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Öffentliche Wohnzimmer der Gesellschaft

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Gehört zur bayerischen Wirtshauskultur: mit Freunden im Wirtshaus feiern

Die bayerische Wirtshauskultur schwindet, da sie mit Fachkräftemangel, viel Bürokratie und hohen Kosten zu kämpfen hat. Wie sie sich schützen lässt.

Von Sabine Hölper, 7/2025

Weißwürst, Kaspressknödel, Omas Schmarrn mit Zwetschgenröster – die Speisenkarte von Spiesberger´s Alpenküche in Berchtesgaden lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Getoppt wird der kulinarische Genuss nur noch von der einzigartigen Aussicht auf den Watzmann, die der Blick aus dem Fenster des Wirtshauses eröffnet.

Das Gastgewerbe hat in Bayern eine lange Tradition – und zugleich einen hohen sozialen und wirtschaftlichen Stellenwert. Nicht umsonst spricht man sogar von einer Kultur: der bayerischen Wirtshauskultur. „Gasthäuser sind die Gesichter unserer Städte und Dörfer“, sagt Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA Bayern. Mehr noch: „Sie sind die öffentlichen Wohnzimmer der Gesellschaft.“ Leider aber schwindet die Wirtshauskultur. Nicht so sehr in München. Aber auf dem Land. „Die Dorfwirtshäuser gehen kaputt“, sagt Geppert.

Wirtshaussterben schreitet fort 

Bereits zwischen 2006 und 2015 hat Bayern fast ein Viertel seiner Schankwirtschaften verloren. Seither ist es noch schlimmer geworden, auch Corona-bedingt. Aktuell sind bayernweit nur noch rund 35.000 Betriebe, knapp 450.000 Erwerbstätige und 10.000 Auszubildende registriert.

Eine im Herbst 2023 vom Bayerischen Zentrum für Tourismus unter Bürgermeistern in Kommunen mit bis zu 10.000 Einwohnern durchgeführte Befragung ergab, dass es in 6 Prozent der Kommunen gar kein Wirtshaus mehr gibt. Auf die Frage, ob ein Wirtshaussterben festgestellt werde, antworteten mehr als 3 Viertel der Befragten mit „ja“. Damit schwindet auch eine wesentliche wirtschaftliche Grundlage für den so wichtigen Wirtschaftszweig Tourismus. „Was nützt der schönste Radweg, wenn der Gast nirgends einkehren kann“, sagt Geppert.

„Mensch-zu-Mensch-Branche“

Sophie Renoth, die die Geschäfte der Alpenküche in Kürze, wenn der Vater in den Ruhestand geht, allein führen wird, kann die Probleme benennen. Seit 12 Jahren ist sie eine der Hauptverantwortlichen für das Restaurant, von Kindesbeinen an kennt sie die Branche. „Insbesondere seit Corona ist es schwer, Servicekräfte zu finden“, sagt sie. Die Gäste würden immer anspruchsvoller, das Personal, das auch wegen des Trinkgeldes gut verdiene, beklage sich über mangelnde Wertschätzung – und kündige. Somit muss sie selbst mehr arbeiten und Ungelernte einstellen. Mehr Arbeit hat sie auch wegen der Bürokratie. „Nach einem 9-Stunden-Tag sitze ich noch eine Stunde am Papierkram.“ Renoth wünscht sich Entlastung.

Weiterhin ein Thema, das die Branche laut Geppert in die Knie zwingt: Die Gewinne sinken ins Bodenlose. „Wir haben zwar volle Häuser, aber der Ertrag ist weg“, sagt er. Der Grund: Die Kosten steigen, und das bei einer sowieso hohen Kostenstruktur. Lebensmittel- und Energiepreise sind ein großer Block. Vor allem aber spielen die Personalkosten in der personalintensiven Branche eine immense Rolle. „In der Mensch-zu-Mensch-Branche braucht man 6-mal mehr Angestellte als im Einzelhandel, um den gleichen Umsatz zu generieren“, sagt Geppert.

Bürokratische Entlastung

Daher sei eine Anhebung des Mindestlohns hier kontraproduktiv. „Irgendwann gibt der Gastronom auf, weil er sich das nicht mehr leisten kann.“ Zumal: Die Bruttolöhne heute im europäischen Vergleich schon hoch seien. Leider bleibe den Angestellten zu wenig Netto übrig.

Was helfen kann? „Auf jeden Fall mehr bürokratische Entlastung und Digitalisierung“, sagt IHK-Expertin Juliane Berauer. Zur Bewältigung des Fachkräfteproblems schlägt sie vor: flexiblere Arbeitszeiten für die Mitarbeitenden, mehr Einwanderung aus dem Ausland oder die Förderung von Quereinsteigern. „Im Rahmen des Qualifizierungschancengesetzes gibt es hierzu auch staatliche Hilfen“, sagt sie.

Fördermittel und Vernetzung

Der DEHOGA Bayern unterstützt die Branche mit der Kampagne „Zukunft für das bayerische Gastgewerbe“. Das vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Energie und Technologie geförderte Projekt will Instrumente gegen das Schließen von gastgewerblichen Betrieben und Beispiele für die Gaststätte mit Zukunft aufzeigen. Dazu werden etwa Informations-, Beratungs- oder Förderangebote von der Gründung über die Fortbildung bis zur Unternehmensnachfolge auf der zentralen Plattform „Wirthauskultur Bayern“ gebündelt und übersichtlich angeboten.

Außerdem verspricht der vom Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes konzipierte Förderwegweiser Tourismus Hilfe und Orientierung bei Förderoptionen des Bundes, der Bundesländer und der Europäischen Union.

Erfolg in der Nische

Augenblicklich keine Unterstützung braucht Peter Fleming. Vor knapp 2,5 Jahren hat er in der Müllerstraße in München das „fesch“ eröffnet, ein queeres Wirtshaus mit Stehausschank. Jeder ist willkommen. Dabei bedient er mit der queeren eine Szene, die seinen Angaben zufolge Ende der 80er Jahre noch viel lebendiger war. Sie hatte mehr spezifische Lokalitäten – und nimmt somit heute neue Anbieter gerne an. „Die Leute kommen, wir hatten im zweiten Jahr eine enorme Umsatzsteigerung gegenüber dem ersten und erwarten für dieses Jahr ein noch besseres Ergebnis“, sagt er. Seine Rezepte lauten: eine Nische bedienen, hochwertiges Essen, gutes Bier. Allein mit letzterem macht er mehr als 30 Prozent seines Umsatzes.

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