Die Käsespezialisten
Das Milchwerk Jäger in Haag ist Deutschlands älteste Privatmolkerei. Das Unternehmen vereint 154 Jahre Familientradition mit einer hochmodernen Produktion.
Von Sebastian Schulke, IHK-Magazin 01-02/2025
Große Tanklastzüge fahren unermüdlich durch Haag. Die kleine Gemeinde liegt auf halbem Weg zwischen München und Mühldorf am Inn. Der mächtige Turm einer Burgruine ragt in den blauen Himmel, alte Bauernhäuser stehen am Weg. Die Lkws steuern die Hochsilos an, die im Sonnenlicht silbern glänzen. 1,5 Millionen Liter Milch landen täglich in den 20 Meter hohen Säulen aus Stahl.
„Unsere Maschinen in den Käsereien laufen Tag und Nacht“, sagt Hermann Jäger, der den 154 Jahre alten Familienbetrieb in 4. Generation führt. „Wir verarbeiten die Milch fast ausschließlich für Käseprodukte wie Mozzarella, Pasta Filata, Schnittkäse oder Scamorza.“ In 2 Käsereien werden sie am laufenden Band hergestellt. Nur sonntags stehen die Maschinen in Haag still, dann erfolgen Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten.
Milch – ein empfindliches Gut
Die 450 Beschäftigten arbeiten in 4 Schichten. Milch sei nun mal ein empfindliches Produkt. „Da bleibt nicht viel Zeit“, meint Jäger. Entsprechend gut seien die Gehälter, merkt der Unternehmer an. „Und nach jeder Nachtschicht gibt es einen freien Tag.“
Auf über 26.000 Quadratmetern erstreckt sich das Milchwerk in Haag mittlerweile. Und der Ausbau geht weiter – wenn auch an anderer Stelle. 2022 fusionierte das Unternehmen mit der Gmundner Molkerei GmbH in Österreich.
Standort Österreich sichert Expansion
„In Haag sind wir an unsere Grenzen gestoßen, was den Raum anbelangt“, sagt Jäger. „Dort können wir keine weiteren Produktionsstätten bauen.“ In Gmunden sehe das anders aus. Seit 2019 betreibt das Milchwerk dort eine Pasta-Filata-Käserei. 300 Bauern beliefern die Käserei mit ihrer Milch. In Haag sind es 700.
Das Milchwerk Jäger ist nach eigenen Angaben Deutschlands älteste Privatmolkerei. Die Geschäftsleitung in Haag sitzt in einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert. Dort befand sich vor langer Zeit eine Poststation mit Gasthof, mit Wechselstelle für die Pferde, die die Postkutschen von München über Haag bis nach Wien zogen. Das Anwesen gehörte der Familie von Thurn und Taxis. Erlauchte Gäste wie Papst Pius VI., Napoleon Bonaparte, Kaiser Franz I. von Österreich und Zar Alexander I. von Russland übernachteten dort.
Geschäftstüchtiger Urgroßvater
Begonnen hat die Unternehmensgeschichte mit Johann Georg Jäger. Geboren in Heiterwang in Tirol, zog es den 23-Jährigen 1868 in die oberbayerische Provinz. Dort arbeitete er als Knecht und Melker. Nur 2 Jahre später begann der junge Österreicher, Milch von den Bauern aus der Umgebung zu kaufen und daraus „Schweizer Käse“ zu machen.
„Mit einem Hundegespann transportierte er die Milch in Kannen zu einer kleinen Molkerei in seinem Dorf“, erzählt Hermann Jäger. „Der Beginn unseres Milchwerks.“ Das Geschäft lief gut, das kleine Werk wuchs.
Zuwachs durch Filialen und Schweinemast
Johann Georg Jäger heiratete, kaufte ein Haus, stellte nun dort seinen Käse her und baute eine Schweinemast auf, um die überschüssige Molke zu verwerten. 1900 wurde dem Österreicher das Bürgerrecht von Haag verliehen.
Eines seiner 4 Kinder, Georg, arbeitete da schon voll mit und gründete Filialen in der Nähe der Bauern. Denn der Bedarf an Milch stieg, die Transportwege wurden dadurch länger und das überstand das empfindliche Lebensmittel nicht immer unbeschadet. „Carl von Linde hatte zwar schon 1873 eine Kältemaschine entwickelt“, so Jäger, „die war jedoch für meinen Urgroßvater unerschwinglich.“
Heute befinden sich die Produktionshallen auf dem neuesten Stand der Technik. Neben den Käsereien gibt es ein Labor und ein Hochlager für den Versand. Lastwagen stehen an großen Rampen, werden beladen.
