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Bereiten die nächste Finanzierungsrunde vor – MinQi-/Winyasa-Gründerinnen Jasmin Rimmele (l.) und Delphine Colin

Gründerinnen erhalten für ihre Ideen noch immer deutlich weniger Wagniskapital als Gründer. Wie lassen sich die Startbedingungen für Unternehmerinnen verbessern?

Von Melanie Rübartsch, IHK-Magazin 04/2023

Der Jungenanteil an dem Pariser Lycée, das Delphine Colin besuchte, lag bei mehr als 80 Prozent und in ihrer Freizeit spielte sie als Jugendliche unter anderem Rugby. Man kann also durchaus sagen, dass die gebürtige Französin früh gelernt hat, die Spielregeln geschlechterübergreifend zu verstehen und in kompetitiven Umfeldern zu überzeugen. Dass sie sich seit 2019 nun auch als Gründerin ihres Münchner Start-ups Winyasa GmbH häufig gegen andere durchsetzen muss, sieht die Mittdreißigerin daher als Ansporn.

Das Unternehmen hat MinQi entwickelt, eine Plattform mit kurzen digitalen Sessions und Trainings für erhöhte Produktivität sowie mentale Fitness und körperliches Wohlbefinden von Mitarbeitenden. „Wir leben in einer immer digitaleren Arbeitswelt, die von Multitasking und ortsübergreifender Zusammenarbeit geprägt ist", sagt die promovierte Ökonomin. Sie wollte ein Angebot schaffen, mit dem Organisationen und Führungskräfte durch kurze und gut in den Arbeitstag integrierbare Routinen resiliente, positive und sozial verbundene Teams aufbauen können. Die Wirksamkeit der Minutensessions konnten Colin und ihr Team durch eine wissenschaftliche Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München belegen.

Investoren mit Qualität überzeugen

„Das Thema mentale Gesundheit bekommt immer mehr Bedeutung auf dem Markt – unabhängig von Unternehmensbranche oder -größe. Wir haben schon viele große Kunden im Portfolio und die Nachfrage steigt stetig", sagt Colin. Dass sie und Mitgründerin Jasmin Rimmele (32) vollkommen überzeugt von der Idee sind und den Markt durch und durch analysiert haben, war beim Einsammeln von Kapital für ihr Unternehmen essenziell. „Speziell bei dem aktuell limitierten Zugang zu Wachstumskapital ist es umso wichtiger, dass Start-ups Qualität zeigen", sagt Rimmele, die die Wachstumsstrategie des Unternehmens verantwortet.

Nicht nachgeben, immer einen Schritt voraus sein und sich gut vernetzen – das alles hat geholfen, heute zum Beispiel mit den Venture-Capital-Firmen APX und Plug and Play Ventures US sehr namhafte Kapitalgeber an Bord zu haben. Inzwischen agieren die Frauen gemeinsam mit Naum Shapkarovski und Cornelius Bauer als gemischtes Führungsteam. Sie bereiten sich gerade für die nächste Finanzierungsrunde vor: Über zwei Millionen wollen sie einsammeln, um die Basis für die Internationalisierung legen zu können.  

Weniger Venture Capital für Frauen

Delphine Colin und Jasmin Rimmele sind als Frauen immer noch Solitäre innerhalb der Gründerszene. Nach dem jüngsten Female Founders Monitor des Bundesverbands Deutsche Startups e.V. liegt der Anteil der Gründerinnen in Deutschland bei 20 Prozent. In gerade einmal 37 Prozent der Gründungsteams ist zumindest eine Frau vertreten. Auffällig ist zugleich, dass sich die Finanzierung von Start-ups sehr deutlich nach dem Geschlecht unterscheidet: Frauenteams erhalten mit 1,1 Millionen Euro im Schnitt sehr viel weniger Kapital als Männerteams (9,7 Millionen). 84 Prozent der Gründerinnen sagen zudem, dass sie bei Investmententscheidungen kritischer hinterfragt würden als Männer.

Erfolgreiche Role-Models sichtbar machen

„Diese Aussage ist umso bedeutsamer, wenn man bedenkt, dass 96 Prozent aller VC-Gesellschaften nur Männer in der Leitung haben", sagt Elfriede Kerschl, Referatsleiterin Fachkräfte, Weiterbildung, Frauen in der Wirtschaft der IHK für München und Oberbayern. Um Gründerinnen bessere Ausgangschancen zu verschaffen, seien Änderungen im System erforderlich. „Es geht darum, unterbewusste Entscheidungsmuster bewusst zu machen, mehr Investorinnen zu gewinnen und zugleich erfolgreiche Gründerinnen als Vorbilder für andere junge Frauen sichtbar zu machen", so Kerschl.

Netzwerke für Finanzierung und Mentoring

Frauen zu ermutigen – genau dieses Ziel hat sich der bundesweit agierende Verein encourageventures gesetzt, um mehr Diversität in die Start-up- und Investitionslandschaft zu bringen. Er führt gezielt Investorinnen mit Gründerinnen oder Unternehmerinnen zusammen und begleitet Finanzierungen von der Idee bis zum Börsengang. „Vor allem ehemalige Gründerinnen sind als Business Angels wertvolle Partnerinnen. Sie fungieren nicht nur als Geldgeberinnen, sondern zugleich als Mentorinnen", sagt Vanessa Fischer, Co-Geschäftsführerin des Vereins und Start-up-Betreuerin. Sie ist überzeugt davon, dass Frauen als Geldgeberinnen weitere Perspektiven, wie zum Beispiel einen nachhaltigen Blick auf ein Investment, mitbringen. Ein Blick, der Strategien von diversen Gründungsteams entgegenkommt.

