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Wie die Jungen ticken

Fürst Gruppe ©
Von Anfang an Verantwortung – die angehende Personaldienstleistungskauffrau Sarah Semmler (l.) mit anderen Azubis der Fürst Gruppe

Firmen buhlen um die Generationen Y und Z als Fachkräfte. Auf die Werte und Gewohnheiten junger Kandidaten gilt es, sich einzustellen.

Von Melanie Rübartsch, IHK-Magazin 07-08/2023

Wie sollen wir die Stellenanzeige für die Azubis texten? Lieber auf Instagram oder TikTok posten? Gendern? Duzen? Was wissen Schulabgänger von einem Pharmaunternehmen? Was wünschen sie sich?

Antworten auf solche Fragen gibt bei der Roche Diagnostics GmbH ein sogenanntes Soundingboard der Generation Z. Sieben Azubis haben es entwickelt, um den Vertretern dieser Generation, also allen, die zwischen 1996 und 2009 geboren sind, eine Stimme zu geben. Die Idee dazu hatten die Auszubildenden selbst – schließlich liegt der Gedanke nahe: Wenn ihr wissen wollt, was der jungen Generation wichtig ist, dann fragt sie doch einfach selbst.

Zuhören, verstehen, ernst nehmen

Das Pharmaunternehmen sucht nach Mitteln gegen den Fachkräftemangel. Insbesondere Azubis im naturwissenschaftlichen Bereich – Chemie- und Biologielaboranten, Chemikanten – sind rar. Ein Rezept im Wettbewerb um den Nachwuchs: „Nah dran sein an den Jüngeren, sie ernst nehmen und verstehen, wie sie denken und sich fühlen“, sagt Andrea Bierl, Managerin Übernahme Ausbildung in Penzberg.

Das Soundingboard ist dabei nur ein Element. Um Beteiligung und Zuhören ging es zum Beispiel auch bei einer länderübergreifenden Minecraft-Challenge unter Roche-Azubis im Frühjahr. Sie waren aufgerufen, den Unternehmensstandort der Zukunft zu planen – live gestreamt auf YouTube. „Mit diesem Event haben wir nicht nur unsere Azubis motiviert, sondern zugleich potenziellen Kandidaten gezeigt, dass wir auch andere Wege gehen, weil uns die Meinung der jungen Kolleginnen und Kollegen wichtig ist“, sagt die 42-Jährige.

Recruiting via Podcast und Musikfestival

Bierls Team legt Wert auf authentisches Recruiting. In einem Podcast des Regionalsenders Radio Oberland etwa erzählt eine junge Kollegin über ihren Alltag bei Roche. Regelmäßig lädt das Unternehmen Schulklassen in seine Labore ein, um die Arbeit dort greifbarer zu machen. Und neben Azubimessen und einem Tag der offenen Tür der Ausbildung war Roche auch auf der Azubimeile eines beliebten Musikfestivals in Peißenberg mit einem Stand vertreten.  

Arbeitnehmermarkt auch in der Ausbildung

Viele Personalabteilungen buhlen gerade um die jungen Generationen. Kein Wunder: Die Babyboomer (zwischen 1956 bis 1965 geboren) gehen in Rente. Damit geraten die Kandidaten der jüngeren Generationen zunehmend in den Fokus. Sie aber können sich oft aussuchen, wo sie arbeiten wollen.

In zahlreichen Branchen und Berufen besteht ein Arbeitnehmermarkt – dort zählt, was Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden bieten können. „Es ist damit unerlässlich für Unternehmen, sich mit den jungen Kollegen intensiv auseinanderzusetzen“, stellt Sebastian John, Referent Fachkräfte und Zukunft der Arbeit bei der IHK für München und Oberbayern, fest. „Welche Werte haben sie? Wie stellen sie sich ihre Zukunft vor? Und zuallererst: Wie erreiche ich sie überhaupt?“

Z-ler wollen etwas bewegen

Wie also ticken die Jungen? „Natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren, aber es gibt Tendenzen“, sagt Kathrin Post-Isenberg, Referentin für Personalthemen beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA), das am Institut der deutschen Wirtschaft angesiedelt ist.

