Klaus Mergel ©
Optimistisch – Josef Seitner (r.) mit Schwiegersohn Michele Scollo (l.) und Mitarbeiter Jason Charles

Der Flößereibetrieb Josef Seitner hat ein Jahr Pandemie-Stillstand aus eigenen Mitteln durchgestanden. Mit Impfungen und Schnelltests könnte es in der Saison 2021 wieder losgehen, hofft er. 

Klaus Mergel, Ausgabe 03/21

So still war es in den vergangenen 100 Jahren hier wohl nie. Ein Jahr lang war das Loisachufer in Wolfratshausen, Ortsteil Weidach, von idyllischer Ruhe geprägt. Sonst herrscht dort im Sommer ab sieben Uhr geschäftiges Treiben, wenn die Flöße zusammengebaut werden und gen München auf Tour gehen: Die traditionellen Gaudifahrten gehören zu Oberbayern wie der süße Senf zur Weißwurst. 2020 gab es wegen der Coronakrise eine Zwangspause.

Wenn alles klappt, geht es jedoch bald wieder los: Josef Seitner, Flößer in der vierten Generation, ist zuversichtlich: »Wir bereiten uns auf die neue Saison vor. Wir schauen nach vorne.« Noch sieht es beim Flößereibetrieb Josef Seitner OHG nicht danach aus. Auf dem Betriebsgelände ist alles akkurat aufgeräumt, die Ruder sind unter einem Vordach verstaut. Und auch wenn 2020 keine einzige Floßfahrt stattfand, so gab es in den vergangenen Monaten doch immer etwas zu tun. »Die üblichen Vorbereitungen im Herbst und Winter«, sagt Seitner. »Ich mag diese Arbeit recht gern.«

Seitner, Schwiegersohn Michele Scollo (41) und Mitarbeiter Jason Charles (43) haben neue Rudersäulen aus Buchenholz geschnitzt, die später in eine Vertiefung im Floß gesteckt werden. Sie haben dicke Eisendrähte zusammengedreht, mit denen man die Stämme mit Stahlkeilen verbindet. Und Weidenäste aus den Isarauen zu Schlingen geflochten, mit denen die Ruder befestigt werden. »Die Weiden sind elastisch, ein Metallring würde das Holz durchreiben«, erklärt Seitner. Kaum jemand kennt das Geschäft so gut wie er: Seit er 16 Jahre alt ist, ist er bei den Fahrten an Bord.

Bauholz, Steine und sogar Geigen transportiert

Zu Zeiten seines Großvaters brachte man so noch Bauholz und Steine und sogar Geigen aus Mittenwald in die bayerische Landeshauptstadt. Seit den 1950er-Jahren, als die Lkws die Straßen eroberten, transportiert man per Floß nur noch Personen: Gaudifahrten für Vereine, Firmen und Touristen. Seit April 2020 ist die Tradition sogar in das bayerische Landesverzeichnis des immateriellen Unesco-Kulturerbes eingetragen. Genau genommen, gab es 2020 noch mehr zu feiern: das 170-jährige Jubiläum des Flößereibetriebs Josef Seitner. Dem Großvater ist es zu verdanken, dass die Floßschifffahrt noch existiert. Er veranlasste seinerzeit die Isar-Amper-Werke zum Bau von Floßgassen. Doch 2020 war niemandem so richtig zum Feiern zumute. »Diese Ehrung ist schön und macht uns stolz«, sagt Josef Seitner, »hat uns aber nicht viel geholfen.«

Einnahmen: null Euro

Schon zu Beginn der Krise war klar: Auf den urwüchsigen Wasserfahrzeugen, die auf dem Gebirgswasser gen München gleiten, würden sich auf 18 mal 6,80 Metern bis zu 60 Personen tummeln. Der Mindestabstand wäre kaum einzuhalten. Die Coronabeschränkungen hält Seitner trotz Verlusten für sinnvoll: »Absolut richtig. Lieber Vorsicht als Nachsicht.«

Am Ufer in Weidach liegen die 60 Baumstämme, aus denen sonst die Flöße gebaut werden, also ungenutzt herum. »Die Hälfte mussten wir ersetzen«, sagt der 73-Jährige, »die waren schon über ein Jahr alt. Da kann man sie nicht mehr verwenden.« Rund 6.500 Euro musste der Betrieb neu investieren – obwohl die Stämme nie Isarwasser gesehen haben: Haarrisse könnten auftreten. Im vergangenen Herbst suchten also Seitner und seine Mitarbeiter neue Stämme im Staatsforst aus: Nur schnurgerade gewachsene Fichten, bestes Mondholz und rund 45 Zentimeter stark, eignen sich zum Floßbau. Klar, dass solch ausgewähltes Material den üblichen Holzpreis übersteigt.

