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Die Miesbacher Joppe

Thorsten Jochim ©
Klassiker – Johannes Reiter zeigt die Miesbacher Joppe

Das Bayrische Trachtenhaus Karl Jäger vertreibt sorgfältig ausgesuchte Dirndl, Lederhosen und Janker. Das 145 Jahre alte Unternehmen produziert auch noch selbst. Verkauft wird im Stammhaus und in zwei Filialen – und im Onlineshop.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 12/2021

Dirndl in allen Farben und Größen, bunte Schultertücher, bestickte Lederhosen, handgestrickte Strümpfe, Trachtenwesten aus Stoff und Strick – und natürlich die original Miesbacher Joppe: Das umfassende Sortiment im Bayrischen Trachtenhaus Karl Jäger ist beeindruckend und lässt wohl kaum einen Wunsch an traditionell oberbayerische Bekleidung offen. Ins Stammhaus in Miesbach sowie in die Filialen in Rosenheim und Tegernsee kommen durchaus auch Touristen. Vor allem aber kaufen hier Einheimische ein, die Wert auf Originaltracten legen.

Gegründet wurde das Unternehmen 1876 vom Schneidermeister Josef Jäger in der Bahnhofstraße im Herzen Miesbachs. Auch heute noch befinden sich Ladengeschäft und Näherei in diesem Gebäude – allerdings wurde es in den vergangenen 145 Jahren mehrfach umgebaut und erweitert. Unter der Regie von Karl Jäger, dem Sohn des Gründers, wurde hier um 1910 die Original Miesbacher Joppe entwickelt, das »Urprodukt« des Hases, wie Johannes Reiter (58) betont, der das Unternehmen gemeinsam mit seinem Bruder Markus Reiter (59) vor einem Vierteljahrhundert übernommen hat.

Die robuste Joppe wird auch heute noch aufwendig von Hand bestickt und ist fester Bestandteil der Garderobe in vielen Trachtenvereinen und bei den Bayerischen Gebirgsschützen. Der Loden, aus dem auch zahlreiche weitere hauseigene Kreationen hergestellt werden, stammt meist von der Lodenweberei Reiter in Dietramszell, die sich wiederum im Besitz der Familie von Johannes Reiter befindet und von dessen Vater gegründet wurde.

Klare Arbeitsteilung zwischen den Brüdern

In der Schneiderei sind je nach Saison bis zu zehn Mitarbeiter beschäftigt. Neben Maßanfertigungen und der Miesbacher Joppe werden dort noch weitere Trachtenjacken, aber auch Lodenmäntel und Ausstattungen für Firmen und Vereine produziert. Vor dem Kauf des Unternehmens durch die Gebrüder Reiter war der Anteil an Berufsbekleidung, der in der Näherei gefertigt wurde, deutlich höher. Doch 1999 gründeten Johannes und Markus Reiter die Reiter Corporate Fashion GmbH, die sich seither mit der Produktion dieser Aufträge befasst. Diese Abspaltung sorgte für eine klare Arbeitsteilung: Johannes Reiter konzentriert sich vorwiegend auf das Trachtensegment, Markus Reiter auf die Berufsbekleidung.

Bei der Auswahl der Lieferanten für das restliche Sortiment achtet Johannes Reiter auf Authentizität: »Wir arbeiten ausschließlich mit namhaften Herstellern zusammen, etliche davon sind befreundete Betriebe aus der Region, die großen Wert auf Qualität und Ursprünglichkeit legen. Viele der verwendeten Stoffe dessinieren wir selbst und arbeiten auch mit eigenen Formen und Schnitten«, erklärt der gelernte Textiltechniker.

Gut angelaufener Onlineshop

Seit dem vergangenen Jahr kann das Sortiment des Trachtenspezialisten auch im Internet bestellt werden. »Wir hatten schon länger geplant, einen eigenen Onlineshop zu starten«, sagt Reiter. »Durch Corona haben wir dieses Projekt beschleunigt.« Damit konnte zumindest ein kleiner Teil der massiven Umsatzeinbrüche aufgefangen werden. »Tracht ist ja eine Anlassbekleidung. Im Lockdown und in den Zeiten davor und danach, in denen keine Volks- und Musikfeste stattfanden, gab es halt weniger Anlässe, Tracht zu tragen«, so Reiter.

Der Trachteneinzelhandel habe daher ganz besonders unter der Pandemie gelitten. Und auch wenn es seit dem Sommer 2021 langsam wieder aufwärts geht, stellt er eine gewisse Verunsicherung in der Bevölkerung fest: »Das Geschäft läuft noch längst nicht so wie vorher, die Kontinuität fehlt.«

Mit dem Umsatz des Onlineshops ist Johannes Reiter durchaus zufrieden. »Er entspricht mittlerweile dem einer neu eröffneten Filiale«, sagt er. Allerdings dürfe auch die damit verbundene Arbeit nicht unterschätzt werden. Technische Probleme gab es kaum. Doch das Fotografieren der Produkte sei aufwendig. »Schließlich soll das Ganze ja auch unsere Qualität widerspiegeln.«

Sogar Kunden in den USA

Um den Shop bekannt zu machen, setzt Reiter auf Facebook und Instagram, wo das Trachtenhaus bereits über 5.000 Follower hat. Dabei unterstützen ihn Sohn und Tochter, die hauptberuflich in anderen Branchen und Unternehmen beschäftigt sind. »Je aktiver wir auf unseren Social-Media-Kanälen sind, desto besser läuft der Onlineshop«, beobachtet Reiter. Die Bestellungen werden vom Stammhaus in Miesbach aus verschickt. Das Warenwirtschaftssystem, an das auch die Filialen angeschlossen sind, sorgt für Transparenz bezüglich der Bestände. Die Bestellungen kommen von Kunden aus ganz Deutschland. »Aber wir liefern auch regelmäßig in die USA«, sagt Reiter.

Über Pseudotrachten hin zu originaler Tracht

Der Unternehmer sieht bayerische Tracht als wichtiges, gewachsenes Kulturgut, das sich laufend weiterentwickelt. »Eine Tracht ist ein Symbol der Verbindung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Region, deren Menschen und Traditionen«, sagt er. Doch auch wenn es in seinem Unternehmen nur die Originale gibt, hat er kein Problem mit Landhausmode und Pseudotrachten. »Das ist letztlich so eine modische Geschichte. Die Menschen, die so etwas kaufen, schätzen zwar die bayerische Lebensart, haben aber meist relativ wenig Ahnung davon, was sie da tragen«, sagt er. »Doch der eine oder andere fängt dann an, sich besser zu informieren und das Ganze zu hinterfragen.« Früher oder später kaufe er sich dann vielleicht eine originale Tracht.

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