Sich vorrangig über Leistung im Job zu definieren wie die Eltern, das sei nicht unbedingt der Weg der Kinder. Sie möchten ihre Zeit auch für Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Diversität oder eine bessere Gesellschaft einsetzen: „Die Sinnfrage steht für diese Generation stärker im Vordergrund“, sagt die KOFA-Expertin. Es ist daher wichtig, zu vermitteln, was die Mitarbeitenden in und mit ihrem Job bewegen können und wofür das Unternehmen selbst steht.

Außerdem sehnten sich einige der Jüngeren nach Orientierung, beobachtet Post-Isenberg. Corona habe vielen die Peer-Groups und gewohnte Strukturen geraubt. Gleichzeitig seien sie mit dem Internet und jederzeit verfügbarem, grenzenlosem Wissen aufgewachsen. „Das steht in einem gewissen Widerspruch und kann bewirken, dass Leitplanken und Richtungsgeber fehlen“, meint Post-Isenberg. Wer Sicherheit als Arbeitgeber vermittle, könne eine starke Bindung zu dieser Generation aufbauen.

Einfacher Kontakt, rasches Feedback

Zugute kommt beiden Seiten die Digitalisierung, die auch im Recruitingprozess hilft. Denn die Z-ler sind schnelle, unkomplizierte Zugänge gewohnt: einfache Kontaktmöglichkeiten auf Websites, rasches Feedback, selbst gedrehte Bewerbungsvideos oder auch Bewerbungen via WhatsApp.

Entscheidend ist Agieren auf Augenhöhe. Darum geht es Jennifer Fahnenstiel. Sie ist Teamleiterin Personal und Ausbildung der Nürnberger Fürst Gruppe, einem Multidienstleister für Sauberkeit, Sicherheit, Personal und Outsourcing. Fahnenstiel ist 25 Jahre alt und weiß bestens, was die Jüngeren sich wünschen: mitgestalten können und Entwicklungspotenzial aufgezeigt bekommen.

Also geht Fahnenstiel voran. Sie lässt zum Beispiel Sarah Semmler (21), angehende Personalreferentin in der Ausbildung als Personaldienstleistungskauffrau, alle eingehenden Bewerbungen sichten und auch die ersten Gespräche mit potenziellen Kandidaten führen. „Sie soll von Anfang an Verantwortung übernehmen“, betont Fahnenstiel.

Azubis recruiten Azubis

Die Personalerin ist überzeugt, dass Vertreter der eigenen Generation junge Bewerber am besten „abholen“ können. Daher bauen einige Fürst-Azubis auch gerade einen eigenen TikTok-Unternehmenskanal auf. Die Crew plant alle Inhalte und produziert die Beiträge selbst. Schwer zu finden seien vor allem gewerbliche Auszubildende für die Gebäudereinigung. „Wir sind daher viel mit unseren Azubis in den Schulen zu Besuch für Fensterputzchallenges oder lassen die Schüler Reinigungsgeräte ausprobieren“, berichtet die Ausbildungsleiterin. Und auch hier gilt: zuhören.

Emotionale Begleitung einplanen

„Wir haben bemerkt, dass der vierwöchige Berufsschulblock in Metzingen für viele interessierte Schüler der erste längere Aufenthalt weiter weg von zu Hause ist. Das fällt einigen schwer.“ Deshalb bezahlt die Fürst Gruppe unkompliziert Zugtickets für Heimfahrten am Wochenende.

Zudem steht den Azubis eine Sozialpädagogin vor Ort zur Verfügung, die bei Sorgen weiterhilft. Diese Patin ist pensionierte Schuldirektorin einer Mittelschule und kennt die Lebenswirklichkeit der Jüngeren.    

IHK-Info: Azubi-Recruiting

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