Fachkräfte | Standortpolitik

Auf allen Kanälen

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Auf der Suche nach den passenden Kollegen

Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Pandemie: Neue Mitarbeiter zu finden, ist derzeit besonders schwierig, professionelles Recruiting wichtiger denn je. Personalexperten berichten aus der Praxis, wie sie vorgehen.

EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 03/2022

Nicht nur die Teams der Gebrüder Peters Gebäudetechnik GmbH freuen sich, wenn zur Mittagszeit der Foodtruck ihres Unternehmens auf die Baustelle rollt. Auch die Kollegen aus anderen Betrieben kommen in den Genuss der frisch gebrutzelten Gratis-Burger.

An Bord des Foodtrucks, der einmal wöchentlich zu den Baustellen fährt, ist immer auch ein Mitarbeiter der Personalabteilung. »Falls sich jemand für eine Stelle in unserem Unternehmen interessiert, steht gleich ein Ansprechpartner zur Verfügung«, erklärt Thomas Regler (39), Personalleiter der Peters Service GmbH, die als Dienstleister unter anderem für den Personalbereich der Firmengruppe verantwortlich ist.

Kandidaten direkt ansprechen

Der War for Talents ist intensiv, sagt Regler. »Neben der klassischen Berufsausbildung nutzen wir daher auch eher ungewöhnliche Möglichkeiten, um Fachkräfte zu gewinnen.« Der Foodtruck ist für ihn eine etwas andere Art des Active Sourcings, also der direkten Ansprache attraktiver Kandidaten.

Social-Media wichtiger als klassische Stellenanzeigen

»Auf den einschlägigen Onlineportalen wie Xing oder LinkedIn suchen wir Fach- und Führungskräfte für Positionen ab Bau- und Projektleiter«, erklärt er. »Bauhelfer und Monteure sind dort eher nicht vertreten.« Um die derzeit rund 130 offenen Stellen der Firmengruppe zu besetzen, nutzt das Unternehmen aber auch klassische Stellenanzeigen in der regionalen Tageszeitung sowie auf Jobportalen wie indeed oder StepStone. Wichtiger sind mittlerweile jedoch Facebook und Instagram, wo das Unternehmen neben regelmäßigen Posts auch bezahlte Anzeigen schaltet. »Seit Corona haben wir unsere Social-Media-Präsenz weiter intensiviert«, sagt der Personalleiter.

Siegel »Familienfreundlicher Arbeitgeber«

Bei allen Recruiting-Aktivitäten wird die Familienfreundlichkeit der Unternehmensgruppe herausgestellt, die durch das Siegel »Familienfreundlicher Arbeitgeber« des Bayerischen Wirtschaftsministeriums dokumentiert wird. Wesentlicher Bestandteil sind flexible Arbeitszeiten: Über die gesamte Firmengruppe hinweg gibt es rund 100 verschiedene Modelle.

Dass die Mitarbeiter der Peters Gruppe mit ihrem Arbeitgeber zufrieden sind, zeige sich an der großen Zahl von Weiterempfehlungen im privaten Umfeld, so Regler: »Von den 160 neuen Kollegen, die wir im vergangenen Jahr eingestellt haben, kamen knapp 50 über Empfehlungen aus der Belegschaft.«

Bewerben einfach machen

Ebenfalls erfolgreich ist »Peters Karriere Call«: An bislang zwei Samstagen konnten sich Jobinteressenten telefonisch melden. »Da sind wir die Lebensläufe im Gespräch durchgegangen, sodass keinerlei Unterlagen geschickt werden mussten«, erklärt der Personalleiter. »Uns ist es wichtig, das gesamte Bewerbungsverfahren möglichst niedrigschwellig zu halten.«

Dabei hilft seit Mai 2021 auch eine neue Personalsoftware. Sie ermöglicht, dass sich Interessenten direkt auf der Website des Unternehmens bewerben. Ein weiterer Vorteil der neuen Lösung: Das Personalteam kann problemlos vom Homeoffice aus arbeiten, weil es auch von dort aus auf die digitalisierten Dokumente zugreifen kann.

Digitalisierung des Bewerbungsprozesses

Die EDAG Group, ein Ingenieurdienstleister für die Autoindustrie, hat ebenfalls gutes Timing in Sachen Digitalisierung bewiesen. Schon lange vor Corona führte das Unternehmen eine Bürosoftware ein, die Videocalls ermöglicht. Die Personalabteilung arbeitet seit Mitte 2020 mit einer Lösung, die sämtliche Prozesse digital abbildet. »Lediglich die Arbeitsverträge werden zusätzlich zum Versand per E-Mail noch auf Papier gedruckt«, sagt Wolfgang Fries (47), Leiter Recruiting und HR Business Partner.

