Die Zukunft des Büros
Nach mehr als einem Jahr Homeoffice und intensiver virtueller Zusammenarbeit ist eine Rückkehr zu Präsenzpflicht und traditionellen Arbeitsformen eher unwahrscheinlich. Wie wirkt sich das auf die Gestaltung von Büros aus?
Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 07/2021
Die erste Freude über den neuen Firmensitz mit Alpenblick währte nur kurz: Ende 2019 bezog das Team der Avantgarde Experts GmbH seine neuen Büroräume im »Kap West«, einem Bürogebäude am Hirschgarten in München. Vier Monate später kam Corona – seither arbeiten die rund 200 Mitarbeiter des Recruiting-Spezialisten größtenteils im Homeoffice. Sie hatten auch schon vor Corona die Möglichkeit, remote, also außerhalb des Büros, zu arbeiten. »Damit haben wir ausgesprochen gute Erfahrungen gemacht«, sagt Geschäftsführer Philipp Riedel (34). Allerdings waren die Mitarbeiter damals drei bis vier Tage pro Woche im Büro, derzeit sind es nur noch ein oder zwei.
Riedel rechnet damit, dass Einzelarbeiten auch künftig lieber zu Hause, im Café oder an der Isar erledigt werden und man vor allem zum Austausch mit Kollegen ins Büro kommen wird. »Mit unserem heutigen Wissen hätten wir vielleicht weniger Fläche angemietet«, räumt Riedel ein. »Andererseits ist es derzeit natürlich auch sehr gut, genügend Platz zu haben.«
Präsenzquote von 80 auf 50 Prozent sinkend?
In den Pandemiemonaten hat sich gezeigt, dass klassische Büroarbeit nicht unbedingt in der Firma erledigt werden muss. Diese Erfahrungen werden die Arbeitswelt, die Funktionen und Ausstattung von Büros nachhaltig verändern. Werner Eichhorst (52), der am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) zum Wandel in der Arbeitswelt forscht, erwartet, dass die Präsenzquote von derzeit 80 auf rund 50 Prozent sinken wird. Er geht davon aus, dass Firmenräume noch mehr als bisher eine Rolle als Treffpunkt und Identifikationsanker übernehmen.
Räume, die Menschen zusammenbringen
Und das hat Auswirkungen auf die Gestaltung von Büros. Avantgarde Experts hat bei der Einrichtung seiner Räume bereits großen Wert darauf gelegt, Kommunikation und Zusammenarbeit zu fördern. Daher dient der Empfangsbereich, ausgestattet mit Sitzecken und Stehtischen, auch als Begegnungsstätte für die Mitarbeiter. Die Dachterrasse lädt ebenfalls zum Austausch ein. Im sogenannten Scribble Room dürfen die Wände beschrieben werden, ein Besprechungsraum ist im Stil der Allianz-Arena gehalten. Darüber hinaus gibt es noch eine Bibliothek und ein Fotostudio, aber auch Tischtennisplatte und Playstation. »Aber eben nicht, weil es gerade hip ist, sondern weil es Menschen zusammenbringt«, sagt Riedel.
Bevor die Einrichtung der Räume in Angriff genommen wurde, beschäftigte sich das Team von Avantgarde Experts intensiv mit den Kernwerten des Unternehmens. In der Konzeptphase arbeitete die Firma mit einer Innenarchitektin zusammen, die sie auch rund um Ergonomie, Brandschutz und Sicherheit beriet.
Die Mitarbeiter wurden ebenfalls eingebunden. »Sie hatten ein gutes Gefühl dafür, wie sie ihre Arbeitsumgebung gestalten wollten«, sagt Riedel. Nach wie vor hat bei Avantgarde Experts jeder Mitarbeiter einen eigenen, festen Arbeitsplatz. »Das ist quasi die Heimat im Büro und wichtig für das Zugehörigkeitsgefühl«, so der Geschäftsführer.
Sichtbar sein, Identität zeigen
Dies sieht auch Monika Berghammer, Gründerin und Geschäftsführerin des auf Büroplanung spezialisierten Innenarchitekturbüros Die Planstelle GmbH, so. »Die meisten Menschen brauchen im Büro einen Rückzugsort, einen Platz, an dem sie sichtbar sind und ihre Identität nicht zuletzt anhand von Urlaubspostkarten, Topfpflanzen oder Familienfotos zeigen können«, weiß sie aus Erfahrung. Beim tätigkeitsbasierten Arbeiten, derzeit ein Trendthema, kann das schwierig werden. Denn hier gibt es keine festen Arbeitsplätze mehr und die Mitarbeiter ziehen mit ihrem Notebook täglich aufs Neue an einen für die anstehenden Tätigkeiten geeigneten Arbeitsort.
