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Die zweite Chance

Thorsten Jochim ©
Neustart gelungen – Firmenchef Rüdiger Dilg (Mitte) mit Sohn Marcel (l.) und Berater Klaus Ziegler vor einer sogenannten pharmazeutischen Waschmaschine

Eine Insolvenz in Eigenverwaltung kann ein Neuanfang sein - zeigt die Otto Dilg GmbH aus Neufahrn. Sie war durch hohe Pensionsverpflichtungen und einen Auftragseinbruch wegen Corona in wirtschaftliche Turbulenzen geraten.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 07/2021

Eigentlich wollte Rüdiger Dilg (59) die von seinem Vater gegründete Otto Dilg GmbH im vergangenen Sommer aus ihrer wirtschaftlichen Schieflage befreien, um sie an seinen Sohn Marcel Dilg (33) zu übergeben. »Aber ich habe sehr schnell festgestellt, dass dies in der Situation, in der sich das Unternehmen befand, unmöglich war.« Dennoch war er überrascht, als ihm Klaus Ziegler (54), Geschäftsführer der Insolvenz- und Sanierungsspezialisten Planer und Kollegen GmbH, beim Erstgespräch Ende Juni 2020 zu einer Insolvenz in Eigenverwaltung riet.

Mitarbeiter teilweise seit Jahrzehnten im Betrieb

Das Besondere an diesem Instrument der Insolvenzordnung: Der Unternehmer oder Geschäftsführer bleibt in seiner Position weiterhin aktiv. Ihm wird jedoch ein Sachwalter zur Seite gestellt, der darauf achtet, dass keine Entscheidungen zum Nachteil der Gläubiger getroffen werden. Bei Regelinsolvenzen hingegen übernimmt der Insolvenzverwalter die Führung. Diese Verfahren enden sehr häufig mit der Zerschlagung des Unternehmens. Ein Ergebnis, das Rüdiger Dilg vor allem im Hinblick auf die 20 Mitarbeiter, die teilweise seit Jahrzehnten im Unternehmen tätig sind, vermeiden wollte.

Die Entscheidung, einen Insolvenzantrag zu stellen, fiel ihm nicht leicht: »Aus heutiger Sicht war es jedoch die beste Möglichkeit, unsere finanzielle Situation zu stabilisieren und die Arbeitsplätze nahezu komplett zu erhalten.«

Erkleckliche Summe im Lauf der Jahre

Die wirtschaftliche Schieflage hatte sich langsam entwickelt und war vor allem durch die Pensionsverpflichtungen gegenüber Dilgs Vater entstanden, der seit 2005 im Ruhestand ist. Aufgrund einer ungedeckten Pensionszusage war das Familienunternehmen verpflichtet, dem Senior Monat für Monat mehr als 4.000 Euro zu überweisen. Im Lauf der Jahre kam da eine erkleckliche Summe zusammen, die dem Betrieb für Investitionen und zur Bildung von Rücklagen fehlte. Basis dieser betriebswirtschaftlich ungünstigen Konstellation bildete ein Steuersparmodell, das zunächst durchaus vorteilhaft gewesen sein mag, die finanzielle Position des Familienunternehmens dann aber nach und nach aushöhlte.

Veränderungen dieser Pensionsverpflichtungen hätten zu erheblichen Steuernachzahlungen sowohl für das Unternehmen als auch für Otto Dilg geführt und waren daher keine sinnvolle Alternative.

Dazu kam, dass 2019 ein umsatzschwaches Jahr für das Maschinenbau- und Feinmechanik-Unternehmen war. »Ins Jahr 2020 sind wir daher mit einem Verlustvortrag gestartet«, erinnert sich Rüdiger Dilg. »Durch Corona kam es zunächst zu einem weiteren Auftragsrückgang.« Die Situation drehte sich allerdings im Laufe des Jahres, sodass unterm Strich doch noch »gute Geschäfte gemacht« wurden, wie Dilg betont – dies allerdings bereits in der Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung, die Ende Juli 2020 begann.

Gemeinsam Turnaround-Strategie entwickelt

Binnen wenigen Wochen nach dem Erstgespräch entwickelte Sanierungsberater Ziegler gemeinsam mit Dilg eine Turnaround-Strategie, in der auch die langfristige künftige Ausrichtung des Unternehmens festgelegt wurde. Diesen Sanierungsplan reichte Dilg zusammen mit dem Insolvenzantrag beim Amtsgericht ein. »Wir konnten dem Gericht aufzeigen, dass die Otto Dilg GmbH sanierungsfähig war und über genügend Aufträge und Ressourcen verfügte, um die Insolvenzphase durchzustehen«, erklärt Ziegler.

