht, können entsprechend dargestellt werden“, so Neurauter. Das funktioniere auch mit Straßenzügen, Wohnblocks oder Landschaftsaufnahmen.

Digital und doch real – KI macht’s möglich

Pixel, Verzerrungen oder Unschärfen seien mittlerweile nicht mehr zu erkennen, so der Produzent. Die digitale Welt erscheine durch die KI-Technologie als natürliche Realität auf der Leinwand. „In den vergangenen Jahren hat sich da einiges getan und entwickelt“, meint Neurauter und betont: „Diese digitalen Workflows und Pipelines sind nicht nur innovativ, sondern wirken auch klimafreundlich und nachhaltig.“ Die digitalen Schauplätze könnten immer wieder verwendet werden.

Neurauter fährt mit seinem  Auto über den alten Fliegerhorst. Über 3.000 Soldaten waren hier mal am Rande von Penzing, einer kleinen Gemeinde mit knapp 3.900 Einwohnern, stationiert und hatten ihre eigene kleine Stadt, nur ein paar Kilometer von Landsberg am Lech entfernt.  Mit dem Auto ist es eine gute halbe Stunde bis nach München. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die US-Luftwaffe den Stützpunkt. Mit dabei auch ein junger Mann, der als Funker arbeitete und später als Johnny Cash die Welt mit seinen Country-Songs eroberte.

Anziehungspunkt für Kreative und Künstler

Neben den riesigen Hallen gibt es leer stehende und lang gezogene Wohnblocks mit Spielcasino, Kino und Bowlingbahn. Dazu ein altes Kraftwerk, ein sogenanntes Kloster sowie einen Wertstoffhof. „Hier entstehen Ateliers und Büros für Kreative und Handwerker“, sagt Neurauter und zeigt während der Fahrt auf ein Gebäude. „In dem sitzt „Theaterkunst“, der größte Kostümverleih in Deutschland. In dem Haus da drüben arbeitet Art-Direktorin Eva Hartmann, die mit einem 3-D-Drucker Requisiten kreiert.“ Auch der Spezialeffekt-Künstler Gerd Nefzer, mit zwei Oscars dekoriert, ist mit den Penzing Studios verbunden. Die MBS Equipment Company, ein weltweit führender Anbieter für den Verleih professioneller Lichttechnik und Ausrüstung für Film- und Fernsehproduktionen, nutzt ebenfalls ein altes Kasernengebäude als Büro.

Aus dem ehemaligen Militärgelände soll langsam, aber sicher ein Anziehungspunkt für Filmschaffende, Künstler und Kreative werden. „Das gesamte Gelände hat eine spannende Geschichte und ein großes Potenzial“, meint der Filmproduzent. „Die Penzing Studios möchten auch Auszubildenden und Studierenden etwas bieten“, sagt Neurauter, der Kontakte zur Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München hat und eine Kooperation für möglich hält.

„Wir können auch live und direkt“

Felder und Wiesen umgeben den alten Fliegerhorst. Die gezackten Gipfel der Alpen sind in der Ferne am Horizont zu erkennen. Ein alter Bauernhof zeugt von der Zeit, als Landwirte hier noch die Hauptrolle spielten. Dann parkt Neurauter sein Auto vor einem recht kompakten und eckigen Gebäude. „St. Josef Krankenhaus“ steht auf einem Schild am Eingang. Früher seien hier verwundete Soldaten behandelt und operiert worden. Jetzt diene es als Filmset, wie zuletzt für eine Krankenhaus-Serie. „Wir können auch live und direkt“, sagt er und lächelt. Das alte Spielcasino sei ebenfalls bereits als Drehort genutzt worden.

Die Nähe zu den Alpen ist ebenso von Vorteil. „Ab Mai dieses Jahres wird der zweite Teil von „Cliffhanger“ in den Penzing Studios gedreht“, verrät Neurauter. „In der zweiten 9.000 Quadratmeter großen Transall-Halle. Da müssen wir noch die Schall- und Wärmeisolierung fertig machen.“ Bevor es dann heißt: Film ab! Hollywood dreht wieder in Penzing.

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