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Haben ihr Unternehmen quasi neu erfunden – die GoodIP-Gründer Linus Kohl, Bastian July und Sebastian Hugl (v.l.)

Was tun, wenn das Geschäftsmodell nicht (mehr) funktioniert? Die Gründer von GoodIP mussten sich binnen weniger Monate neu orientieren, nachdem Corona ihr ursprüngliches Geschäftsmodell ausgebremst hatte.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 10/2021

Der Durchbruch war zum Greifen nah: Die Plattform zur Schwarmbewertung von Patenten stand, erste Umsätze wurden erzielt, weitere Kunden, darunter ein namhaftes Großunternehmen, planten Pilotprojekte mit einem Auftragsvolumen von mehreren Millionen Euro. Doch dann kam Corona – und die Verkaufsprozesse der Patente, die auf der damaligen Plattform der GoodIP GmbH analysiert werden sollten, wurden angesichts der unsicheren Wirtschaftslage abrupt beendet. »Im Frühjahr 2020 zeichnete sich ab, dass sämtliche Projekte nicht umgesetzt werden«, erinnert sich Bastian July (44), der das Münchner Start-up 2017 gegründet hat.

Gamification als Anreiz für Rezensionen

Dieser pandemiebedingte Tiefschlag bewog July und Mitgründer Sebastian Hugl (32), ihr gesamtes Businessmodell zu überdenken. »Unsere ursprüngliche Idee war, mithilfe von Schwarmintelligenz eine Art Trip Advisor für Patente zu werden, die zum Verkauf standen«, erklärt July. Auf der Plattform von GoodIP wurden Experten aus aller Welt dazu eingeladen, Patente zu analysieren und zu bewerten. Dieser Service bot eine Alternative zur Evaluierung des Werts von Patenten durch Patentanwälte oder Beratungsgesellschaften. »Allerdings war es durchaus eine Herausforderung, eine kritische Masse an qualifizierten Rezensenten zu erreichen«, räumt Hugl ein. »Es gelang uns mit Incentives, Bezahlmodellen und Gamification, also spielerischen Elementen, die als Anreiz dienten.«

Die strategischen Überlegungen rund um ein neues Geschäftsmodell wurden nicht zuletzt von Linus Kohl (35) beeinflusst. Den Softwareentwickler und Experten für künstliche Intelligenz (KI) lernten Hugl und July über das Accelerator-Programm der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität kennen. »Mithilfe von KI können Patentdaten, die ja grundsätzlich offen zugänglich sind, schnell und vor allem auch objektiv analysiert werden«, erklärt Hugl. »Ein erfahrener Experte kann pro Tag zwischen zehn und 15 Patente lesen und hat danach ein gutes Gefühl dafür, wie es um ihre Qualität bestellt ist.«

Binnen Sekunden Tausende von Patenten bewerten

Eine KI hingegen könne binnen Sekunden Tausende von Patenten lesen, strukturieren und neutral bewerten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die KI vorab mit genügend validen Trainingsdatensätzen gefüttert wurde, um durch Vergleiche aussagekräftige Ergebnisse zu liefern. Im Mai 2020 fiel die Entscheidung, künftig auf die Patentanalyse durch künstliche Intelligenz zu setzen, und Kohl wurde als Chief Technology Officer an Bord geholt.

»Gewisse nervliche und finanzielle Belastung«

Bis heute gab das Team von GoodIP rund 700.000 ausgewählte Datensätze echter Patente in sein System ein. »Das war eine Mammutaufgabe, die viel Kreativität und Arbeitszeit gekostet hat«, sagt Hugl. »Ganz zu schweigen davon, dass es natürlich auch eine gewisse nervliche und finanzielle Belastung war, GoodIP quasi komplett neu zu erfinden.«

Während der Konzeption der KI führte das Start-up mit zahlreichen potenziellen Kunden aus seinem Netzwerk Interviews, um herauszufinden, welche Aspekte der Patentanalyse für sie relevant sind. »Dabei zeigte sich, dass viele Entscheider das Patentportfolio ihres Unternehmens nicht wirklich gut kennen«, sagt Hugl. »Sie können schwer einschätzen, welches Wissen in ihren Patenten schlummert und ob es noch zu den Geschäftsfeldern und zur Produktstrategie passt.