Die Einnahmen des Flößereibetriebs 2020: null Euro laut Steuerberater. Soforthilfe? Wurde nicht beantragt. Doch auch wenn Betriebsgelände und -gebäude sich im Eigentum des Familienunternehmens befinden, entstehen mit jedem Tag Stillstand Kosten, unter anderem für Versicherungen für Gebäude, die zahlreichen Fahrzeuge und die Betriebshaftpflicht.

Hilfskräfte zu Hause, Vollzeitmitarbeiter in Kurzarbeit

In »normalen Zeiten« werkeln in Weidach täglich bis zu 20 Mitarbeiter: Es gilt, die Flöße zu bauen, vorzubereiten und sich um die Gäste zu kümmern. Derzeit sind jedoch alle Hilfskräfte zu Hause, die drei fest angestellten Vollzeitkräfte in Kurzarbeit. »Wir sind über die Kurzarbeiterregelung sehr glücklich, denn die Löhne bedeuten viel Geld für uns«, sagt Seitner. Er selbst ist als Seniorchef in Rente und damit »halbwegs versorgt«.

Zwei Töchter führen Betrieb in fünfter Generation

Doch der Betrieb, den seit einigen Jahren seine Töchter Martina und Petra in fünfter Generation führen, lebt von der Substanz. »Die Jahre zuvor waren gut, da darf man nicht jammern«, sagt Seitner. »Ein Jahr Verdienstausfall stemmen wir aus den Rücklagen. Doch bei einem zweiten Jahr wird es kritisch.«

20 Tonnen-Floß in Bewegung – ohne Ladung

Man muss anpacken bei der Flößerei. Und ungefährlich war das Geschäft in der Vergangenheit nie. 20 Tonnen sind bei einem Floß in Bewegung – ohne Ladung. In früheren Zeiten habe man, so erzählt Seitner, am liebsten Nichtschwimmer angeheuert: »Die verteidigen das Floß, wenn was ist.« Er grinst. Junggesellen wurden bevorzugt – die belasteten im Todesfall die Innungskasse nicht so stark. Aber: Ein Flößer erlebte was und galt etwas. Sein Großvater Sebastian war bei der letzten Floßfahrt auf der Donau an Bord, als man 1904 einen Biersudpfannendeckel von Bayern nach Wien transportierte.

Unerschütterlich und optimistisch

Vielleicht hat diese Nähe zur harten Realität – kombiniert mit der Solidität eines bayerischen Familienbetriebs – die Seitners so unerschütterlich und optimistisch gemacht. »Wir stellen uns darauf ein, dass es 2021 mit einer Impfung und Schnelltests wieder losgeht«, sagt der Seniorchef. »Wenn der Test dann negativ ist, kann ein Gast aufs Floß. Denn was gibt es Schöneres für die Menschen, als mit einer Halben Bier und einer Brotzeit bei schöner Musik auf der Isar zu fahren?«

Die Kapelle während der Fahrt kostet extra

Vor Corona schickte die Firma Seitner täglich drei Flöße auf die Reise. Nach der Ankunft in München-Thalkirchen wurden sie zerlegt und per Lastwagen zurück nach Wolfratshausen transportiert. »Ein ewiger Kreislauf«, sagt Seitner. Die Kundschaft: Vereine, Betriebsausflüge und Touristengruppen, die über professionelle Anbieter zusammengestellt und gebucht werden. Denn die Fahrt wird pauschal in Rechnung gestellt, mit 60 Passagieren kostet eine Tour nach München rund 3.000 Euro, mit Verpflegung 5.300 Euro, die Kapelle muss extra bezahlt werden.

Es habe im Krisenjahr 2020, so Seitner, Überlegungen gegeben, ob man nicht auch nur 30 Leute befördern könne – also mit Sicherheitsabstand. »Rein theoretisch würde das gehen. Doch inklusive Brotzeit und Musik wäre das für die Kunden zu teuer.« Also gehen die Flößer für die Zukunft vom Besten aus. Und machen sich bereit zu starten, wenn von den Behörden ein O.K. kommt. Ohne Klagen. »Wir müssen alle mit dem Virus leben«, sagt Seitner. »Seien wir froh, wenn wir nicht daran erkranken.«

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