Parallel dazu informierte Dilg Mitarbeiter, Kunden und selbstverständlich auch Lieferanten in Einzelgesprächen über den Insolvenzantrag. »Dabei hat es sehr geholfen, dass ich allen Gesprächspartnern versichern konnte, dass der Betrieb unter meiner Führung ganz normal weiterläuft«, so der Unternehmer. Dass kein einziger Mitarbeiter gekündigt hat, kein Kunde abgesprungen ist und sich auch die Lieferanten mit dem Insolvenzverfahren und einem damit einhergehenden Verzicht auf ihre Forderungen einverstanden erklärten, wertet er als großen Vertrauensbeweis.

Sachwalter einmal wöchentlich getroffen

Nachdem das Gericht dem Antrag auf Insolvenz in Eigenverantwortung zugestimmt hatte, stellte es Dilg einen Sachwalter zur Seite. »Wir haben uns gemeinsam mit Herrn Ziegler einmal wöchentlich getroffen. Dabei wurden vor allem die Auftragskalkulationen und Zahllisten überprüft und durch den Sachwalter freigegeben«, berichtet der Unternehmer. Alle Bestellungen, deren Wert über 100 Euro lag, musste er sich auf diesem Weg genehmigen lassen. »Das war schon hart und anstrengend. Aber wir haben uns zusammengerauft, und ich habe dadurch auch viel gelernt.«

Prozesse verbessert

Für den Turnaround war es ausgesprochen hilfreich, dass die Mitarbeiter in den drei Monaten des vorläufigen Verfahrens Insolvenzgeld erhielten und das Unternehmen auch keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen musste. Dilg nutzte diese Zeit, um die Prozesse im Unternehmen zu verbessern. Am 1. Oktober 2020 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. »Dann ist es für das betroffene Unternehmen leichter, unrentable Aufträge zu beenden sowie Miet-, Leasing- und andere Verträge sofort zu kündigen«, erklärt Sanierungsspezialist Ziegler. Dilg kam nicht umhin, in dieser Phase drei Mitarbeiter zu entlassen, für die es keine rentablen Einsatzmöglichkeiten mehr gab.

Schlussendlich verkaufte Dilg den gesamten Geschäftsbetrieb an die PTA Pharmatechnischer Apparatebau GmbH. »Die PTA haben wir Anfang 2006 gekauft und seither als separates Unternehmen geführt«, erklärt er. Durch die Integration der Aufträge der Otto Dilg GmbH ergeben sich zusätzliche Vorteile bei der Auslastung der Mitarbeiter und der Maschinennutzung.

Saniertes, gesundes Unternehmen übergeben

Die Otto Dilg GmbH wird demnächst liquidiert, also aufgelöst. Aus den bis zum Verkauf erwirtschafteten Erträgen plus dem Kaufpreis für das Unternehmen ergibt sich die Insolvenzquote, also die Höhe des Anteils, mit dem die Forderungen der Gläubiger beglichen werden. Deren genaue Höhe stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. »Doch die Quote wird deutlich höher sein als allgemein üblich«, so Ziegler.

Per 1. Januar 2021 erfolgte der Übergang des Geschäftsbetriebs an die PTA GmbH und damit der Abschluss des Insolvenzverfahrens. Die Pensionsverpflichtung gegenüber dem Unternehmensgründer verbleibt als Insolvenzforderung bei der Otto Dilg GmbH. »Mein Vater ist dennoch finanziell ausreichend abgesichert«, sagt Dilg, der sich nun darauf freut, seinem Sohn ein saniertes, gesundes Unternehmen übergeben zu können.

IHK-Service: Insolvenzplanverfahren - die Kontrolle behalten

Ein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung ist nicht für alle Unternehmen in einer Krisenlage geeignet. Die wesentlichen Voraussetzungen für das Verfahren sind:

  • Bei einer gravierenden wirtschaftlichen Schieflage sollte möglichst frühzeitig ein Insolvenzverfahren in Betracht gezogen werden. Denn die finanzielle Situation muss es erlauben, die Kosten der Insolvenz zu stemmen. Je geringer der finanzielle Spielraum eines Unternehmens ist, desto schwieriger wird in der Regel die Sanierung.
  • Das Unternehmen muss sanierungsfähig sein. Bereits im Antrag für eine Insolvenz in Eigenverwaltung muss der Unternehmer ein schlüssiges Restrukturierungskonzept vorlegen.
  • Bei der Prüfung des Antrags auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung achtet das Insolvenzgericht auch darauf, dass der Unternehmer die Prinzipien des Ehrbaren Kaufmanns nicht verletzt hat. Ein solcher Verstoß liegt zum Beispiel vor, wenn Sozialversicherungsbeiträge der Mitarbeiter nicht ordnungsgemäß abgeführt wurden.
  • Der Unternehmer muss dazu bereit sein, sich in einem engen Korsett aus Regeln zu bewegen, Entscheidungen mit dem Sachwalter abzustimmen und dabei stets auch die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen.

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