Gründung als Karrierealternative

Wichtiges Ziel des Vereins ist zugleich: den Weg des Gründens für Frauen als denkbare Karrierealternative normaler werden zu lassen. „Je mehr positive Beispiele wir von Unternehmerinnen zeigen, die auch Privatleben und Start-up unter einen Hut bekommen, desto weniger Berührungsängste haben junge Frauen mit dem Thema", so Fischer.

Selbstständigkeit auf dem Uni-Lehrplan

Viel hat sich in den vergangenen 15 Jahren an dieser Stelle bereits getan, meint Annemarie Grund, Beraterin bei der BayStartUP GmbH, einem zentralen Netzwerk für Start-up-Finanzierung in Bayern: „Allein, dass das Thema Gründung viel stärker in den Fokus der universitären Ausbildung gerückt ist, ist ein großer Schritt." Wenn sich jetzt noch mehr Mädchen für MINT-Fächer begeistern könnten, würden sich automatisch auch die weiblichen Start-ups vermehren, glaubt sie.

Funktionieren oft gut: gemischte Teams

Nach wie vor entstehen im informationstechnologischen, mathematischen oder naturwissenschaftlichen Umfeld die meisten Ideen vor allem für technik- und IT-basierte Gründungen. Aus Sicht der BayStartUP-Beraterin dürfe es sich heute gar nicht mehr rein um die Frage „Frauen- oder Männerteams?" drehen: „Es setzt sich zunehmend die Überzeugung durch, dass Start-ups dann besonders gut funktionieren, wenn sie divers besetzt sind. Auch Investoren achten immer mehr darauf", so ihre Beobachtung. Zur reinen Lösungskompetenz müssten sich eben auch Problembewusstsein und kommunikative Stärke gesellen – beides Stärken, die eher Frauen zugeschrieben werden, meint Grund: „Bei Pitches von ‚gemischten‘ Start-ups erlebe ich bereits häufiger, dass Frauen den Pitch halten, also die Lösung ins große Ganze einordnen und den Draht zu den Investoren aufbauen, während die Männer den technischen Teil übernehmen." 

Wertvolles Feedback von Investoren

Will man ergründen, warum Frauen oft weniger Kapital einsammeln als Männer, muss man auch einen Blick auf die Themen werfen, die Frauenteams typischerweise besetzen. Anouk Harde (31), Swantje Benussi (58) und Nadine Priessnitz (31) sind angetreten, um mit ihrem Münchner Start-up onesome den Coachingmarkt zu revolutionieren. Die drei haben eine App entwickelt, mit der Firmen ihren Mitarbeitern kostengünstig persönliche Entwicklung auf hohem Niveau ermöglichen können. „Viele Investoren, gerade männliche, haben keine Erfahrung mit Personalthemen. Allerdings ist für die meisten wichtig, in Themen zu investieren, bei denen sie sich selbst auskennen", weiß Harde.

Sie und ihre Mitgründerinnen haben viel Zeit darauf verwendet, sich für ihre nächste Finanzierungsrunde Venture-Capital-Firmen und Family Offices genau anzusehen. Wer kennt sich mit HR-Themen aus, wer investiert hauptsächlich in Unternehmen, die einen sozialen oder nachhaltigen Einfluss haben?

„Unsere erste Finanzierung konnten wir über Friends and Family einsammeln", berichtet Harde. Was nicht bedeutet, dass die Investoren nicht kritisch nachgefragt hätten. Im Gegenteil: „Sie wollten ganz genau verstehen, was wir planen, wie wir vorgehen und wie wir die notwendigen Aufgaben abdecken können. Da waren oft Fragen dabei, die herausfordernd waren – aber gerade die haben uns weitergebracht." Für die drei Gründerinnen sei es extrem wertvoll, aus ihrem Investorennetzwerk regelmäßig Feedback und Tipps einzufordern.

Gern größer denken

Einer dieser Tipps war, sich selbst nicht unter Wert zu verkaufen. „Das ist vermutlich wirklich typisch weiblich", sagt die studierte Psychologin Harde lachend. „Frauen können durchaus groß denken, trauen sich aber oft nicht, das auszusprechen." Übrigens auch ein Grund, warum die Finanzierung von Frauenteams oft geringer ausfällt. Der Business Case wird konservativer gerechnet – zunächst geht es darum, in das Produkt zu investieren und nicht erst die ganz große Marketingmaschinerie anzuwerfen.

Bei onesome hängt das Bild eines Zebra-Einhorns im Büro. Zebra-Start-ups stehen für nachhaltiges und solides Wachstum. Die Einhörner unter den Start-ups sind diejenigen, die Milliarden-Bewertungen erzielen. Harde sagt: „Wir vereinen beide Richtungen miteinander." 

IHK-Service: Netzwerken für Unternehmerinnen

Sich vernetzen, austauschen und besser Kapital finden – hier gibt es Unterstützung:

  • Die IHK für München und Oberbayern vernetzt Gründerinnen über die Social-Media-Plattformen LinkedIn und Facebook.
  • Auch die IHK-Website für Unternehmerinnen bietet viele Informationen.
  • Die Netzwerke encourageventures und Evangelistas bringen Gründerinnen und Investorinnen zusammen. Über die Finanzierung hinaus geht es um Mentoring und einen Peer-to-Peer-Austausch.
  • BayStartUP ist das Netzwerk für Start-ups, Investoren und die Industrie. Als zentrale Institution für Start-up-Finanzierung in Bayern unterstützt es innovative Gründer beim Firmenaufbau und bei der Suche nach Gründungs- und Wachstumskapital.

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