Pappkarton war gestern

Unternehmer Oliver Mund hat ein ehrgeiziges Ziel: Er will das Umzugswesen revolutionieren. Für sein nachhaltiges Kreislaufsystem hat er die nächste Branche schon im Blick.
HARRIET AUSTEN, Ausgabe 05/2022
Wenn Oliver Mund auf der Straße einen Umzugswagen sieht, vollgepackt mit den üblichen Kartons, erhöht sich sein Puls. »Die halten höchstens ein- bis dreimal«, sagt der 42-Jährige kopfschüttelnd, »reine Energie- und Materialverschwendung.«
Mehr als 400-mal einsetzbar
Mit dem Verleih seiner grünen, recycelbaren Kunststoffboxen hat der Unternehmer längst eine nachhaltige Alternative auf den Markt gebracht. Eine Box sei mehr als 400-mal einsetzbar, die Klimabilanz wesentlich günstiger. Mund hat sein Unternehmen Turtlebox GmbH genannt, das Logo zeigt eine Schildkröte: »Sie steht für Langlebigkeit und zieht mit ihrem Haus auf dem Rücken praktisch die ganze Zeit um.« Inzwischen beschäftigt Mund 15 Mitarbeiter und betreibt deutschlandweit 24 Standorte, über die bisher zwei Millionen Turtleboxen verliehen wurden.
Etwas Neues, Eigenes, Sinnvolles
Auf seine Geschäftsidee kam der Gründer beim eigenen Umzug. Ein Freund hatte ihm Kunststoffkisten geliehen, die Mund viel praktischer und stabiler fand als herkömmliche Umzugskartons. Warum gibt es so was nicht zum Ausleihen? fragte er sich. Als er keine entsprechenden Angebote fand, beschloss er, diese Nische selbst zu erobern. Etwas Neues, Eigenes, Sinnvolles zu machen, hatte er längst vor.
Mund war damals bei der LaSalle Investment Management GmbH beschäftigt, baute die Münchner Niederlassung mit auf. Er verhandelte während des Immobilienbooms große Projekte – bis die Finanzkrise kam. »Der Zusammenbruch des Kartenhauses hat mich enttäuscht, gleichzeitig war das aber ein Wendepunkt in meinem Leben«, sagt der Betriebswirt. Er nahm allen Mut zusammen, kündigte den gut bezahlten Job und setzte seine Idee um.
Start mit 2.000 Boxen
Er startete 2012 in München mit Erspartem, einem Gründerdarlehen, drei Mitarbeitern und 2.000 grünen Boxen, die er damals nur an Privatkunden verlieh: »Wir haben alle Prozesse selbst gemacht, auch die Auslieferung, und dabei viel gelernt.« Bereits kurz nach der Gründung erhielt Turtlebox den Münchner Umweltpreis.
2016 ging es dann so richtig los. Immer mehr Menschen interessierten sich für Nachhaltigkeit und Umweltschutz, die Nachfrage nahm schubweise zu. Das ermutigte Mund, in andere deutsche Städte zu expandieren.
Wiesnbesuch mit Folgen
Mit eigenen Mitteln ließ sich das Wachstum nicht mehr stemmen. Dem Unternehmer kam ein glücklicher Zufall zuhilfe. Bei einem Wiesnbesuch lernte er den Logistik- und Immobilienunternehmer Alfons Viehbacher (50) kennen, der »total begeistert von Turtlebox war«, so Mund. Kein Wunder, denn die grünen Kisten haben viele Vorteile. Sie sind langlebiger und stabiler als Pappkartons, wirken der Wegwerfmentalität entgegen, vermeiden Müllberge, sparen in der Herstellung Trinkwasser und werden nach Gebrauch geschreddert und zu neuen Kisten verarbeitet – ein vollständiger Recycling-Kreislauf.
Wachsender B2B-Bereich
Viehbacher stieg 2017 bei Turtlebox ein, erst als Kapitalgeber und Berater, dann als gleichberechtigter Gesellschafter und Geschäftsführer. Der vertriebserfahrene Manager kümmert sich um den wachsenden B2B-Bereich. Der kam 2019 dazu, als Klimaaktivistin Greta Thunberg und Fridays for Future »einen größeren Sinneswandel in Richtung Klimaschutz bewirkten«, sagt Mund. Firmen wie die Stadtwerke München, Flixbus, die MunichRe-Tochter MEAG und auch die IHK für München und Oberbayern bewältigten schon Umzüge mit Turtleboxen.
Die klimaschonenden Kisten sind inzwischen auch in Baumärkten zu finden. »Selbst Umzugsunternehmen sind trotz ständigen Kosten- und Wettbewerbsdrucks mittlerweile zum ökologischen Umdenken bereit und entwickeln sich zu einem weiteren Hauptabnehmer für Turtleboxen«, freut sich Mund. Derzeit trägt das Firmengeschäft die Hälfte zum Umsatz bei, Tendenz steigend.
Neuer Geschäftsbereich im Blick
Mund verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: »Wir wollen die unzeitgemäßen Kartonagen komplett ersetzen.« Um das »Riesen-Wachstumspotenzial« zu heben, baut er stetig weitere Standorte und Logistikzentren in Deutschland auf. Zugleich hat er einen neuen Geschäftsbereich im Blick: ein Pool von Kunststoffkisten in der Einzelhandelslogistik, mit dem zum Beispiel Handelsketten ihre Filialen nach dem Mehrwegprinzip beliefern und Unmengen täglichen Kartonagenmülls vermeiden. »Die Zeit ist reif dafür, über das Umzugssegment hinauszugehen«, findet Mund.
In diesem Jahr feiert er mit Turtlebox das zehnjährige Firmenjubiläum. »Ich hätte mir 2012 nie erträumen lassen, dass wir so weit kommen«, sagt er und setzt auf weiteres Wachstum: »Sobald sich die Coronaproblematik gelegt hat, werden sich Firmen noch eingehender mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen.«
Zur Person: Oliver Mund
Oliver Mund, Jahrgang 1979, studierte BWL mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik und Immobilienökonomie und machte zunächst bei LaSalle Investment Management in München Karriere. 2012 gründete Mund die Turtlebox GmbH und baute ein nachhaltiges Kreislaufsystem für Umzugskisten aus Kunststoff auf. Er gehört dem IHK-Regionalausschuss München sowie dem Ausschuss Unternehmensverantwortung an.
Mund ist verheiratet und hat drei Kinder.