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Herausfordernd – Firmen sollen die gesamte Lieferkette im Blick haben

Große Unternehmen müssen 2024 erstmals über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten nach dem neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz berichten. Der Aufwand ist beträchtlich – auch für die Zulieferer betroffener Firmen.

Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 01–02/2024

Klare, einheitliche Standards, Anleitungen oder Musterfragebögen – so etwas hätte sich Selina Bege, Menschenrechtsbeauftragte des Münchner Technologiekonzerns Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG mit 14.000 Mitarbeitern, vom Gesetzgeber gewünscht.

Dann könnten Unternehmen den Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) effizienter und ressourcenschonender nachkommen, auch im Hinblick auf das angekündigte Europäische Lieferkettengesetz und die damit verbundene neue Europäische Nachhaltigkeitsberichtspflicht. Doch solche Vorlagen gibt es nicht.

„Wir müssen nun freihändig die internen Strukturen ausbauen, Prozesse etablieren, die neuen Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards bereits antizipieren, damit wir die vorgeschriebenen menschenrechtlichen Anforderungen umfassend leisten können und dabei alles prüf- und rechtssicher ist“, sagt Bege. „Das ist eine große Herausforderung. Die Intention des Gesetzes ist sicher richtig, aber bei der Umsetzung fühlen wir uns etwas alleingelassen.“

Ab 2024 rund 5.000 Unternehmen betroffen

Seit dem 1. Januar 2023 ist das LkSG in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten zu berichten, wie sie die menschenrechtlichen und die damit zusammenhängenden ökologischen Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten umsetzen. Rund 900 Unternehmen in Deutschland sind davon betroffen. Ab 2024 müssen zudem Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern die Vorgaben erfüllen. Dann sind zusammen knapp 5.000 Firmen in der Pflicht.

Sorgfaltspflichten bestehen dabei im Hinblick auf den eigenen Geschäftsbereich, auf Vertragspartner und anlassbezogen auch auf mittelbare Zulieferer. „Das heißt, auch viele kleine und mittlere Unternehmen, die selbst nicht gesetzlich verpflichtet sind, müssen als unmittelbare oder mittelbare Zulieferer den direkt betroffenen Unternehmen – ihren Kunden – zuarbeiten“, erläutert IHK-Fachfrau Henrike Purtik. „So verzeichnen wir beispielsweise immer mehr und immer ausführlichere Kundenanfragen zu Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsthemen bei den IHK-Mitgliedsunternehmen.“

Umfangreicher Forderungskatalog

Verpflichtete Unternehmen müssen

  • ein Risikomanagement installieren,
  • (potenzielle) Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden identifizieren,
  • Präventions- und Abhilfemaßnahmen schaffen,
  • Beschwerdeverfahren einrichten, über die Menschenrechtsverletzungen gemeldet werden können,
  • ihre Zulieferer befähigen, mit ihnen gemeinsam Risiken abzubauen, und
  • einmal jährlich berichten.

Dabei haben die Unternehmen eine Bemühens-, keine Erfolgspflicht. „Aktuell steht bei vielen Unternehmen im Fokus, wie sich die neuen Vorgaben in der Praxis rechtssicher umsetzen und dann auch dokumentieren und berichten lassen“, beobachtet Purtik.

100 BAFA-Mitarbeiter stehen bereit …

Anfang November hatten bereits 41 Unternehmen den für 2023 geforderten Bericht beim BAFA eingereicht. Die Behörde erwartet, „dass die menschen- und umweltrechtlichen Risiken in den Berichten umfassend, systematisch und nachvollziehbar erfasst werden“.

Dabei ist dem Amt bewusst, dass die Unternehmen noch am Anfang stehen und Unterstützung brauchen. Ein Team mit 100 Mitarbeitern steht im sächsischen Borna bereit, um die Berichte zu prüfen und zu genehmigen und auch um Fragen zu beantworten. Zudem gibt es Handreichungen und laufend aktualisierte FAQs auf der BAFA-Website.

… für Rückfragen der Unternehmen

Seit März 2023 steht eine digitale Eingabemaske zur Verfügung, über die Unternehmen die Berichte erstellen und ans BAFA übermitteln können. „Wir geben Hinweise zur Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen oder bei Bedarf auch, wie die Anforderungen des LkSG im Bericht dargestellt und dokumentiert werden sollten“, so das BAFA. „Die Reaktionsgeschwindigkeit und die Rückfragen zeigen, dass sich der überwiegende Teil der verpflichteten Unternehmen mit dem Gesetz intensiv auseinandersetzt.“

Werden die Anforderungen in den Berichten nicht erfüllt, verlangt das BAFA Nachbesserungen oder verhängt Sanktionen. Zudem führt die Kontrollbehörde seit Januar 2023 risikobasierte Kontrollen in Unternehmen durch – etwa zur Organisation des Risikomanagements oder des Beschwerdemechanismus. Dies sind in der Regel vorbeugende Kontrollen, die Bilanz fällt hier weitgehend positiv aus. Doch reagiert die Behörde mit den Kontrollen auch auf Beschwerden oder Anhaltspunkte für mögliche Verstöße.

