Chancen für den Tourismus
Die Übergänge zwischen Arbeit und Urlaub verwischen seit der Pandemie zusehends. Wie reagieren Hotellerie und Tourismus auf die Wünsche der Gäste nach passenden Angeboten?
Von Margrit Amelunxen, IHK-Magazin 04/2024
„Stay a little bit longer“, so heißt die Kampagne des Convention Bureau Rheinland-Pfalz, die Geschäftsreisende zum Bleisure-Trip verführen will. Bleisure ist ein Kofferwort aus B(usiness) und Leisure. Es steht für den wachsenden Trend, geschäftliche Reisen mit Kurzurlaub zu kombinieren.
Eine steigende Nachfrage nach solchen Angeboten registriert man auch in Bayern, wie Uwe Schulze-Clewing, Geschäftsführer der Best Western Premier Bayerischer Hof Miesbach Betriebsgesellschaft mbH, berichtet: „Wir hatten schon einmal eine Kampagne für Gäste, bei der sie nach Tagungsende zu Sonderkonditionen privat verlängern konnten. Wir werden das jetzt wieder neu aufziehen, weil ich glaube, dass es da einen Markt gibt.“
Zukunftsträchtiges Konzept: „Bleisure“
Umfragen geben Schulze-Clewing Recht. Laut dem „Hilton 2024 Trends Report“ plant über die Hälfte der Geschäftsreisenden, ihren Business-Trip mit Freizeit zu ergänzen. 46 Prozent der Befragten überlegten sogar, eine Begleitung mitzunehmen. Stefan Wild, Mitglied des DEHOGA-Bayern-Präsidiums und Vorsitzender des Fachbereichs Hotellerie, beobachtet diese Entwicklung sehr genau. „Mit ›Bleisure‹ haben wir eine Headline, die man marketingtechnisch gut bespielen kann“, sagt er. Deshalb stehe das Thema auf der Agenda der nächsten Fachbereichstagung für bayerische Hoteliers.
Seit der Coronapandemie verschwimmen die Übergänge zwischen Arbeit, Privatleben und Urlaub – Gäste wünschen sich von Hotels entsprechende Flexibilität. Dabei verändern sich nicht nur die Ansprüche der Geschäftsreisenden. Selbst an klassischen Urlaubsorten erwarten Reisende nun Strukturen, um zwischendurch zu arbeiten. „Auch der Wellness-Gast, der früher gar nicht ans Arbeiten gedacht hätte, wird dann eventuell etwas länger bleiben“, sagt Marco A. Gardini, Tourismusprofessor an der Hochschule Kempten und stellvertretender Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus e.V. Voraussetzung dafür sei nicht nur „ein Top-Hotel, sondern auch Top-Arbeitsbedingungen“.
Neue Bedürfnisse der Gäste ernst nehmen
Markus Pillmayer, Professor an der Hochschule München, bestätigt diese Entwicklung: „Mit der Transformation der Arbeitswelt ändern sich die Bedürfnisse von Gästen.“ New Work mit seinen Teilaspekten sei derzeit „vielleicht noch eine Nische, aber das Bedürfnis ist auf alle Fälle da. Unternehmen im Hotel- und Tourismusbereich müssen nun entscheiden, ob oder wie man auf diesen Trend eingeht.“
Das Hotel Scandic München Macherei, das 2022 als Teil des neuen Quartiers in Berg am Laim eröffnete, hat sich bereits auf das veränderte Reiseverhalten eingestellt. Hier lässt sich besichtigen, wie passende Angebote in der Praxis aussehen. General Manager Carina Antic spricht vom „größten Wohnzimmer Münchens“, das mit verschiedenen, ineinander übergehenden Arbeitsbereichen jedem offenstehe. „Bis 16 Uhr gibt es keinen Barbetrieb, sodass man hier ungestört arbeiten oder Besprechungen abhalten kann“, erklärt Antic.
