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Mühle im Zentrum

Thorsten Jochim ©
Ganz spezielle Mehle: Prokuristin Martina Blum-Lemberger und Geschäftsführer Stefan Blum begutachten den Mahlgrad

Seit 100 Jahren betreibt die Unternehmerfamilie Blum die Hofbräuhaus-Kunstmühle mitten in München. Ausstattung und Mahlverfahren sind historisch-traditionell. Bei der Vermarktung der Mehle setzt das Unternehmen aber längst auch aufs Internet.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 11/2021

Dass im Herzen der Innenstadt, direkt neben dem »Mandarin Oriental«, Mehl gemahlen, verpackt und verkauft wird, wissen wohl die wenigsten Münchner. Auch die Gäste des Nobelhotels merken nichts davon, dass gleich nebenan Mehl produziert wird. In den Räumen der Hofbräuhaus-Kunstmühle, die an das Hotel angrenzen, befinden sich die Getreidesilos. Die historischen Mühlen, Experten nennen sie Walzenstühle, mahlen im nächsten Raum. »Sie sind seit exakt 100 Jahren in Betrieb und arbeiten nach wie vor tadellos«, erklärt Stefan Blum (60), Geschäftsführer der Hofbräuhaus-Kunstmühle GmbH & Co. KG. Sein Urgroßvater, der Bäckermeister Jakob Blum, hatte die Mühle und das Gebäude in der Münchner Neuturmstraße 1921 erworben.

Teil des »Königlichen Weißen Bräuhauses« am Platzl

Gemahlen wird an diesem Ort allerdings schon einige Jahrhunderte länger: Bereits auf dem hölzernen Stadtmodell von 1570, das im Münchner Stadtmuseum ausgestellt wird, ist an dieser Stelle eine Malzmühle zu sehen. 1703 ging sie in den Be- sitz der Wittelsbacher über, ab 1806 wurde sie zur »königlichen Malzmühle« und Teil des »Königlichen Weißen Bräuhauses« am Platzl. In den Jahren nach 1870 wurden die alten Brauereigebäude abgerissen und das heutige Hofbräuhaus errichtet. Die Mühle wurde verkauft und für die Produktion heller Mehle aus Weizen umgebaut.

Weizenmehle bilden auch heute noch den wichtigsten Teil der Produktpalette des Münchner Traditionsunternehmens. Da- von gibt es erstaunlich viele Varianten – je nach Mahlgrad und Zusammensetzung der Weizenkörner, deren Chargen sich unter anderem durch ihren Eiweiß- und Enzymgehalt unterscheiden.

Spezialitäten der Hofbräuhaus-Kunstmühle sind Pizzamehl sowie griffiges Spätzlemehl, das auch für Knödel und Nudeln geeignet ist und mit viel Wasser verarbeitet werden sollte. Darüber hinaus zählen Dinkel- und Roggenmehle sowie Mehle aus alten Getreidesorten wie Einkorn, Emmer oder Kamut zum Sortiment, das durch Brotmischungen, Grieße, Grützen, Kleie und Backzutaten ergänzt wird. 3000 Tonnen Mehl produziert das Unternehmen jährlich.

Von Mitbewerbern abheben

»Das Getreide, das wir verarbeiten, stammt von Landwirten aus der Region, davon ein Drittel aus kontrolliert ökologischem Anbau«, sagt Martina Blum-Lemberger (50), Prokuristin und Ehefrau von Stefan Blum. Bevor bestellt wird, analysieren die Mitarbeiter im Labor der Hofbräuhaus-Kunstmühle eine kleine Probe. »Wir zahlen etwas mehr als den Marktpreis für die Rohstoffe, legen aber großen Wert auf Qualität, da wir uns dadurch von den Mitbewerbern abheben«, so Blum-Lemberger. Bei der Getreidelieferung wird daher untersucht, ob die gelieferte Ware der Bemusterung entspricht, also tatsächlich vom gleichen Feld stammt wie die Probe. Beim Mahlen werden die einzelnen Getreidechargen dann so kombiniert, dass die Mehle die gewünschten Eigenschaften aufweisen.

Rund die Hälfte der Produktionsmenge geht an Großabnehmer, vor allem handwerkliche Bäckereien, Pizzerien und Gastronomiebetriebe aus dem Großraum München. Die andere Hälfte wird an Endkunden verkauft: im eigenen Mehlladen im Firmengebäude in der Neuturmstraße sowie im Internet. »Wir hatten bereits seit 2007 einen Onlineshop, den wir im vergangenen Jahr neu aufgesetzt haben«, berichtet Blum-Lemberger. Nach etlichen Anlaufschwierigkeiten ging er während des ersten Lockdowns online und sorgte mit dafür, dass die Mühlen trotz drastisch gesunkener Abnahmemengen der Gastronomie weiter mahlen konnten.

Mehlladen und Onlineshop

Denn während der Lockdowns entdeckten viele Menschen den Spaß am Backen, sodass Onlineshop und Ladengeschäft boomten. »Allerdings war es deutlich mehr Arbeit, das Mehl händisch in die kleineren Gebinde für Privatkunden abzufüllen«, sagt die Unternehmerin. In diesem Segment werden größtenteils Tüten mit 1 000 Gramm Inhalt verkauft, während gewerbliche Kunden mit 50- oder 25-Kilo-Säcken beliefert werden. »Dank Mehlladen und Onlineshop, aber auch wegen des großen Arbeitseinsatzes und der hohen Flexibilität unserers Teams mussten wir während der Pandemie we- der Kurzarbeit beantragen noch Coronahilfsprogramme in Anspruch nehmen«, betont Blum-Lemberger.

Jüngster Geschäftszweig des Familienunternehmens

Einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität in den Lockdown-Monaten leistete aber auch der jüngste Geschäftszweig des Familienunternehmens, die im August 2010 eröffnete Bäckerei E. Knapp & R. Wenig. Dort werden täglich 100 Kilogramm Brot, rund 1500 Semmeln, Brezen und anderes Kleingebäck sowie 600 süße Teilchen produziert und verkauft.

Das Besondere: Alle Backwaren werden täglich frisch hergestellt. Es gibt weder Tiefkühl- noch Kühlanlagen. Die Bäckerei arbeitet mit Geräten, die sich auf dem technischen Stand von 1960 befinden. Die Rezepte sind sogar noch etwas älter und stammen vom Bäckermeister Rudolf Wenig, dem Vater einer Mitarbeiterin der Mühle, die dessen Rezeptfundus und Aufzeichnungen zur Verfügung stellte. Der zweite Teil des Bäckereinamens stammt von Stefan Blums Urgroßmutter Elisabeth Knapp.

Lange Wege gibt es nicht

Konzept und Gebäck kommen offenbar sehr gut an: Die Bäckerei mit ihrer zwölf Quadratmeter kleinen, offen einsehbaren Produktionsfläche arbeitete von Anfang an profitabel und erwirtschaftet mittlerweile 30 Prozent des Gesamtumsatzes. Lange Wege gibt es bei den Blums nicht: Die Bäckerei befindet sich auf der linken Seite der breiten Toreinfahrt der Hofbräuhaus-Kunstmühle. Rechts davon ist der Mehlladen. In den oberen Stockwerken des imposanten Gebäudes sind Büros und Wohnungen. Eine davon bewohnt Familie Blum. »Wir leben und arbeiten ausgesprochen gern hier im Zentrum«, sagt Blum-Lemberger. Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Schließlich ist bereits die fünfte Generation am Start: Einer der Söhne begann im September seine Ausbildung zum Müller.

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