Häufig ist auch unklar, wie gut die einzelnen Patente geschrieben sind und wie hoch deren Schutzwirkung ist.« Eine Patentanalyse durch die KI von GoodIP beantwortet daher nicht nur Fragen zu Inhalt und Qualität der Patente, sondern unterstützt auch dabei, diese zu verbessern und damit den Schutz des geistigen Eigentums eines Unternehmens zu erhöhen.

Immaterielle, schlummernde Werte in Patenten

Im September 2020 war die KI leistungsfähig genug, um valide Patentanalysen vorzunehmen. Dass einige der Interviewpartner erste Aufträge platzierten, zeigte den Unternehmern, dass sie mit ihrer Neuausrichtung richtig lagen. Mittlerweile arbeitet das Start-up operativ profitabel. »Unsere Hauptzielgruppen sind große, technisch orientierte Unternehmen mit umfangreichen Patentportfolios. Aber auch für schnell wachsende Unternehmen vor einem Börsengang oder dem Exit eines Gründers oder Partners kann die Bewertung ihrer Patente wichtig sein«, erklärt Hugl. »Außerdem interessiert sich natürlich der Finanzmarkt, von der Hausbank bis hin zu Investoren, für die immateriellen Werte, die in Patenten schlummern.«

Derzeit arbeitet GoodIP zudem an einem KI-Verfahren, mit dem analysiert werden kann, wie viele nachhaltige Technologien in den Patenten stecken. »Innovationen sind schließlich ein großer Hebel, um den Klimawandel abzumildern«, sagt Hugl. »Die Unternehmen investieren viel Geld in das Thema Cleantech.«

Entrepreneurship als Entwicklungsthema

Zu den Kunden zählen unter anderem die Giesecke + Devrient GmbH, das Medizintechnikunternehmen neurocare group AG, das US-Automotive-Unternehmen ESS sowie die Osram AG, die zudem als Startinvestor fungiert. Das Osram-interne Programm für Führungskräftenachwuchs gab sogar den Impuls zur Gründung von GoodIP: Einer der Teilnehmer war Rechtsanwalt July, der sich nach Jurastudium und Promotion sowie beruflichen Stationen in einer US-Großkanzlei und bei einer Ausgründung von Infineon damals in der Osram-Rechtsabteilung um Lizenzen und Patente kümmerte. »Entrepreneurship war ein Thema dieses Global Talent Programs bei Osram«, erinnert er sich. »Da ich erkannt hatte, wie viel ungenutztes Wissen in Patenten schlummert, beschloss ich, ein Unternehmen zu gründen, das dabei hilft, dieses Know-how zu erschließen.«

»Heute froh über Corona und erzwungene Neuausrichtung«

In Hugl, der bereits neben dem Studium zum Wirtschaftsingenieur sein erstes Unternehmen gegründet und bei der Workaround GmbH den Logistikmarkt für deren Marke ProGlove aufgebaut hatte, fand er einen Partner für die Business-Seite. Mit Kohl, der ebenfalls einige Firmen gegründet und die Softwareentwicklung von Start-ups geleitet hatte, ist das Managementteam der GoodIP GmbH komplett. Der Schock wegen der pandemiebedingten Stornierungen der ersten Aufträge ist längst überwunden: »Heute sind wir froh darüber, dass uns Corona zu einer Neuausrichtung des Unternehmens gezwungen hat«, sagt Hugl abschließend. »Der Ansatz der Patentbewertung durch künstliche Intelligenz hat eindeutig den größeren Mehrwert – für alle Beteiligten.«

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