Seit Corona werden Vorstellungsgespräche digital geführt. Fries rechnet damit, dass die Erstgespräche auch weiterhin per Videocall durchgeführt werden. »Ob wir die Zweitgespräche künftig wieder persönlich führen, hängt davon, was sich die Prozessbeteiligten nach Corona wünschen.«

Die EDAG Engineering GmbH beschäftigt an ihren mehr als 20 deutschen Standorten rund 5.600 Mitarbeitende. Trotz Pandemie stellte sie im vergangenen Jahr etwa 700 neue Beschäftigte ein, dazu noch Werkstudenten, studentische Hilfskräfte und Aushilfen. Dabei halfen unter anderem die digitalen Formate der Jobmessen. »Im Lauf des Jahres 2021 hat sich deren Qualität deutlich gesteigert«, lobt Fries. »Wenn wir dort Vorträge halten konnten, brachte dies zusätzlichen Mehrwert.«

Videos auf Social-Media

Mindestens genauso wichtig ist jedoch eine verstärkte Onlinepräsenz, vor allem auf Facebook, LinkedIn und Instagram. »Für die Social-Media-Kanäle und unsere Karriere-Website haben wir unter anderem Videos gedreht, in denen Mitarbeitende aus ihrem Arbeitsalltag und über unsere Benefits berichten«, sagt Kerstin Mayer-Nelkenstock (35), Senior Referentin Personalmarketing bei EDAG.

Spezialaktion für IT-Talente

Ende des Sommers startete eine Spezialaktion für besonders begehrte IT-Talente. »Um maßgeschneiderte Botschaften zu senden, haben wir mit Beschäftigten aus dieser Zielgruppe Interviews geführt, um besser zu verstehen, wofür sie sich interessieren und wie wir sie erreichen können«, erklärt Mayer-Nelkenstock.

EDAG intensivierte zudem das interne Empfehlungsprogramm für Mitarbeitende und verdoppelte drei Monate lang die Vermittlungsprämien. Diesen Bonus gibt es seither ab dem ersten Arbeitstag des geworbenen Beschäftigten und nicht erst nach Ablauf der Probezeit.

Active Sourcing bereits seit acht Jahren

Active Sourcing ist bereits seit acht Jahren Teil der Recruiting-Strategie, ein eigenes Team führt es durch. »Das sorgt dafür, dass schnell Zug reinkommt, weil keine Mittelsperson dazwischen ist«, sagt Katharina Seidl (35), Leiterin Active Sourcing. Sie stellt fest, dass mittlerweile viele Führungskräfte aus den Fachabteilungen die Bedeutung dieses Instruments erkannt haben und daher auch von sich aus interessante Kandidaten kontaktieren.

Zu Active Sourcing zählt für Seidl auch das Talent Relationship Management: »Dabei halten wir per vierteljährlich erscheinendem Newsletter Kontakt zu interessanten Bewerberinnen und Bewerbern, für die zunächst keine passende Position gefunden wurde und die der Speicherung ihrer Daten zugestimmt haben«, erklärt sie. Darüber hinaus werden sie zu EDAG-Events eingeladen und erhalten kleine Aufmerksamkeiten zu Weihnachten und an ihrem Geburtstag. »Natürlich informieren wir sie umgehend, sobald eine passende Position frei wird«, fügt Seidl hinzu.

Mobiles Arbeiten anbieten

Auch kleinere mittelständische Unternehmen, die nicht über große Kapazitäten bei der Bewerbersuche verfügen, haben gute Chancen, neue Mitarbeiter zu finden, betont Stefan Scheller (47), HR-Influencer und Gründer von persoblogger.de, einem Onlineportal für die HR-Praxis. »In einer digitalen Welt schaffen sie es deutlich besser, Sichtbarkeit für sich und ihre Jobmöglichkeiten zu generieren, als in einer analogen Welt.«

Die gravierendsten Veränderungen, die Corona beim Recruiting mit sich gebracht hat, sieht der Experte bei Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität: »Unternehmen, die heute keine Optionen für mobile Arbeit oder auch Homeoffice anbieten, haben deutlich schlechtere Karten.«

»Weitgehende Loslösung der Arbeitsleistung vom Arbeitsort«

Darüber hinaus profitierte manches Unternehmen, das seinen Firmensitz außerhalb der großen Zentren hat. Denn die weitgehende Loslösung der Arbeitsleistung vom Arbeitsort, die es zumindest in bestimmten Berufen gibt, lässt diese Firma in den Augen vieler Bewerber nun deutlich attraktiver werden als vor der Pandemie.

4 Tipps fürs Recruiting

Worauf sollten kleine und mittelständische Unternehmen beim Recruiting achten? Stefan Scheller, HR-Influencer und Gründer von persoblogger.de, empfiehlt:

  1. Binden Sie Mitarbeitende aktiv in Employer Branding und Recruiting ein. Die ungesteuerten Aussagen der Menschen, die im Unternehmen beschäftigt sind, haben die höchste Glaubwürdigkeit.
  2. Achten Sie darauf, wie Sie als Arbeitgeber auf Jobplattformen wie Kununu, Glassdoor oder StepStone bewertet werden. Reagieren Sie angemessen auf diese Bewertungen.
  3. In Arbeitsmärkten, in denen nahezu Vollbeschäftigung herrscht, sowie bei speziellen Engpass-Zielgruppen lassen sich Stellen fast nur noch durch aktive Ansprache besetzen. Allerdings sollten Unternehmen Wert auf eine professionelle Ausgestaltung ihres Active Sourcings legen. Bei zu geringem Spezial-Know-how kann im schlimmsten Fall die Arbeitgebermarke beschädigt werden.
  4. Nehmen Sie Ihre Recruiting-Prozesse genau unter die Lupe und prüfen Sie, ob sie nicht durch eine digitale Alternative verbessert werden können. Wichtig ist dabei, dass der persönliche und zwischenmenschliche Kontakt trotzdem – oder gerade deswegen – im Mittelpunkt steht.

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