In der Nische nach oben

Mit Fahrstühlen, die nach individuellen Vorgaben des Auftraggebers gefertigt werden, hat sich das 1920 gegründete Unternehmen Nunn-Aufzüge einen speziellen Markt erschlossen.
Stefan Bottler, Ausgabe 10/20
Wenn Gitta Svoboda nach ungewöhnlichen Aufzügen gefragt wird, fällt ihr spontan der 1901 eröffnete Freiluftfahrstuhl Elevador de Santa Justa in Lissabon ein: Im neugotischen Stil erbaut, befördert er pro Fahrt bis zu 20 Fahrgäste über 45 Meter hinweg zwischen zwei Stadtteilen.
Gern nennt sie auch die zylinderförmige Konstruktion AquaDom in einem Berliner Luxushotel, die in ein 16 Meter hohes Aquarium integriert wurde. Oder die außen montierte Anlage der kugelförmigen Halle Globen Arena in Stockholm, die genau den Rundungen der Außenwand folgt.
Spezialist seit 100 Jahren
Von solchen Highlights lässt sich die Geschäftsführerin von Nunn-Aufzüge GmbH & Co. KG, Hohenbrunn, inspirieren. Das Familienunternehmen, das 2020 seinen 100. Geburtstag feiert, hat sich als Spezialist für Fahrstühle, die nach individuellen Wünschen des Auftraggebers hergestellt werden, einen Namen gemacht. Jährlich fertigen die rund 45 Nunn-Mitarbeiter bis zu 70 Anlagen, die sich mit unkonventionellen Formen, Montagen und Baumaterialien von Standardfahrstühlen abheben. »Unser ungewöhnlichstes Projekt ist ein dreieckiger Aufzug in einem Münchner Altbau«, sagt Svoboda. »Wegen des sehr engen Treppenhauses kann die Kabine höchstens zwei Personen aufnehmen.«
Aufzug als »charmantes Accessoire« in hochwertigen Immobilien
Von »charmanten Accessoires« fürs eigene Zuhause schwärmt die Unternehmerin. »Wir bieten das volle Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten für Aufzug und Schacht«, sagt die resolute Mittsechzigerin, die auch die Personalberatung top-jobs-europe Consulting GmbH führt. Sechs marktbekannte Unternehmen, darunter der Motorenhersteller Ziehl Abegg in Künzelsau, der Türenproduzent Meiller in München und Meitinger Glas im benachbarten Kirchheim, liefern die Komponenten. Mit diesen stellt Nunn maßgeschneiderte Aufzüge in allen möglichen Formen und Größen her – oft aus Edelstahl, Spiegelglas, Granit oder Marmor. Während der letzten Jahre ist die Nachfrage nach solchen Anlagen kontinuierlich gestiegen. Heute arbeitet Nunn nicht nur für Privathäuser, sondern auch für Produktionsstätten, Hotels und Kliniken.
»Visitenkarte« eines Gebäudes
»Wer hochwertige Immobilien baut, möchte den Lift ins bestehende Interieur integrieren«, sagt Svoboda. Der Aufzug werde so zur »Visitenkarte« eines Gebäudes. Lange Tradition Die Gesellschafterin, die das Unternehmen seit 2007 mit ihrem Mann Bernd Svoboda (75) in dritter Generation führt, setzt eine lange Tradition fort.
Das 1920 gegründete Unternehmen baute bis in die 1960er-Jahre hinein konventionelle Aufzüge. Heute ist dieser Markt eine Domäne von wenigen großen Herstellern wie Otis und Schindler. Nunn hat sich deshalb früh auf Nischen spezialisiert. Das Unternehmen stellt unter anderem behindertengerechte Anlagen für Privathäuser, Autoaufzüge für Parkhäuser und Glasschachtgerüste für Altbauten her. Außerdem übernimmt Nunn Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten für andere Hersteller. Weil der Gesetzgeber regelmäßige Wartungen vorschreibt und seine Anforderungen kontinuierlich verschärft hat, wirft dieses Geschäftsfeld dauerhaft stabile Umsätze ab.
Zuverlässige Erreichbarkeit, schnelle Ersatzteile
Die Svobodas haben seit 2007 Kundenservice und Aufzugsherstellung weiter ausgebaut und das Unternehmen mit moderner IT für neue Marktanforderungen fit gemacht. »Unsere Servicemonteure arbeiten nach intensiven Schulungen in der Aufzugswartung sowie im Störungsdienst«, sagt Svoboda. Mit einem 24-Stunden-Service an sieben Wochentagen garantieren sie Erreichbarkeit rund um die Uhr, mit dem neuen ERP-System stellen sie eine schnelle Ersatzteilversorgung sicher. Jeder Kollege gibt bereits am Einsatzort die benötigten Komponenten in sein Tablet ein, die Auslieferung erfolgt sofort.
Außerdem haben sich Nunn-Mitarbeiter auf die Sanierung und Instandsetzung von alten Aufzügen und deren Umrüstung auf neue Notrufleitsysteme spezialisiert. Seit 1999 schreibt der Gesetzgeber für jeden neuen Aufzug eine Anlage vor, die Fahrgäste bei Störungen sofort mit einer Notrufzentrale verbindet. Alle Dienstleistungen bündelt das Komplettangebot Liftmanagement 24. Die Nunn-Spezialisten übernehmen sämtliche Verwaltungs- und Serviceaufgaben, beraten den Kunden über Rechtsgrundlagen und helfen bei der Anbindung an ein Notrufleitsystem.
Dienstreise nach Dubai: eine Woche lang Fahrstühle studieren
Parallel dazu hat das Unternehmen das Geschäft mit individuell angefertigten Aufzügen hochgefahren. Weil dieser Nischenmarkt von ständig neuen Ideen lebt, machen die Svobodas immer wieder Dienstreisen zu Destinationen mit besonders interessanten Aufzügen. Ende 2019 waren sie in Dubai. »Wir haben eine Woche lang Fahrstühle studiert und staunten, wie mit vergleichsweise preiswerten Materialien Design erzeugt wird«, so Svoboda.
Im Showroom ihres Standorts in Hohenbrunn kann der Interessent entsprechende Lösungen anschauen. Über ein Jahrzehnt nach der Übernahme des Unternehmens haben die Svobodas den Umbau weitgehend abgeschlossen – und den nächsten Generationswechsel bereits eingeleitet. Sohn Wolfgang Walde (40) leitet den Bereich Neubau und Modernisierung, Tochter Natascha Svoboda (32) ist für das Servicecenter verantwortlich. In den kommenden Jahren wollen die vier ihre Aufzüge für das Internet of Things (IoT) fit machen. Dann melden Sensoren Störungen automatisch einem Servicetechniker. »Auch das kann die Unterhaltskosten senken«, ist Gitta Svoboda überzeugt.