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Hilfe zahlt sich aus – sind pflegebedürftige Angehörige daheim gut versorgt, können sich Mitarbeiter besser auf ihren Job konzentrieren

Beruf und Pflege miteinander zu vereinbaren, ist für Mitarbeiter wie Unternehmen zusehends herausfordernd. Mit betrieblichen Pflegelotsen können Arbeitgeber ihre doppelt geforderten Beschäftigten unterstützen.

Eva Müller-Tauber, Ausgabe 02/21

Wenn ein Familienmitglied betreut werden muss, weil es nicht mehr allein zurechtkommt, ist dies für die Angehörigen in der Regel eine hohe seelische Belastung – auch, weil ein Pflegefall oft plötzlich eintritt. Zugleich sehen sie sich einem schier unüberwindlichen Berg von Fragen gegenüber. Was muss ich alles in welcher Reihenfolge organisieren? Wo bekomme ich Hilfe? Und vor allem: Wie kann ich Pflege und Job unter einen Hut bringen?

Ähnlich erging es Alexander Götz, als sein Vater pflegebedürftig wurde. Der IT-Entwickler kämpfte sich im Internet durch den Dschungel der zahlreichen Informationsangebote, um einen Überblick zu bekommen, ließ sich beraten, fand Lösungen. »Ich hätte mich wegen Informationen zum Thema Pflege auch an unser Personalmanagement wenden können, aber darauf bin ich gar nicht gekommen, es gab keinen definierten Ansprechpartner«, erinnert sich der 47-Jährige.

Zusätzliche Funktion im Betrieb

Heute ist Götz nicht nur umfassend informiert, was das Thema Pflege betrifft. Er kann sein Wissen und seine Erfahrungen auch an andere betroffene Kollegen weitergeben. Denn neben seinem Hauptjob und seiner Betriebsratstätigkeit hat er Anfang 2020 in Absprache mit dem Personalmanagement noch eine weitere, neue Funktion übernommen: die des betrieblichen Pflegelotsen. Als solcher ausgebildet, ist er innerhalb des Unternehmens nun offiziell der erste Ansprechpartner für Mitarbeiter seiner Firma, die einen Pflegefall in der Familie haben und schnelle Unterstützung suchen.

Den Kopf freibekommen

»Ich höre ihnen zu, gebe eine erste Orientierung, kläre grob auf, wo es welche Hilfs- sowie Beratungsangebote und Entlastungsmöglichkeiten in der Nähe gibt, und vernetze die Betroffenen miteinander, sofern gewünscht«, erläutert Götz. Das Gespräch bei ihm versteht er als Vorstufe zur professionellen Pflegeberatung und sieht in seinem Amt deutliche Vorteile für Mitarbeiter wie Unternehmen: »Sich bei Bedarf unkompliziert mit einer vertrauenswürdigen Person im Betrieb austauschen zu können, trägt dazu bei, den organisatorischen Part besser zu bewältigen. Und es hilft, den Kopf schneller wieder für den Beruf freizubekommen.«

Zu Buche schlagen betriebliche Folgekosten

Anders als oft vermutet, ist aus Arbeitgebersicht nämlich nicht die physische Abwesenheit der pflegenden Mitarbeiter das größte Problem, sondern Präsentismus: Viele der Mitarbeiter sind zwar trotz Doppelbelastung im Betrieb anwesend, aber eben nicht voll konzentriert bei der Arbeit. Insgesamt kann eine mangelnde Vereinbarkeit von Pflege und Beruf pro Jahr und pflegendem Angehörigen rund 14.000 Euro an betrieblichen Folgekosten nach sich ziehen.

Der demografische Wandel verschärft das Problem. Schon heute sind rund 3,41 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes. Viele davon sind Ältere, aber auch Kinder und Erwachsene, die durch Krankheit oder Unfall zum Pflegefall geworden sind. Gut drei Viertel davon werden zu Hause betreut. Meist sind es die Angehörigen, die sich kümmern. Fast die Hälfte der circa 4,5 Millionen Personen, die derzeit verwandte Hilfs- oder Pflegebedürftige umsorgen, ist berufstätig, muss also die Pflege mit dem Job vereinbaren.

Gegen negative Auswirkungen im Betrieb

Götz’ Arbeitgeber hat dies erkannt und wirkt mit seinem betrieblichen Pflegelotsen negativen Auswirkungen im Betrieb entgegen. Abgesehen davon punktet das Unternehmen bei Mitarbeitern und Bewerbern, weil es mit diesem und anderen Angeboten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zeigt, dass es seine Beschäftigten wertschätzt und ihnen ein möglichst gutes Arbeitsumfeld bieten möchte, damit sie ihr Potenzial voll entfalten können.

»Familienfreundlichkeit bedeutet neben der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung mehr und mehr, auch die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu ermöglichen«, sagt Gabriele Lüke, IHK-Referentin Familie und Beruf. »Dieses Thema wird die Unternehmen künftig noch mehr beschäftigen – allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung.«

Sofort greifbar, mit Prozessen vertraut, bekannt

Welche konkreten Vorteile bietet hier ein Pflegelotse im Betrieb? »Wenn plötzlich ein Pflegefall eintritt oder auch später, wenn sich Parameter verändern und neue Fragen auftauchen, kann er eine wichtige Hilfe sein«, sagt Julia Naetsch (40) von der Servicestelle des Familienpakts Bayern. »Er oder sie ist sofort greifbar, mit dem Thema und den Prozessen vertraut und kann sehr schnell Informationen liefern. Zudem kennen die Betroffenen den Pflegelotsen in den meisten Fällen persönlich aus dem Betrieb, was natürlich hilft.«

Pflegelotsen informieren zum Beispiel zu den rechtlichen Regelungen etwa des Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetzes oder auch zur Patientenverfügung sowie zur Finanzierung der Pflege oder vernetzen die Betroffenen mit externen Informationsstellen und Pflegeanbietern.

