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Der ökologische Weg

Thorsten Jochim ©
Übernahm 2016 die Geschäftsführung – Hofpfisterei-Chefin Nicole Stocker

Die Familie Stocker lenkt seit 105 Jahren die Geschicke der Hofpfisterei. Sie setzte bereits früh als Bio-Pionier neue Maßstäbe – und will sie weiter setzen.

SEBASTIAN SCHULKE, Ausgabe 09/2022

Eine gewöhnliche Seitenstraße in Münchens Innenstadt: Rechts und links parken Autos, dahinter reihen sich Häuser mit Wohnungen, kleinen Büros, einem Wirtshaus und Läden. Vor einem dieser Geschäfte hat sich eine Menschenschlange gebildet. Der Duft von frisch gebackenem Brot scheint die Leute angelockt zu haben. Es ist Brot von der Hofpfisterei.

15.000 Brote täglich

Hier in der Kreittmayrstraße 5 werden die runden Laibe allerdings nicht nur verkauft, sondern auch im großen Stil gebacken – um die 15.000 Brote täglich. Denn hinter dem kleinen Geschäft befindet sich die Zentrale der Ludwig Stocker Hofpfisterei GmbH, die 160 Filialen in Bayern und darüber hinaus betreibt.

Hauseigene Mühle

Eine unscheinbare Hofeinfahrt direkt neben der Filiale führt zu den alten Steinöfen und der Geschäftsstelle. Lastwagen stehen hier und warten darauf, beladen zu werden. Ein alter Schornstein aus roten Backsteinen ragt in den Himmel. In riesigen Silos lagert das Mehl, das die hauseigene Meyermühle in Landshut nach ökologischen Ansprüchen fertigt und liefert – und aus dem der Natursauerteig für mehr als 20 verschiedene Öko-Brotsorten angesetzt wird.

In dritter Generation

Geschäftsführerin Nicole Stocker führt das Familienunternehmen in dritter Generation. 1917 hatte ihr Großvater Ludwig Stocker die traditionsreiche Hofpfisterei übernommen. Sie hatte bereits vor mehr als 650 Jahren den Hofstaat von Kaiser Ludwig dem Bayern mit Brot und Mehl versorgt. Stocker kam aus Pocking in Niederbayern, war gelernter Bäckermeister und wollte in München sein Glück versuchen.

Von der königlichen Krongutsverwaltung pachtete er die Pfistermühle direkt neben dem Hofbräuhaus. Eine Hofpfisterei besaß das Privileg, die verschiedenen Zünfte, also Müller, Mehlhändler und Bäcker, vereinen zu dürfen. »Die Mühle ist das Herzstück, das Bindeglied zwischen Bauern und Bäckern«, meint Nicole Stocker. »So haben wir den gesamten Produktionskreislauf bis zum Kunden im Blick. Wir wissen also genau, was in unseren Öko-Bauernbroten steckt.«

Auf Gas angewiesen

Daran ändert auch der Ukraine-Konflikt nichts. Die Hofpfisterei arbeitet mit regionalen Bauern zusammen, die ihr das Getreide liefern und genau wissen, welche Ansprüche Getreide und Mehl erfüllen müssen. »Da gab und gibt es keine Engpässe«, so die Geschäftsführerin. Beim Erdgas allerdings schon. Denn anders als in der Coronakrise gehören Lebensmittelhersteller wie Bäckereien nicht zur kritischen Infrastruktur. »Sollte es also wegen des Ukraine-Kriegs zu einer Gasknappheit kommen, könnten uns die Stadtwerke München das Gas abdrehen«, sagt Stocker besorgt.

Systemrelevanz gefordert

Das hätte Einfluss auf die Produktion und das Sortiment. Denn von den drei großen Backöfen in der Kreittmayrstraße können nur zwei im Notfall mit Öl betrieben werden. Im fränkischen Lauf an der Pegnitz hat die Hofpfisterei einen weiteren Standort. Eine Gasofenanlage backt dort Semmeln und süße Teilchen. »Diese Anlage müsste dann stillstehen«, erklärt Stocker und fordert: »Viele Lebensmittelhersteller sind auf Gas angewiesen. Der Gesetzgeber sollte diese wie bei der Pandemie als systemrelevant einstufen. Sonst sind irgendwann viele Regale in den Backstuben und Supermärkten leer.«

Kleineres Sortiment spart Gas

Die Hofpfisterei stellt sich bereits auf den Notfall ein und mindert den Gasverbrauch, indem sie das Sortiment reduziert. Das spare Gas und Energie, so Stocker. »Zum Glück haben unsere Kunden dafür größtenteils Verständnis.«

Die Pandemie habe das Unternehmen vor ganz andere Herausforderungen gestellt, sagt die Unternehmerin. Neben dem Ausstatten der Filialen mit Schutzwänden aus Plexiglas seien vor allem die ständig wechselnden Coronaverordnungen sehr fordernd gewesen. Zudem hätten die Mitarbeiter den Frust der Menschen durch die Lockdowns zu spüren bekommen. Es habe auch immer wieder Phasen gegeben, in denen die Umsätze um bis zu 80 Prozent eingebrochen seien. Dafür sei der Onlineversand gestiegen.

»Geburtsstation der Hofpfisterei-Brote«

Die Produktion verteilt sich auf über drei Etagen. Oben befindet sich die Mischerei, die »Geburtsstation der Hofpfisterei-Brote«, sagt Produktentwicklerin Klaudia Klaene. In riesigen Bottichen werden die Natursauerteige nach jahrhundertealten Rezepturen angesetzt. Auf künstliche und chemische Zusätze wird verzichtet. »Zeit und Gefühl spielen eine sehr wichtige Rolle«, meint Klaene.