Erfolgreich mit Handelsmarken
Käsereileiter Robert Göschl, der seit seiner Ausbildung vor 38 Jahren für das Milchwerk Jäger arbeitet, geht durch eine große, geflieste Halle, überall hängen Halogenröhren. Pasteurisierte Milch, Wasser und Molke fließen hier durch Edelstahlrohre. Eisentreppen führen zu riesigen Behältern, in denen ein Gemisch aus Milch und Lab schwimmt.
Um die „dickgelegte“ Milch von der Molke zu trennen, wird sie mit einer Käseharfe gebrochen. Der Bruch wird filiert, geknetet und geschnitten. Das alles läuft maschinell. In großen Wannen oder auf blauen Förderbändern landen dann Pasta Filata, Mozzarella, Scamorza oder Kashkaval, die als Handelsmarken („private Label“) verpackt werden und bei Discountern in ganz Europa erhältlich sind. Das Jäger-Etikett gibt es nur vereinzelt bei ausländischen Händlern – und im Molkereiladen in Haag.
Verarbeitung von 35 Millionen Liter Milch im Jahr
Die Mitarbeitenden in ihren weißen Arbeitskitteln mit Kopfhauben schauen, ob die computergesteuerten Prozesse reibungslos laufen, machen hier und da eine Qualitätskontrolle. Im Verpackungsbereich steht ein einarmiger Roboter, der Waren sortiert. „Das ist die Zukunft“, sagt Göschl.
Das Traditionsunternehmen ist seit dem 2. Weltkrieg auf Wachstumskurs. In den 1960er-Jahren schaffte Georg Jäger, Sohn des Gründers, neue Maschinen für Butterei und Käserei an und ließ neue Gebäude errichten. Die industrielle Fertigung ermöglichte es nun, 35 Millionen Liter Milch im Jahr zu verarbeiten.
Faible für italienischen Formaggio
Georgs Sohn Hermann übernahm 1976 die neu gegründete Milchwerk Jäger GmbH & Co. KG – und stärkte das internationale Geschäft. „Mein Vater war schon in den 1950er-Jahren mit seinem VW-Käfer mehrmals in Kalabrien unterwegs gewesen, lernte die Sprache und gute Freunde dort kennen“, sagt der heutige Firmenchef. „Es war nicht verwunderlich, dass das auch Einfluss auf unser Sortiment hatte.“
Der sogenannte Pasta Filata wurde ab Mitte der 1980er-Jahre in Haag produziert, eine italienische Käsesorte, aus dem „Bavarella“ gemacht wird. Dafür ließ Hermann senior extra Spezialisten aus Italien in die oberbayerische Gemeinde kommen, die den Mitarbeitenden vor Ort zeigten, worauf es bei der Herstellung ankommt. 1993 kamen Mozzarella und Scamorza zum Sortiment hinzu. Immer mehr Discounter wurden beliefert, auch die Gastronomie.
Heute Exporte in 30 Länder
Schließlich gingen bis zu 90 Prozent des gesamten Exports nach Italien. „Das war auf Dauer zu riskant“, sagt Hermann Jäger. Er übernahm 2001 die Geschäftsführung und erschloss neben Italien verstärkt Länder wie Frankreich, Polen, Schweden oder Rumänien für das Unternehmen. Heute liefert es europaweit in über 30 Länder.
Zusammenhalt in Krisen
„Wir setzen immer schon auf persönliche Kontakte bei unseren Kunden – genauso wie bei unseren Mitarbeitenden“, sagt der Firmenchef. Das komme gut an. „Unsere Leute bleiben oft von der Ausbildung an bis ins Rentenalter. Das hilft in der Zusammenarbeit und vor allem bei Krisen, die uns immer schon begleitet haben – ob die beiden Weltkriege, Währungskrisen, Tschernobyl, die Milchkriege oder Corona.“
Direktvertrieb im Hofladen
Hermann Jäger geht in sein Büro in der 2. Etage der alten Post. Alte Holzschränke stehen in den Durchgangszimmern auf edlem Parkettboden. Ein kleiner Kronleuchter hängt von der Decke. Hier befindet sich auch der Hofladen. „Unten neben der Buchhaltung im Erdgeschoss“, sagt Jäger. „Um den kümmert sich meine Frau Christa Jäger.“
„Wir sind für unsere Leute da“
Im Hofladen sehe man recht gut, wie gerade die Stimmung in der Gesellschaft so sei. „Viele müssen sparen, schauen aufs Geld“, beobachtet der Unternehmer. Aber auch vegane Milchprodukte seien gefragter. Allerdings gebe es da bei Pasta-Filata-Käse oder Mozzarella noch keine guten Alternativen, findet Jäger. Dann klingelt sein Telefon, er muss zum nächsten Termin. Es warten 2 Bauern unten auf ihn. „Wir sind für unsere Leute da“, sagt er, lächelt und geht.