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Die EU fragt vorab: Was halten Unternehmen von neuen Vorhaben?

Über EU-Konsultationen können sich Firmen an der europäischen Gesetzgebung beteiligen. Sie tragen dazu bei, Richtlinien und Verordnungen praxisnah zu gestalten.
 
Von Eva Müller-Tauber, IHK-Magazin 04/2024

Wenn die Europäische Union (EU) neue Gesetzesvorhaben mit Umweltbezug plant, wird Christian Leis hellhörig. Der Chemiker ist Verantwortlicher für betrieblichen Umweltschutz sowie Gefahrstoff- und Energiemanagement bei der ams OSRAM AG. Damit gehört er zu den ersten Ansprechpartnern für ökologische Themen, die sich auf die Unternehmensgruppe sowie deren Prozesse und Produkte auswirken.

Leis nimmt in Fragebögen der Europäischen Chemikalienagentur ECHA zu geplanten Gesetzesänderungen Stellung. Manchmal allerdings reicht das nicht aus. Dann bringt das Unternehmen seine Sichtweise in einer ausführlichen EU-Konsultation in die Gesetzgebung ein – so wie aktuell bei den Plänen zur Beschränkung von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS).

Die EU-Vorgaben sehen ein generelles Verbot der Herstellung, des Inverkehrbringens und der Verwendung von PFAS als solchen, als Bestandteil anderer Stoffe, in Gemischen und in Erzeugnissen oberhalb einer bestimmten Konzentrationsgrenze vor.

PFAS schwer zu substituieren

„Wird das so umgesetzt, würde sich das auf alle Bereiche unseres Unternehmens auswirken“, erklärt der Umweltschutzbeauftragte Leis. „Es gibt speziell bei unseren Prozessen und innovativen Produkten keine Möglichkeit, PFAS zeitnah und in entsprechender Qualität zu substituieren. Bei vielen Hightech-Produkten sind PFAS, da sehr stabil und beständig sowie nicht leitfähig, die Edellösung.“ Für das Unternehmen gibt es also viele Gründe, sich an der EU-Konsultation zu beteiligen.

Auch wenn sich erst in ein paar Monaten zeigen wird, welche und wie viele Verbesserungsvorschläge aus der Wirtschaft in die neue Gesetzgebung zu PFAS einfließen, ist der Manager überzeugt: „Würde es keine EU-Konsultationen geben, bei denen Unternehmen und Verbände zu Gesetzesvorhaben befragt werden und anbringen können, was es vor allem in der Praxis zu optimieren gilt – wir hätten viel mehr Verbote und noch viel weniger praktikable Vorgaben.“

Praxisferne Vorgaben entschärfen

EU-Konsultationen bieten Unternehmen Gelegenheit, Einfluss zu nehmen. Das gilt nicht nur für den Bereich Umweltschutz, in dem derzeit besonders viel reglementiert wird. „Unternehmen und Verbände haben über EU-Konsultationen die Chance, frühzeitig Umsetzungsprobleme aufzudecken und praxisferne Vorgaben zu entschärfen“, sagt Sabrina Schröpfer, Referentin Umweltpolitik bei der IHK für München und Oberbayern.

Bei Gesetzesvorgaben mit weitreichenden Konsequenzen für die Wirtschaft wie bei PFAS ruft die IHK daher ihre Mitgliedsunternehmen dazu auf, an EU-Konsultationen teilzunehmen. „Gleichwohl müssen sich die Betriebe bewusst sein, dass das nicht ohne Aufwand geht, zeitlicher wie finanzieller Art“, so die IHK-Expertin.

Gut argumentieren, Lösungen präsentieren

Um mit der Teilnahme an einer Konsultation etwas erreichen zu können, sollte die Stellungnahme professionell sein und Lösungsansätze beinhalten. Zu PFAS hat ams OSRAM deshalb zwar alles selbst dokumentiert und vorformuliert. „Aber wir haben zusätzlich eine auf Umweltgesetzgebung spezialisierte Beratungsfirma konsultiert, weil diese noch besser auf den Punkt bringen kann, worauf man wie eingehen sollte“, sagt Leis.

Ein wichtiger Ansatz in der Argumentation: „Die Chemikalienverordnung REACH sieht vor, nach einzelnen Stoffen vorzugehen und nicht pauschal ganze Substanzgruppen auszuschließen“, sagt der Manager. So sollte auch bei PFAS verfahren werden. Besser sei es, sinnvoll zu gruppieren und nach Gefährlichkeit zu priorisieren.