Übernachtung mit Arbeitsplatz
Bar, Coworking-Tisch, Living Room oder die Social Staircase mit ihren podestförmig angeordneten Bänken bieten reichlich Arbeitsplätze mit genügend Steckdosen und guter Beleuchtung. Selbst der Billardtisch dient tagsüber als Arbeitsplatz. Dazu kommen 2 kleine Meetingstudios. Für größere Veranstaltungen arbeitet das Hotel eng mit den benachbarten Design Offices München zusammen. Dort können auf insgesamt 16.500 Quadratmetern Meetingräume für flexible New-Work-Settings und Eventflächen für bis zu 400 Teilnehmende gebucht werden.
Der vom Restaurant getrennte Co-working-Bereich im Scandic-Hotel wird abends gern für den lockeren Tagesausklang genutzt. „Das Schöne ist, es ist kein klassischer Tagungsraum, kein Restaurant, sondern hat ein Wohnzimmer-Feeling mit verschiedenen Sitzgelegenheiten, Kicker und Billard“, so Antic.
Mit Waldblick kreativer arbeiten
Vom Wohnzimmer spricht auch Johannes Tien, Betreiber des Hotels BERGEBLICK in Bad Tölz, wenn er berichtet, dass Gäste entspannt am gemütlichen Tisch im Foyer einchecken. Ob beim Arbeiten unter freiem Himmel, Coworking in der Business Lounge oder Meeting in Tagungsräumen mit Waldblick – Tiens Gäste schätzen „die entschleunigte Atmosphäre, in der man weit effektiver sein kann, als wenn man immer nur am eigenen Schreibtisch ist“.
Ganze Region profitiert
Regionalentwicklung und Tourismus nehmen diese neue Erwartungshaltung von Reisenden auch wahr und positionieren sich entsprechend. „Die Mischung aus Freizeit und Arbeit ist hoch spannend“, sagt Oswald Pehel, Geschäftsführer des Tourismus Oberbayern München e.V. (TOM e.V.). „Dadurch ergeben sich ganz neue Angebote, mit denen wir nach vorn gehen müssen.“ Er setzt dabei auf Coworkation. Auch dies ein Kofferwort, zusammengesetzt aus co, work und(vac-)ation – also die Kombination von Arbeit und Urlaub an einem touristisch attraktiven Ort.
Matching über digitale Plattformen
Dass nicht jeder das Rad neu und für sich allein erfinden muss, zeigt der CoworkationALPS e.V. mit Partnern aus dem Oberland, Österreich, Italien und der Schweiz. Der Verein beschäftigt sich mit dem Thema Coworkation seit 2019. Er berät und vernetzt Regionen und bietet eine Plattform für Anbieter und Gäste. Bei diesen handelt es sich laut der Vorstandsvorsitzenden Veronika Engel weniger um digitale Nomaden als um Firmenteams, die produktives Arbeiten mit Entspannung kombinieren möchten. Oder auch um Menschen, die einen Urlaub in den Bergen mit ein, zwei Arbeitstagen verknüpfen.
Auch für kleine Hotels attraktiv
Eine Zusammenarbeit mit dezentralen Coworking-Spaces erlaube auch kleineren Betrieben, solchen Wünschen der Gäste nachzukommen, ohne selbst investieren zu müssen, so Engel. Wie das funktionieren kann, zeigt die office manufaktur GmbH in Hausham. Ein Mix aus Coworking-Plätzen, Einzelbüros, Meeting- und Kreativräumen ermöglicht professionelles Arbeiten für Urlaubsgäste wie für Einheimische.
„Ortsunabhängig zu arbeiten, ist ein Trend, den wir auf verschiedenen Ebenen sehen, deshalb sollte man sich als Anbieter im Tourismus- und Gastgewerbe unbedingt damit beschäftigen“, fasst Tourismusexperte Gardini zusammen. Es wäre „fast fahrlässig, diese Entwicklung nicht zu beachten“.