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»Fast 40 Prozent mehr«: Wie meistern Paketdienste das Weihnachtsgeschäft?

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Herausforderung – vor allem in der Vorweihnachtszeit wird das Paketaufkommen weiter steigen

Die Zahl der Paketlieferungen an Privathaushalte ist durch die Pandemie nach oben geschnellt. Logistik-Profis berichten vom Weihnachtsgeschäft 2020.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 12/20

Vier Logistik-Profis aus Oberbayern geben Einblicke in Herausforderungen und Innovationen der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP).

Sebastian Haßler (44), Geschäftsführer der InterKep Gruppe aus München:

»Alle KEP- und Logistiksysteme laufen seit Ausbruch der Coronapandemie im B2C-Bereich auf Anschlag. Unser Sendungsvolumen im B2B-Bereich ist zwar seither um mehr als die Hälfte geschrumpft. Dafür stieg die Zahl der Sendungen an Privatkunden aber deutlich, sodass wir derzeit bei etwa gleichem Umsatz ein höheres Paketaufkommen verzeichnen. Nach wie vor rennen uns E-Commerce-Provider sprichwörtlich die Bude ein. Zudem erreichen uns Anfragen des stationären Handels, wie kurzfristig eine Lieferstruktur im B2C-Bereich aufgebaut werden kann. Hier fehlt es aber gerade in München an Umschlags- und Lagerflächen in Zentrumsnähe, die für Last-Mile-Delivery-Lösungen erforderlich sind.

InterKep hat als regionaler Kurierdienst in München begonnen. Wir sind mit dem E-Commerce gewachsen und bieten auch Fulfillment-Dienstleistungen wie Lagerhaltung, Verpackung und Versand von Sendungen an. Längst sind wir bundesweit tätig und beschäftigen über 480 fest angestellte, sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter. Die je nach Bundesland unterschiedlichen Coronaregeln sind für uns eine gewisse Herausforderung. Wir rechnen damit, dass das Paketaufkommen im Privatkundenbereich in der Vorweihnachtszeit nochmals überproportional wachsen wird. Durch optimierte Mitarbeitergewinnung bereiten wir uns darauf vor.«

Barbara Strohmeier (59), Leiterin der Hauptzustellbasis der Hermes Germany GmbH in Garching-Hochbrück:

»Ende März, Anfang April dieses Jahres stieg das Sendungsvolumen auf Weihnachtsniveau an: In der Region waren es rund 30 Prozent, in München sogar fast 40 Prozent mehr Pakete als im gleichen Zeitraum 2019. Das war eine große Herausforderung, weil viele Mitarbeiter zu dieser Zeit im Urlaub waren und einige zunächst nicht mehr aus dem Ausland einreisen konnten. Mit viel Teamgeist und Zusammenhalt haben wir das aber geschafft. Dabei war natürlich hilfreich, dass während des Lockdowns viele Menschen zu Hause waren und ihre Päckchen und Pakete selbst in Empfang nehmen konnten – unter Berücksichtigung der entsprechenden Abstandsregeln, versteht sich. Die Sendungszahlen sind seither etwas zurückgegangen, aber dennoch höher als in den Vorjahren.

»Höchste Zeit für vernünftige, ökologische Lösung mit Mikrodepots«

Für die Vorweihnachtszeit sind wir gut gerüstet: Wir haben unsere Tourenplanung neu aufgestellt und sowohl eigenes Personal aufgestockt als auch weitere Auslieferungspartner an Bord geholt. Aktuell disponieren wir für den Großraum München 100 bis 120 Fahrzeuge, die bis Weihnachten auf 150 aufgestockt werden. Die extrem vielen Baustellen in München und der starke Berufsverkehr, der fast schon den ganzen Tag anhält, erschweren die Auslieferung erheblich. Es wird höchste Zeit, dass in München eine vernünftige und ökologische Lösung mit Mikrodepots für die gebündelte Zustellung gefunden wird.«

Peter Blösl (57), Projektleiter City Logistic München Stadt bei UPS Deutschland S.ar.l. & Co. OHG:

»Die größten Veränderungen in der urbanen Logistik finden derzeit auf der sogenannten letzten Meile – also der Schlussphase der Lieferkette zwischen Depot und Empfänger – statt. Nicht zuletzt, weil es in immer mehr Innenstädten Verkehrsbeschränkungen und Zero-Emission-Zonen gibt. In einigen Stadtvierteln innerhalb der Münchner Umweltzone führen wir seit 2017 ein Pilotprojekt durch, bei dem wir die Pakete von improvisierten Mikrodepots aus mit Lastenfahrrädern zustellen.

»Aus Mikrodepots mit Lastenfahrrädern zustellen«

Mittlerweile liefern wir auf rund 20 Quadratkilometern nahezu ausschließlich mit Fahrrädern aus. Im Projektgebiet ist der Anteil an Privatkunden sehr hoch. Während des Lockdowns stieg das Sendungsvolumen hier um über 20 Prozent. Dank der höheren Flexibilität bei der Fahrradbelieferung konnten wir das zusätzliche Paketaufkommen durch eine zeitliche Verlängerung der Ausliefertouren bewältigen. Dabei hatten wir großes Glück, dass unsere Mitarbeiter alle einsatzfähig waren. Weitere Zuwächse in der Vorweihnachtszeit 2020 können ebenso flexibel aufgefangen werden.

Der Prozess unseres Pilotprojekts mit Mikrodepots und Lastenfahrrädern passt allerdings nicht ganz so gut in das weltweit standardisierte Paketgeschäft. Daher gibt es nicht nur bei UPS Überlegungen, diesen Bereich an spezialisierte Dienstleister auszulagern.«

Martin Sträb (53), Geschäftsführer der tiramizoo GmbH, München:

»Tiramizoo startete als Kurierbuchungsplattform, heute sind wir ein reines Tech-Unternehmen: Wir bieten Software für effiziente Prozesse in der urbanen Logistik. Zu unseren Kunden zählen Kurier-, Express- und Paketdienste, aber auch Industrie- und Handelsunternehmen, die ihre Auslieferungen selbst steuern. Bereits in den letzten Jahren wuchs das Sendungsaufkommen der KEP-Branche kontinuierlich. Corona brachte einen weiteren starken Anstieg im B2C-Bereich, während B2B-Sendungen eingebrochen sind.

Optimales Verkehrsmittel kann E-Van oder Jogger mit Rucksack sein

Auf Zuruf oder per Excel-Tabelle lässt sich das Paketgeschäft kaum mehr wirtschaftlich stemmen. Moderne IT-Lösungen sorgen für optimierte Touren und Wege sowie die bestmögliche Auslastung der Ladekapazitäten. Darüber hinaus können sie je nach Sendung und Situation vor Ort das optimale Verkehrsmittel auswählen. Das kann auch ein Lastenfahrrad, ein E-Van oder ein Jogger mit Rucksack sein.

Logistiksoftware erleichtert jedoch nicht nur die Arbeit der Kuriere, sondern senkt zudem Kosten und Umweltbelastung. Durch Corona hat die kontaktlose Übergabe an Bedeutung gewonnen. So kann ein Paket minutengenau zu einem vorab bekannt gegebenen Zeitpunkt an einem beliebigen, vom Kunden definierten Ort hinterlegt werden. Als Nachweis schickt der Kurier ein Foto des Pakets mit GPS-Stempel am Ablageort an Empfänger und Versender.«

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