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„Nur wer loslässt, hat beide Hände frei“

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Hallo Ruhestand: Voll Energie und mit neuen Ideen in den nächsten Lebensabschnitt

Wie Selbstständige ihren Ruhestand vorbereiten und gestalten – und ihre Businesskompetenzen für neue Aufgaben einsetzen.

Von Ulrich Pfaffenberger, 12/2024

„Aus 100 Weihnachtskarten werden 2. Und es ruft keiner mehr an. Von einem auf den anderen Tag – wirklich keiner.“ Thomas C. Wilde klingt beinahe entspannt, seine Worte lakonisch, wenn er von der Zeit nach dem Schritt in den Ruhestand erzählt. Mehr als 35 Jahre lang prägte Kommunikation seinen Alltag als Geschäftsführer der selbstgegründeten PR-Agentur, dann verstummten die vertrauten Kanäle von jetzt auf gleich.

„Man hofft, dass sich das alte Leben ins neue verlängert. Aber die Hoffnung trügt nicht nur, sie erweist sich als nachhaltig schädlich“, sagt Wilde. Weil manche das insgeheim spüren, so seine Beobachtung bei Altersgenossen, können sie aus Angst davor nicht aufhören – mit all den schädlichen Nebenwirkungen für sich und das Unternehmen. Seine gewonnene Selbsterfahrung: „Nur wer loslässt, hat beide Hände frei.“

Gewinn neu interpretiert

Er selbst hat bereits 2 Jahre vor dem Verkauf an den Nachfolger gemeinsam mit seiner Frau eine gemeinnützige Stiftung gegründet, in die er sein Wissen und Können einbringt - und seine Gestaltungskraft. Eigenschaften also, die ein Unternehmerdasein prägen. Der Gedanke an Gewinn indes fand eine neue Richtung: „Wir wussten, dass wir alles haben, was wir brauchen. Wir wollten uns revanchieren, der Gesellschaft etwas zurückgeben, die unser Geschäft hat gedeihen lassen.“

Für die Gesellschaft kam seine Entscheidung genau richtig. Ein Jahr nach dem Schritt ins gemeinnützige Engagement kam die Pandemie und brachte unter anderem die Vereine am Ort in Not. Wildes Familienstiftung wurde zum geschätzten Überlebenshelfer.

Kulturerbe erhalten

Der nächste Schritt geriet dann etwas größer: Als der Besitzer des historischen Berggasthofs „Streichen“ nahe Schleching im Chiemgau überraschend starb, sicherte die Wilde Familienstiftung zusammen mit der Stiftung Kultur Erbe Bayern den Fortbestand des Hauses – und machten den Weg für eine neue Nutzung frei: Wilde hofft, dass durch die Investitionen das Anwesen auch wieder näher ans Dorf rückt.

Aktionen und Veranstaltungen sollen es nach einer ebenso behutsamen und umfangreichen Sanierung neu beleben und – sein ursprüngliches Geschäft – Kommunikation ermöglichen. „Gemeinnützige Stiftungen müssen kein Geld verdienen, keine Aktionäre bedienen, keine Rendite erwirtschaften, aber können und wollen etwas bewahren für die nächsten Generationen“, so seine Worte über das, was seinen „Ruhestand“ erfüllt und ihm gleichzeitig vollkommen neue Horizonte eröffnet.

Soziales Netz für Führungskräfte

Für Adelheid Reik, die sich noch auf den Ruhestand zubewegt, war es eine Beobachtung während der Pandemie, die sie dazu bewog, nicht nur in eigener Sache, sondern auch für andere über „das Leben danach“ nachzudenken. „Ich sehe eine gesellschaftliche Dynamik, die Menschen immer schneller aus bestehenden Beziehungen herauskatapultiert und es schwer macht, neue Freundschaften zu finden und diese zu vertiefen“, sagt sie Als soziale Wesen bräuchten Menschen verlässliche soziale Netze. Vor allem Frauen seien stark davon betroffen.

Hier setzt Reik an: „Wir sollten nicht warten, bis wir alt und isoliert sind. Mein Ansatz ist es rechtzeitig – also viele Jahre vorher – Frauen in stabile und freudvolle Verbindungen zueinander zu bringen und so wirksam einer schleichenden Einsamkeit jetzt und in Zukunft sicher vorzubeugen.“ Sie spricht daher Frauen in der Mitte des Lebens und der Mitte der Gesellschaft an, „am liebsten Frauen in mittleren Führungspositionen“. Denn diese Frauen arbeiten oft 10 und mehr Stunden am Tag und haben aufgrund ihres großen Einsatzes für ihren Betrieb oft kaum Zeit, um ein soziales Netz aufzubauen und zu pflegen.

Workshops zum neuen Lebensabschnitt

Reik hilft Frauen, dieser Lücke vorzubeugen. „Expertin für Einsamkeitsprävention und Gründerin der Female Community“ steht in der Signatur ihrer E-Mail. „In einem anderen Kontext habe ich im vergangenen Jahr 3 innerbetriebliche Workshops angeboten, in denen es um den Übergang in die neue Zeit ging. In jedem Workshop hatte ich ältere Kolleginnen, die irgendwann sogar geweint haben, weil das menschliche Miteinander durch Digitalisierung, Homeoffice, Verlust des eigenen Schreibtisches, Einführung der E-Akte etc. und immer schneller wechselnde Kollegen schmerzlich auf der Strecke bleibt.“
 
Ein Zustand, den sie bei Selbstständigen genauso beobachtet wie bei angestellten Führungskräften. Weshalb sie in eigener Sache den zitierten Brückenschlag mehr als Metamorphose betrachtet, denn als Zäsur. Man könnte das überschreiben als: „Ich bleibe ich, doch mein neues Ziel geht weit über die landläufige Vorstellung eines beschaulichen Ruhestandes hinaus.“

Wissen für Neues nutzen

Reik glaubt: „Es ist für viele ungemein wichtig, auch im Ruhestand eine sinnstiftende Tätigkeit für sich zu finden. Sie habe das große Glück, etwas gefunden zu haben, für das ich sehr viel Wissen mitbringe, das ich mir im Laufe meines Lebens angeeignet habe. In gewisser Weise kumulieren die vielen Ausbildungen, Schulungen und Lebenserfahrungen. Verbunden mit einer großen Motivation und Zielstrebigkeit.“

Jene schließlich, die noch unentschlossen sind oder auf der Suche nach der passenden Lösung, können sich an dem Rezept orientieren, für das sich Henrik Löhnig entschieden hat. Sein Büro für Grafikdesign entwickelt Konzepte für Special-Interest-Magazine, Mitarbeiter- und Kundenzeitschriften, Image-Broschüren und Geschäftsberichte. „Da nutze ich die Möglichkeiten meines Berufs und bewege mich langsam auf den Ausgang zu“, erklärt der Unternehmer.

Fließender Übergang

„Dort mache ich weniger, dafür unternehme ich mehr mit meiner Frau.“ Mit dem fließenden Wechsel vermeidet er die „Zustände zwischen großer Leere oder hektischer Überaktivität“, die er bei unternehmerisch aktiven Altersgenossen beobachtet. „Und ich kann noch selbst gestalten, wenn es auf der einen oder anderen Seite Dinge gibt, die ich gern ändern möchte.“

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