»Doch auch diese Bedürfnisse nach einer Art Heimat im Büro müssen übersetzt und integriert werden«, sagt Berghammer. »Denn die Gestaltung der Büroflächen hat zuallererst zur Kultur, der Organisation und den Arbeitsformen eines Unternehmens zu passen.« Die Experten der Planstelle führen daher bei jedem Projekt anfangs eine Art Anamnese durch und beschäftigen sich intensiv mit der Ausgangssituation und den übergeordneten Zielen ihres Auftraggebers.
Unternehmenskultur stärken
»Gerade jetzt, da sich die Abkehr von der Präsenzkultur, von fixen Arbeitsorten und -zeiten durch Corona rapide beschleunigt hat, ist ein historisch fast schon einmaliger Zeitpunkt zu hinterfragen, welche Funktionen Firmensitz und Büros künftig erfüllen sollen«, sagt die Expertin. »Dabei sollte es allerdings nicht in erster Linie darum gehen, Flächen und damit Geld einzusparen, sondern um die Stärkung von Unternehmenskultur, Zusammenhalt und Innovationskraft.«
Bedeutung von Einzelbüros sinkt
Büros werden sich künftig verstärkt zu Orten der Begegnung und der Kommunikation entwickeln, erwartet IZA-Forscher Eichhorst. »Wer alleine konzentriert an einer Aufgabe arbeitet, wird dies wohl auch nach Corona eher im Homeoffice tun. Daher sinkt die Bedeutung von Einzelbüros.« Dies sei jedoch keine neue Entwicklung, so Eichhorst. In Wissensberufen sei das Büro schon seit etwa zehn Jahren nicht mehr der alleinige privilegierte Arbeitsort. »Durch Corona hat sich diese Entwicklung lediglich deutlich beschleunigt.«
Räume: wandelbar, flexibel und mehrfach nutzbar
Dass in Zukunft ausschließlich remote gearbeitet wird, hält der Wissenschaftler für wenig wahrscheinlich: »Man sieht heute, wie wichtig persönliche Begegnungen und ein direkter Austausch für kreative Prozesse sind.« Darauf sollten Unternehmer reagieren und mehr Sozialräume, Kaffeeküchen und Begegnungszonen einrichten, die einladend und freundlich wirken und eine hohe Aufenthaltsqualität bieten. Zudem sollten Räume für Videokonferenzen und geräuschvolle Kommunikation mit entsprechend guter technischer Ausstattung zur Verfügung stehen. »Grundsätzlich ist es sinnvoll, darauf zu achten, dass Büroräume wandelbar, flexibel und mehrfach nutzbar sind«, rät Eichhorst.
Wie stark der Flächenbedarf für Büros tatsächlich sinken wird, lässt sich nicht eindeutig prognostizieren. »Aus Infektionsschutzgründen werden Büros künftig wohl nicht mehr so eng besetzt werden. Zudem ersetzen Videokonferenzen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin viele Geschäftsreisen, was wiederum die Präsenz im Büro erhöhen kann«, sagt Eichhorst.
Fest steht, dass sich die Rolle des Büros verändert: Der ehemals klassische Arbeitsort wird immer mehr zur Begegnungsstätte, die zudem die Identität und Kultur des Unternehmens widerspiegelt. Eichhorst empfiehlt Unternehmern, darauf zu achten, dass ihre Räumlichkeiten die selbst gesteckten Ansprüche und das Selbstverständnis ihrer Firma widerspiegeln. Avantgarde-Expert-Chef Riedel kann das nur bestätigen. »Das hilft nicht zuletzt im Wettbewerb um Fach- und Nachwuchskräfte, wie unsere Mitarbeiter bei Recruiting-Gesprächen immer wieder feststellen«, betont er. »Neben flexiblen Arbeitszeiten und -orten spielt auch ein modernes, attraktives Arbeitsumfeld für jüngere Generationen eine enorm wichtige Rolle.«
Drei Tipps für den Umbau
Worauf sollten Unternehmer bei der Neu- und Umgestaltung von Büroräumen besonders achten? Die Innenarchitektin Monika Berghammer, Geschäftsführerin der Die Planstelle GmbH, gibt folgende Empfehlungen:
1. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Team anhand Ihrer Erfahrungen mit Homeoffice und virtuellem Austausch, wie in Ihrem Unternehmen künftig gearbeitet werden soll. Was hat während der Lockdown-Phasen gut funktioniert, was weniger gut? Was möchten Sie beibehalten? Wie kann die Gestaltung der Arbeitsräume dies unterstützen?
2. Schaffen Sie Orte, an denen Mitarbeiter gern verweilen. Das fördert den Austausch und die Kreativität. In vielen Unternehmen können Gänge, Teeküchen, Eingangshallen oder die Kantine attraktiver gestaltet und damit vielfältiger und sinnvoller genutzt werden.
3. Geben Sie einzelnen Abteilungen oder Geschäftseinheiten Gestaltungsspielräume bei der Einrichtung und der Festlegung von Regeln der Zusammenarbeit. Lassen Sie die einzelnen Teams unter anderem vereinbaren, wie die Arbeitsplätze nach Feierabend verlassen werden, wo telefoniert wird und wo man sich zum Austausch trifft.