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Spitzenwert – München hat den höchsten Gewerbesteuerhebesatz in Oberbayern

Der Gewerbesteuerhebesatz ist für Firmen ein wichtiger Standortfaktor – und beeinflusst gleichzeitig entscheidend die Gemeindefinanzen. Die Festlegung ist ein Balanceakt.

Von Melanie Rübartsch, IHK-Magazin 07-08/2024

Für Taufkirchen hat der Blick zur Nachbargemeinde den Ausschlag gegeben. Dort, in Oberhaching, lag der Gewerbesteuerhebesatz mit 250 Prozent 60 Prozentpunkte unter dem eigenen – und trotzdem nahmen die Oberhachinger zuletzt regelmäßig mehr Geld ein. Anfang des Jahres zogen die Taufkirchener daher nach und senkten ihren Hebesatz ebenfalls auf 250 Prozent.

„Wir haben noch ausreichend Fläche, die wir zu Gewerbegebieten entwickeln können. Kombiniert mit dem nun niedrigeren Satz, lockt das hoffentlich weitere Unternehmen nach Taufkirchen“, sagt der Zweite Bürgermeister Michael Lilienthal (FW).

„Keinen Wettbewerb mit den Nachbarn anzetteln“

Taufkirchen liegt wie Oberhaching oder Grünwald (Hebesatz 240 Prozent) im Speckgürtel von München. Die Landeshauptstadt bittet Unternehmen mit satten 490 Prozent zur Kasse. Ein Grund, warum sich Betriebe immer häufiger auch im Münchner Umland nach einem Standort umschauen. „Wir sind dennoch bewusst nicht unter den Satz von Oberhaching gegangen, weil wir keinen Wettbewerb mit den Nachbarn anzetteln wollten“, sagt Lilienthal. Es sei nicht darum gegangen, in Oberhaching oder anderen Nachbargemeinden ansässige Unternehmen wegzulocken, sondern sich für Neuansiedlungen attraktiv zu machen.  

„Der Gewerbesteuerhebesatz ist ein wichtiger Faktor bei der Suche nach dem passenden Standort“, bestätigt Elisabeth Zehetmaier, Referentin Immobilienwirtschaft und Standortberatung bei der IHK für München und Oberbayern. Einmal im Jahr erhebt die IHK daher die Sätze im Kammergebiet (siehe Kasten unten). Ein zentrales Ergebnis der aktuellen Umfrage: 2023 lag der durchschnittliche Hebesatz der oberbayerischen Gemeinden mit 339 Prozent rund 50 Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt von 392 Prozent. Allerdings erhöhten doppelt so viele oberbayerische Kommunen wie im langjährigen Durchschnitt ihre Hebesätze.

Wichtigste kommunale Einnahmequelle

Für Gemeinden ist die Gewerbesteuer eine der wichtigsten Einnahmequellen. Sie brauchen die Steuern zur Finanzierung ihrer kommunalen Aufgaben: Betrieb von Schulen und Kitas, Straßenbau, sozialer Wohnungsbau, öffentliche Sicherheit, Kultur, Umwelt- und Naturschutz – und nicht zuletzt Wirtschaftsförderung.

Finanzbedarf versus Standortattraktivität

Die Gewerbesteuer ergibt sich, vereinfacht gesagt, aus dem (um Hinzurechnungen und Kürzungen angepassten) Gewerbeertrag, der zunächst mit der bundesweit einheitlichen Steuermesszahl (aktuell 3,5 Prozent) und dann mit dem Hebesatz der Gemeinde multipliziert wird. Über diesen Hebesatz hat es die Kommune also selbst in der Hand, die Höhe ihrer Einnahmen zu regulieren. „Bei der Festsetzung des Hebesatzes muss die Kommune jedoch immer ihren eigenen Finanzbedarf mit der Attraktivität der Gemeinde als Wirtschaftsstandort abwägen“, sagt Zehetmaier. Eine ständige Gratwanderung.

Ausgaben der Kommunen wachsen stetig

Welche Überlegungen dabei eine Rolle spielen können, zeigt das Beispiel Geretsried. Die Stadt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hat den Hebesatz 2016 nach längeren Kalkulationen und Debatten von 320 Prozent auf 380 Prozent angehoben. „Nicht nur die Anzahl der zu finanzierenden Aufgaben war zuvor stetig gewachsen, sondern auch die Kosten der bereits zu stemmenden Bereiche“, erklärt Kämmerer Helge Balbiani.

Standen etwa für die kommunal organisierte Kinderbetreuung 2005 Ausgaben von 1,9 Millionen Euro in den Büchern, waren es 2016 bereits 5,1 Millionen Euro. Hinzu kamen wichtige geplante Projekte, für die die Verwaltung gern ein höheres Liquiditätspolster vorhalten wollte. Etwa der Bau einer neuen Mittelschule sowie der geplante Bau von gleich 3 S-Bahnhöfen, die den lang ersehnten schnellen Anschluss an München bringen sollen. „Solche Investitionen sind schlussendlich ebenfalls Argumente für einen Standort – gute Infrastruktur für die Familien der Mitarbeitenden, gute öffentliche Verkehrsverbindungen“, sagt Balbiani.

