Diversifikation als Erfolgsrezept

Vom Ingenieurbüro zum weltweit tätigen Unternehmen: Die HÖRMANN Gruppe ist in 70 Jahren fast nur gewachsen. Jetzt gilt es, die konjunkturelle Delle zu bewältigen.
Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 03/2025
Ab und zu kommt es vor, dass sich ein Anrufer nach Garagentoren oder Türen erkundigt. Eine Firma namens HÖRMANN im nordrhein-westfälischen Steinhagen vertreibt genau diese Produkte. Eine seltene Verwechslung: Denn die HÖRMANN Gruppe mit Hauptsitz im oberbayerischen Kirchseeon ist Ansprechpartner für innovative B2B-Lösungen.
Die HÖRMANN Industries GmbH ist ein Technologiespezialist, der in den 4 Bereichen Automotive, Communication, Intralogistics und Engineering tätig ist. Der Familienkonzern mit mehr als 2.900 Mitarbeitern und 30 Tochtergesellschaften hat 2023 einen Umsatz von gut 830 Millionen Euro erwirtschaftet. Die Kunden des Unternehmens sind weltweit zu finden. Die HÖRMANN Gruppe ist mit ihren Gesellschaften hauptsächlich in Deutschland vertreten, daneben zum Beispiel in Österreich, der Slowakei, Bulgarien und Polen.
70. Firmengeburtstag – und der Gründer feiert mit
Gegründet wurde das Unternehmen 1955 von Ingenieur Hans Hörmann als Ingenieurbüro für die Projektierung, den Bau und die Prüfung von Blitzschutzanlagen. In diesem Jahr begeht die Gruppe demnach ihr 70-jähriges Bestehen. Schön ist, dass der Firmengründer mitfeiern kann. Der 96-Jährige ist Ehrenvorsitzender des Beirats und kommt noch immer zeitweise ins Büro.
Nicht ganz so schön ist, dass der Mittelständler ausgerechnet 2024 – und voraussichtlich auch im Jubiläumsjahr 2025 – nicht wie all die Jahre zuvor gewachsen ist, sondern Einbußen vermelden muss. Nach 2023, dem laut CEO Michael Radke „besten Umsatz in der Geschichte“, und einem immensen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr von knapp 686 Millionen Euro 2022 auf knapp 831 Millionen Euro 2023 zeigen die Halbjahreszahlen 2024 ein Umsatzminus von rund 12 Prozent.
Automotive trübt Gesamtergebnis
„2024 konstatieren wir einen deutlichen Rückgang“, sagt Radke. „Im Bereich Automotive haben wir einen Auftragseinbruch von bis zu 30 Prozent.“ Dieser drückt, auch wegen des hohen Umsatzanteils von knapp einem Drittel, das Gesamtergebnis.
Radkes Erklärung: „Deutschland durchläuft eine konjunkturelle Delle, wie ich sie noch nie erlebt habe.“ Für das Unternehmen bedeute das eine „große Herausforderung“. Aber der Geschäftsführer sieht auch Licht am Ende des Tunnels. „Frühestens im Jahr 2026 erwarte ich positive Impulse, die Investitionsbereitschaft wird dann hoffentlich wieder anziehen.“
Nach 68 Jahren Dauerhoch gestoppt
Für das Unternehmen ist dies eine ungewohnte Situation. 68 Jahre lang dokumentierte Gründer Hans Hörmann Wachstum. Er konnte seinen Leitsatz „Potenziale erkennen, Wachstum gestalten und auf Basis einer klaren Strategie handeln“ immer umsetzen. Schon im ersten Jahr nach der Gründung wuchs sein 2-Mann-Betrieb auf 10 Monteure.
Immer wieder erkannte Hörmann Potenziale und handelte entsprechend. Zum Beispiel 1965, als die Firma sich dem Sirenengeschäft zuwandte und bald zum Marktführer für Warnsysteme wurde. Wenige Jahre später schaffte das Unternehmen durch Elektroinstallationen für das neue Volkswagen-Werk in Salzgitter den Einstieg in die Industrietechnik. Anfang der 1970er-Jahre avancierte es aufgrund seiner neu entwickelten netzunabhängigen Pressluftsirene zum Weltmarktführer im Sirenenbau.