Teilnahme an Konsultationen „gelebter Prozess“

Zudem ließe sich über den richtigen Umgang mit Gefahrstoffen einiges regeln. So ergreift ams OSRAM intern Maßnahmen, damit die Chemikalien gar nicht erst in die Umwelt gelangen. In der LED-Produktion etwa werden die Chemikalien in der Produktionsanlage verbraucht und gereinigt beziehungsweise in eigens dafür vorgesehenen Anlagen zerstört.

Auch die BSH Hausgeräte GmbH München beteiligt sich immer wieder an EU-Konsultationen. „Bei uns ist das seit Jahren ein gelebter Prozess“, sagt Volker Korten, Abteilungsleiter Umweltschutz- und Arbeitssicherheit im BSH-Konzern. Sobald eine neue EU-Umweltregelung in Planung ist, ermittelt Korten mit seinem Team, welche Abteilungen und Materialien beziehungsweise Produkte des Unternehmens betroffen sind.

Austausch im Branchenverband

Er bespricht sich mit dem Top-Management und legt fest, inwieweit die Teilnahme an einer EU-Konsultation sinnvoll ist. Gegebenenfalls schreibt er ein Positionspapier. In der Regel findet auch ein Austausch innerhalb des zuständigen Branchenverbands statt, um die Kräfte zu bündeln und sich auf Positionen zu einigen. Oft schon konnten praxisferne Regelungen auf diese Weise entschärft werden, sagt Korten.

Der Umweltschutzexperte beobachtet, dass die Menge an Regulierungen zugenommen und sich der Schwerpunkt verlagert hat: „Früher ging es im Umweltbereich vor allem um neue Vorgaben zum Themenkomplex Energie. Heute stehen Reparaturindizes, digitaler Produktpass, Gefahrstoffe und so weiter im Zentrum solcher Konsultationen.“

Gute Ansätze, aber zu enge Fristen und Vorgaben

Was aus der Regulierung komme, sei vom Ansatz her oft begrüßenswert, stellt Korten fest. „Das Problem: Es lässt sich vieles so nicht umsetzen oder ist nicht sinnvoll – etwa Chemikalien zu verbieten, ohne dass geeignete Ersatzstoffe erprobt sind.“

Oft seien Fristen zu eng gesetzt. Bei manchen geplanten Vorgaben stünden Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis: So müssen alle energieverbrauchsrelevanten Produkte, die ein Energielabel tragen, in der EPREL-Datenbank registriert werden, bevor sie in Europa in Verkehr gebracht werden dürfen. „Das ist ein hoher bürokratischer Aufwand, dem leider nur sehr geringe Zugriffszahlen der Verbraucher gegenüberstehen“, moniert Korten.

Allianzen bilden, Kräfte bündeln

Sich bei geplanten Gesetzesvorhaben als Unternehmen einzubringen, bei umfangreichen sogar im Rahmen von EU-Konsultationen, hält der BSH-Umweltexperte für sinnvoll – auch für kleine Betriebe ohne entsprechende Manpower und finanzielle Ressourcen: „Diese Firmen sollten sich Allianzen suchen, etwa im Rahmen von Verbänden ihre Kräfte bündeln oder sich an die IHK wenden, um ihre Position zu vertreten.“

Ein nicht auf die Praxis ausgerichtetes Gesetz könne den Zugang zu Märkten erschweren oder sogar verhindern und gigantische Kosten im Unternehmen verursachen. Korten: „Da lohnen sich der Zeitaufwand und die Kosten für die Teilnahme an EU-Konsultationen allemal.“

Stichwort: EU-Konsultationen

Das Verfahren der EU-Konsultationen ist in Artikel 11 des EU-Vertrags festgeschrieben. Bei öffentlichen Konsultationen handelt es sich um direkte Befragungen zu europäischen Initiativen. Die IHK nimmt an relevanten Konsultationen teil, die sich in der Regel über 12 Wochen erstrecken.

In den meisten Fällen finden Konsultationen statt, bevor eine Richtlinie oder Verordnung vorgelegt wird. Interessenvertreter wie Unternehmensverbände und Behörden, aber auch Privatpersonen können dabei ihre Meinung zu einem bestimmten Themengebiet äußern sowie Hinweise und Bedenken direkt adressieren.

Zudem werden Konsultationen zu bereits erlassenen Gesetzen durchgeführt. Mit ihnen will die EU herausfinden, welche Erfahrungen die Bürger und Interessenvertreter mit der Anwendung eines bestimmten Gesetzes bisher gemacht haben und ob sie Anpassungsbedarf sehen. Die in Konsultationsbeiträgen geäußerten Bedenken und Ideen werden von der EU-Kommission geprüft und fließen gegebenenfalls in den Gesetzgebungsprozess ein.

Eine Liste der laufenden und der abgeschlossenen EU-Konsultationen findet sich auf der Website der EU-Kommission.

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