24 Stunden dauert es, bis der Teig fertig ist. Dieser lange Vorgang harmonisiert die natürliche Entwicklung der Hefen sowie der Milch- und Essigsäuren im Teig. Dieser wird dann in einen Schacht gekippt und eine Etage tiefer portioniert. Als runder Laib oder Kastenbrot geht es dann in die mehretagigen Ofenanlagen.

90 Minuten in alten Steinöfen

Unten im Keller befinden sich die alten Steinöfen. Darin werden Brotsorten wie die »Pfister Öko-Sonne« gebacken. In den Gewölben aus Schamottesteinen dauert es bei schonenden 200 Grad etwa 90 Minuten, bis das Brot gebacken ist. Gerade werden die Brote »geschossen«. Das heißt: Die vorgebackenen Laibe legt ein »Aufsetzer« auf einen vier Meter langen Schieber, mit dem der »Schießer« die Brote zielgenau in das Gewölbe befördert.

Bis zu 120 Brote passen in so einen alten Steinofen. Eine schweißtreibende Arbeit, zumal das Raumklima hier unten durch die laufenden Öfen an eine Sauna erinnert. Insgesamt arbeiten 60 Bäcker in der Kreittmayrstraße, davon vier Meister, die sich vor allem um die Koordination der einzelnen Bereiche und Abläufe sowie um die Natursauerteige kümmern. »Timing und Teamwork sind bei uns sehr wichtig«, meint Lukas Fuchs (24), der seit Mai dieses Jahres als Bäckermeister bei der Hofpfisterei arbeitet. »Fertigbackmischung auf und rein, das gibt’s nicht.«

Öko-Pionier Hofpfisterei

Für Nicole Stocker ist die Hofpfisterei eine Herzensangelegenheit. »Wir haben zu Hause Sauerteig angesetzt. Ich war oft in der Backstube. Das hat mir einfach Spaß gemacht – bis heute.« Ihre Eltern mussten sie nicht überreden, die Nachfolge im Unternehmen anzutreten. Schließlich ist die Hofpfisterei nicht irgendeine Bäckerei. Sie zählt zu Deutschlands Öko-Pionieren.

Als Nicoles Vater, Siegfried Stocker, 1970 den Familienbetrieb übernahm, hatte er bereits eine naturnahe und ökologische Fertigung vor Augen. Dieses Ziel nahm Anfang der 1980er-Jahre immer mehr Gestalt an. Denn die Nitratbelastung im Grundwasser war damals in Deutschland so hoch, dass Kinder und Schwangere davor gewarnt wurden, Leitungswasser zu trinken. »Das war der Auslöser«, meint Nicole Stocker.

»In vielen großen Zeitungen haben meine Eltern damals Anzeigen geschaltet, in denen sie Landwirte gesucht und dazu aufgerufen haben, mit ihnen gemeinsam einen ökologischen Weg einzuschlagen, der ohne giftige Düngemittel auskommt. Fünf Bauern meldeten sich, waren interessiert. Drei von ihnen sind immer noch mit dabei.«

»Vor 40 Jahren war Bio noch nicht so das Thema«

1982 kamen die ersten Öko-Brotsorten in den Verkauf. Zwölf Jahre später folgte die Gesamtumstellung des Betriebs auf ökologische Brotherstellung. »Vor 40 Jahren war Bio noch nicht so das Thema«, sagt Stocker. Ihre Eltern hätten sehr dafür kämpfen müssen. Allein schon genügend Bio-Getreide aufzutreiben, sei nicht leicht gewesen. Zumal das optisch gleich ausschauende Brot ja plötzlich teurer geworden sei. Da hätten viele Kollegen ihren Vater für verrückt erklärt.

Das große Ganze im Blick

Doch Siegfried Stocker ließ sich nicht beirren. Er setzte auf Transparenz, Nachhaltigkeit und Qualität. Mit Naturland, dem Verband für ökologischen Landbau, entstand eine enge Verbindung. Die Öko-Metzgerei »Landfrau« kam 1998 hinzu. »Ein weiterer Baustein für meine Eltern auf ihrem ökologischen Weg«, meint Stocker. »Sie haben immer das große Ganze gesehen.«

Noch Spielraum bei »unverpackt« und »plastikfrei«

Die heutige Geschäftsführerin stieg nach dem Studium ins Familienunternehmen ein. Sie brachte die Hofpfisterei nach Berlin, eröffnete dort 2008 die erste Filiale. Als Siegfried Stocker 2016 starb, übernahm Nicole das Familienunternehmen. »Wir haben noch viel vor uns«, meint sie. In Bereichen wie »unverpackt« und »plastikfrei« gebe es noch Spielraum.

Bereits 50 Tonnen Plastik- und Verpackungsmüll jährlich gespart

Seit Januar 2022 setzt die Hofpfisterei beispielsweise auf spezielle Kühlboxen für den Transport von gefrosteten Backwaren. »Dadurch sparen wir jährlich 50 Tonnen Plastik- und Verpackungsmüll ein«, sagt die Unternehmerin. Sie sitzt in der Kreittmayrstraße im Hinterhof in ihrem Büro. Ein Fenster ist offen, der Duft von frisch gebackenem Brot zieht herein. Die Geschäftsführerin schaut nachdenklich: »Klimawandel und Umweltschutz bleiben die Themen unserer Zukunft. Daran werden hoffentlich Kriege und Inflationen nichts ändern.«

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