Unternehmen nicht übermäßig belasten …

Die Gemeinde wollte bei der Erhöhung möglichst behutsam vorgehen. „Wir haben so gerechnet, dass die Gesamtsteuerbelastung der Unternehmen inklusive der Gewerbesteuer vor Ort unter 30 Prozent bleibt. 90 Prozent der rund 1.000 hier ansässigen Betriebe zahlen seit 2016 auch nur maximal 2.000 Euro Gewerbesteuern pro Jahr mehr“, so der Kämmerer. Von vornherein stand zudem fest, dass 380 Prozent die Grenze sein würde. Ein Grund: Bis zu diesem Faktor konnten Personengesellschaften die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer anrechnen. Am 1. Januar 2020 wurde die Grenze auf 400 Prozent erhöht. Außerdem wollte Geretsried die Hebesätze der Nachbarstädte Bad Tölz und Wolfratshausen nicht überschreiten.

... und am Standort halten

„Unser Bürgermeister hat damals viel mit Vertretern der kommunalen Wirtschaft gesprochen, um Verständnis geworben, die Vorgehensweise erläutert“, sagt Balbiani. Insbesondere von den großen Unternehmen wie dem Flüssiggashersteller Tyczka Energy GmbH oder den Chemiefirmen Rudolf GmbH und Pulcra Chemicals GmbH ist keines abgewandert. Mit dem Tiefkühlpizzabäcker Gustavo Gusto GmbH & Co. KG kam sogar ein großer Mittelständler erst nach der Erhöhung in die Stadt.

„30 Prozent ist die absolute Grenze“

Andreas Bensegger ist Geschäftsführer des Bürospezialisten BENSEGGER GmbH in Rosenheim und in Stadt und Kreis bestens vernetzt und verwurzelt. „Wir zahlen gern Steuern, weil wir auch etwas für die Region, in der wir wirtschaften und leben, tun wollen“, sagt der Unternehmer, der zugleich dem IHK-Regionalausschuss Rosenheim vorsitzt.

Dennoch müssten die Gemeinden mit Augenmaß vorgehen und nicht nur die Gewerbesteuer, sondern die Steuerbelastung der Unternehmen insgesamt berücksichtigen: „30 Prozent durchschnittliche Steuerbelastung ist die absolute Grenze – insbesondere wenn man im Blick hat, dass in der EU der Durchschnitt bei gerade einmal 21 Prozent liegt. In Österreich sind es 24 Prozent.“

Gefahr der Abwanderung

Die Folgen einer zu hohen Belastung seien weder für die Kommunen noch für die heimischen Unternehmen positiv. Bensegger: „Wer kann, verlegt Teile der Wertschöpfung ins Ausland, andere Betriebe hören auf oder kümmern sich nicht mehr um eine Nachfolge.“

Schnell, zuverlässig, auf Augenhöhe

Für den Unternehmer ist der Hebesatz allerdings nicht der einzige Standortfaktor, auf den die Gemeinden Einfluss haben. „Mindestens genauso entscheidend sind die Prozesse vor Ort. Zuverlässigkeit und die Dynamik bei Entscheidungen etwa zum Ausbau von Gewerbeflächen oder Baugenehmigungen.“ Kommunen und die dort ansässige Wirtschaft müssten sich noch mehr als Partner auf Augenhöhe verstehen, die miteinander planen, um am Ende die Region zu stärken.

In Taufkirchen jedenfalls scheint die Senkung des Hebesatzes etwas zu bewegen. Bürgermeister Lilienthal: „Wir sehen, dass die Anfragen und das Interesse deutlich gestiegen sind, und wir befinden uns bereits in finalen Verhandlungen für eine erste neue Ansiedlung.“   


GESTIEGENE HEBESÄTZE

Im vergangenen Jahr erhöhten 38 der 500 oberbayerischen Gemeinden ihren Gewerbesteuerhebesatz, das sind doppelt so viele wie im langjährigen Durchschnitt. In den 9 Jahren vor 2023 war es insgesamt zu 129 Erhöhungen der Gewerbesteuerhebesätze gekommen, im Schnitt sind das 14 Anhebungen jährlich. Dies hat eine aktuelle Auswertung der IHK für München und Oberbayern ergeben.

Oberbayern deutlich unter Bundesdurchschnitt

Insgesamt betrug 2023 der durchschnittliche Hebesatz in Oberbayern 339 Prozent und damit deutlich weniger als der bundesweite Durchschnitt mit 392 Prozent. Die Spanne der oberbayerischen Hebesätze reicht von 240 Prozent in Grünwald, Pöcking, Stammham und Bad Wiessee bis hin zu 490 Prozent in München (siehe Karte).

560 Millionen Euro gehen an den Bund

Nach der Coronakrise mit deutlichen Einbrüchen bei den Gewerbesteuereinnahmen lag das Aufkommen in Oberbayern 2023 bei 6,7 Milliarden Euro. Davon mussten die Kommunen 560 Millionen Euro als Gewerbesteuerumlage an Bund und Länder abführen. Der verbleibende Betrag machte im Vorjahr 53 Prozent der kommunalen Steuereinnahmen aus.

IHK-Info zur Gewerbesteuer

Weitere IHK-Informationen zur Gewerbesteuer hier. 

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