Einbindung aller betroffenen Bereiche

Rohde & Schwarz hat einen abteilungsübergreifenden Menschenrechtsarbeitskreis installiert, der die Anforderungen des Gesetzes abarbeitet. Darin sitzen Vertreter aus der Rechts-, Personal-, Einkaufs- und Umweltabteilung. „So binden wir alle Bereiche mit ein, die vom Gesetz betroffen sein könnten, behalten leichter alle potenziellen Risiken im Blick“, sagt die Menschenrechtsbeauftragte Bege. Zugleich unterstützen externe Dienstleister bei der Risikoanalyse, schauen sich Lieferländer und Branchen an, ermitteln die Knackpunkte.

„Wir sind zweifach gefordert“, so Bege. „Einerseits haben wir selbst sehr viele Zulieferer. Andererseits liefern wir aber auch anderen nach LkSG berichtspflichtigen Unternehmen zu, erhalten von diesen Anfragen zu unseren menschenrechtlichen Ansätzen.“ Die beiden Stränge ergäben leider arbeitsorganisatorisch kaum Synergien. Die Anfragen der Kunden seien sehr individuell. „Wir können kaum Antworten replizieren, stellen Fakten immer wieder neu zusammen.“

„Aufwand ist immens“

Bei den eigenen Zulieferern arbeitet das Unternehmen unter anderem mit einer Grundsatzerklärung, einem Supplier Code of Conduct und anderen aktualisierten vertraglichen Regelungen. Zudem vertieft es die Identifizierung der Risiken, entwickelt spezifische Fragebögen, Prozesse und praktische Maßnahmen. „Wir schauen sehr genau hin, haken immer wieder nach, der Aufwand ist immens – bisweilen befürchten wir, dass die eigentliche Idee des Gesetzes darüber aus dem Blick gerät.“

Doppelter Zugzwang für KMU

Auch Eva Campos, Prokuristin in der BAUCH Group in Eitensheim bei Ingolstadt mit rund 180 Mitarbeitern in Deutschland und China, bereitet das Gesetz viel Arbeit. Dabei ist der Planungsdienstleister und Automobilzulieferer gesetzlich nicht zum Bericht verpflichtet. „Wir sind aber als Zulieferer berichtspflichtiger Unternehmen in Zugzwang. Unsere großen Kunden erwarten, dass wir nicht nur selbst alle menschenrechtlichen Pflichten erfüllen, sondern dass wir dies wiederum auch für unsere direkten und mittelbaren Zulieferer unterschreiben.“

Die Liste der Maßnahmen, die BAUCH ergriffen hat, ist umfangreich: „Wir setzen schon immer akribisch alle deutschen arbeitsrechtlichen Vorschriften um – das ist selbstverständlich. Wir sind ISO-zertifiziert und denken über eine Umweltzertifizierung nach, weil diese zunehmend gefordert wird, haben eine CSR-Strategie entwickelt, die ganze Belegschaft geschult, das Konzept an Partner und Zulieferer kommuniziert.“

Zudem hat der wichtigste Großkunde im Vorgriff auf das LkSG schon vor 3 Jahren begonnen, seine Zulieferer, darunter auch BAUCH, zu auditieren. „Dadurch sind wir noch mehr in die Tiefe gegangen, haben offene Punkte erkannt, nachgebessert“, so Campos.

Gleiche Maßstäbe bei chinesischer Tochter

Die chinesische Tochter in Taicang wird nach denselben Maßstäben wie die deutsche Mutter geführt. Die chinesischen Zulieferer vor Ort sind über Materialstandards zertifiziert, sie werden regelmäßig in Augenschein genommen. „Für weitere, zumeist große Kunden berichten wir auf Anfrage zudem noch ganz individuell.“

Wünschenswert: praktikable, rechtssichere Standards

Das Thema sei sehr komplex, sagt Campos. „Vorgefertigte, rechtssichere, dabei einfach und schnell praktizierbare Standards oder Formblätter wären sehr hilfreich: Sei es vom Gesetzgeber, über Branchenverbände oder Netzwerke und gern auch digital.“ Sie betont: „Gerade uns kleinen Unternehmen wird viel zugemutet. Es fließt enorm viel Zeit und Geld in die Umsetzung eines Gesetzes, dem wir nur indirekt verpflichtet sind. Wir erleben dabei letztendlich von 2 Seiten Druck, sind im schlimmsten Fall ersetzbar – von den Kunden, aber auch von den Zulieferern, wenn wir zu kritisch fragen. Wir brauchen weniger Anforderungen, weniger Bürokratie.“  

EU-Lieferkettengesetz CS3D auf der Zielgeraden

Zu erwarten ist aber wohl mehr davon. Denn auch die EU-Institutionen haben im Dezember 2023 eine Lieferkettenrichtlinie auf den Weg gebracht: die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D). Damit werden zukünftig alle großen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem weltweiten Nettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro zu menschenrechtlicher Sorgfalt verpflichtet. Nur der Finanzsektor soll zunächst von der Regelung ausgenommen werden.

Mit mehr Forderungen zum Klimaschutz

Auch rückt die EU-Richtlinie den Klimaschutz noch stärker in den Fokus und verlangt von den Unternehmen Übergangspläne zur Eindämmung des Klimawandels. Die EU-Lieferkettenberichterstattung soll zukünftig Hand in Hand mit der allgemeinen Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) gehen.

„So müsste zumindest nicht doppelt berichtet werden“, sagt Bege von Rhode & Schwarz. „Wir verstehen das LkSG auch als Vorbereitung auf die CS3D und können die europäischen Anforderungen dann hoffentlich besser und schneller stemmen.“  

IHK-Info zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG):

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