Mit eigenem Zug zum Firmenausflug
Außerordentliches Wachstum gelang nach dem Fall der Mauer. 1989 gründete das Unternehmen in Chemnitz die HÖRMANN Barkas GmbH. Die Mitarbeiterzahl stieg rasant. Bereits 1990 arbeiteten „so viele Menschen bei HÖRMANN, dass ein eigener Zug für den Firmenausflug gebraucht wird“, heißt es auf der Website.
Nun aber steckt Deutschland in einer Rezession und Radke, seit 2017 CEO von HÖRMANN Industries, muss sie meistern. Er managte bereits die Coronajahre und bewältigte die ein oder andere weitere Herausforderung. Das HÖRMANN-Rezept lautet: Diversifikation. „Der Bereich Communication ist profitabel“, sagt Radke. „Wir sind Marktführer für Zugfunksysteme und Bevölkerungswarnsysteme.“
Auch der Bereich Intralogistics, der Automatisierungstechnik und hochautomatische Lagersysteme beinhaltet, sei profitabel. Im Engineering setze man aktuell vor allem auf den Wachstumsmarkt Indien. „Mit dieser breiten Aufstellung sind wir resilient und stabil“, sagt er.
Zugfunk, E-Mobilität und KI-Spezialeinheit
Außerdem etablieren die Oberbayern stetig neue Wachstumsfelder. Der Zugfunk ist eines davon. Dabei geht es um die verbesserte Kommunikation zwischen dem Lokführer und der Fahrdienstzentrale durch die Umstellung auf den Mobilfunkstandard 5G. Ein weiteres noch junges Feld ist die E-Mobilität bei Nutzfahrzeugen, insbesondere Lkws. „Um die Anforderungen umzusetzen, investieren wir derzeit 16 Millionen Euro in die Modernisierung unseres Werks in Hessen“, sagt Radke. Ein anderes Projekt für die Zukunftssicherung siedelte das Unternehmen in Chemnitz an. In Sachsen werden wasserstoffbetriebene Straßenbahnen entwickelt.
Über allem schwebt das Megathema künstliche Intelligenz. Um KI für das Unternehmen gewinnbringend nutzen zu können, hat das Unternehmen 2020 die mit 10 Spezialisten besetzte Einheit „HÖRMANN Digital“ ins Leben gerufen. Die Mitarbeiter dieses „Start-ups“ optimieren die Geschäftsprozesse, entwickeln neue Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen.
Traineeprogramm für Talente
Forschung und Entwicklung haben grundsätzlich einen hohen Stellenwert im Unternehmen. Im Engineering entwickelt die Firma neue Anwendungsgebiete wie das autonome Fahren bei Straßenbahnen. „Beim mannlosen Transport ist vor allem die Überwachung entscheidend“, sagt Radke. Um die Zukunft zu gestalten, wurde zudem ein Traineeprogramm aufgelegt, das talentierte junge Leute mit wenigen Jahren Berufserfahrung an verantwortungsvolle Positionen heranführt.
Gespart wird derzeit nur im Bereich Automotive. Aktuell sind weniger Mitarbeiter beschäftigt als noch vor 1 Jahr. Befristete Verträge lässt man auslaufen, Leiharbeiter wurden abgebaut. In anderen Berufsgruppen, etwa in der Elektrik oder der Montage, stellt das Unternehmen weiterhin ein.
Familiennachfolge in Aussicht
Radke will den Aufschwung herbeiführen. „Ich denke noch nicht ans Aufhören, ich habe viel Spaß am Gestalten der Zukunft“, sagt der 65-Jährige. Gleichzeitig wirkt der Nachwuchs bereits im Unternehmen, das sich zu 100 Prozent in Familienhand befindet. Hans Hörmanns jüngste Tochter Anna ist seit geraumer Zeit im Betrieb tätig. Sie leitet geschäftsführend den Bereich Warnsysteme.