Stärkere Mitarbeiterbindung

Ebenso ist es über einen solchen innerbetrieblichen Lotsen möglich, das Thema Pflege aus der Tabuzone zu holen, meint Naetsch. Denn oft trauen sich die Betroffenen nicht, darüber zu sprechen. »Wenn die Beschäftigten aber sehen, mein Arbeitgeber geht auch schwierigen Themen nicht aus dem Weg, trägt das sehr zur Mitarbeiterbindung bei«, beobachtet die Expertin. Allerdings nur, wenn das Unternehmen auch bereit ist, den Betroffenen entgegenzukommen, damit sie den Spagat zwischen Pflege und Beruf besser bewältigen können, »etwa durch kurzfristige Freistellungen, die Möglichkeit, auf dem kleinen Dienstweg Schichten zu tauschen oder auch mal mit Ansage etwas später zur Arbeit kommen zu können, wenn es die Pflege erfordert«.

Geeignete Person bestimmen

Wer sollte die Rolle des betrieblichen Pflegelotsen übernehmen? »Das müssen Unternehmen individuell bestimmen«, so die Expertin. In kleinen Betrieben könne es beispielsweise jemand aus der Personalabteilung oder der Geschäftsführung sein. Bei größeren Unternehmen ein Ansprechpartner aus den Bereichen Corporate Social Responsibility (CSR) oder Gesundheitsmanagement – oder wie im Fall von Alexander Götz ein Betriebsrat, der Mitarbeitergespräche ohnehin vertraulich behandelt.

»Persönliche Affinität zum Thema ist hilfreich, aber nicht unbedingt erforderlich. Wichtiger ist, dass es sich um eine empathische Person handelt, um jemanden mit Sozialkompetenz, dem die Geschäftsleitung und die Mitarbeiter vertrauen, der versiert in Gesprächsführung ist und der auch den Dialog mit Vorgesetzten nicht scheut«, so Naetsch. Schließlich können betriebliche Pflegelotsen nicht nur informieren, sondern alle Beteiligten weiter für das Thema sensibilisieren und – da sie wissen, was die Betroffenen brauchen – zusätzliche Hilfen anstoßen. Sie können etwa anregen, in eine bestehende Betriebsvereinbarung einen Absatz mit verbindlichen Regelungen zum Thema Pflege zu integrieren.

Neue Anlaufstelle dankend angenommen

Weitere Impulse geben, das will auch Pflegelotse Götz in seiner neuen Funktion. Derzeit schränkt zwar die Coronapandemie sein Amt etwas ein, denn der Austausch mit Betroffenen kann nur telefonisch oder virtuell erfolgen. Und statt sich wie geplant auf einer Betriebsversammlung persönlich den Kollegen als betrieblicher Pflegelotse vorzustellen, ging diese Information nur über das Intranet und per Mail an alle Beschäftigten. Gleichwohl hat Götz schon positive Reaktionen erhalten: »Direkt nachdem das Personalmanagement über mein neues Amt informiert hatte, haben mich Kollegen kontaktiert und mir gesagt, wie gut sie es finden, dass es nun eine solche Anlaufstelle gibt.«

Rund zwei Wochen später kam der erste pflegende Mitarbeiter auf ihn zu und fragte um Rat: Wegen Corona durfte die 24-Stunden-Pflegekraft nicht wie geplant nach Deutschland einreisen. Bei anderen Betroffenen wiederum wollten die Angehörigen nicht von Fremden gepflegt werden. »Ich versuche dann, die Kollegen bei der Suche nach einer individuellen Lösung zu unterstützen. Denn wie ein Fluglotse kann ich einen Weg aufzeigen und Orientierung geben. Das Flugzeug landen muss der Betroffene allerdings selbst.«

IHK-Service: Tipps zur Einführung eines betrieblichen Pflegelotsen

Unternehmen, die einen betrieblichen Pflegelotsen einsetzen wollen, sollten unter anderem folgende Fragen für sich beantworten:

  • Wer ist für die Position geeignet und kann sie übernehmen?
  • Soll die Person für diese Aufgabe freigestellt werden?
  • In welchem Umfang kann eine Freistellung erfolgen?

Es empfiehlt sich, betriebliche Pflegelotsen schulen zu lassen, selbst wenn sie bereits Erfahrungen mit der Angehörigenpflege gemacht haben. Denn neben aktuellen fachlichen Inhalten vermittelt eine Schulung auch wichtige Techniken zur Gesprächsführung. Für die Weiterbildung zum betrieblichen Pflegelotsen gibt es mittlerweile zahlreiche Anbieter.

Informationen zu Beruf und Pflege sowie zum Handbuch »Betriebliche
Pflegelotsen« bietet der Familienpakt-Bayern.

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