Fachkräfte | Standortpolitik

PRO & CONTRA Bewerbung mit Anschreiben

oto: Daniel Berkmann/Adobe Stock ©

Ein Lebenslauf mit Foto, Zeugnissen, mitunter sogar Arbeitsproben – reicht das aus, um sich ein umfassendes Bild von einem Bewerber zu machen? Oder braucht es auch im Zeitalter von Digitalisierung und schnellen Prozessen ein separates Anschreiben? Zwei Meinungen.

Ausgabe 11/2021


Christoph Rupp (51), Leiter Recht, Steuern & Personal Tyczka GmbH in Geretsried
Christoph Rupp war zuvor Partner einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Geschäftsführer der angegliederten Rechtsanwaltsgesellschaft. Die Kerngeschäftsfelder der Tyczka Unternehmensgruppe sind die Energieversorgung mit Flüssiggas und die Vermarktung und Produktion von Industriegasen.

Auch wenn die Bedeutung des Bewerbungsanschreibens in Personalerkreisen tendenziell abzunehmen scheint – wir sind davon überzeugt, dass ihm nach wie vor eine wichtige Funktion zukommt. Und die meisten unserer Bewerber scheinen das ebenfalls so zu sehen. Unsere Personalabteilung ist zentral für die gesamte Firmengruppe und damit für rund 550 Beschäftigte zuständig. Aus Datenschutzgründen und auch weil sich so der gesamte Prozess besser abwickeln lässt, gehen alle Bewerbungen über ein Onlineportal bei uns ein. Bei den Unterlagen, die interessierte Kandidaten hier hochladen, ist fast in jedem Fall noch ein separates Anschreiben dabei.

Warum? Weil beide Seiten hiervon profitieren. Der Bewerber kann darin seine Stärken sowie besonderen Interessen herausstellen und wichtige Sachverhalte sowie Zusammenhänge erklären, etwa, warum er nach kurzer Zeit schon wieder bei einem neuen Arbeitgeber anheuern will.

Aus einem Anschreiben wichtige Informationen generieren

Wir wiederum generieren aus seinem Anschreiben wichtige Informationen. Was ist seine Motivation? Warum will er gerade zu unserem Unternehmen? Hat er sich mit uns beschäftigt, ein individuelles Anschreiben formuliert? Und unabhängig vom Inhalt: Wie sorgfältig ist er vorgegangen? Kann er sich gut ausdrücken, Dinge auf den Punkt bringen? Beherrscht er Orthografie und Zeichensetzung?

Natürlich können wir bei 200 Bewerbungen, die mitunter auf eine Stellenausschreibung mit Leitungsfunktion bei uns eingehen, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. In der Regel führen ein fehlendes Anschreiben oder ein Standardanschreiben auch nicht dazu, dass wir eine Bewerbung gleich aussortieren. Schließlich ist der CV, der die beruflichen Stationen und Fähigkeiten auflistet, mindestens genauso wichtig.

Umgekehrt jedoch kann ein interessantes, individuell formuliertes Bewerbungsanschreiben einen Lebenslauf aufwerten und dazu führen, dass meine Leiterin Recruiting und Ausbildung und ich entscheiden: Dieser Kandidat hat Potenzial, den laden wir zum Vorstellungsgespräch ein, auch wenn er noch nicht so viel berufliche Erfahrung vorweisen kann. Ein gutes Anschreiben öffnet also einem Bewerber mitunter eine Tür, die ihm sonst verschlossen geblieben wäre. Uns verhilft es möglicherweise zu einer qualifizierten Fachkraft mit Persönlichkeit, die wir sonst nie kennengelernt hätten.


Josef Willkommer (44), Mitgründer und Geschäftsführer TechDivision GmbH in Kolbermoor
Schon seit Ende der 1990er-Jahre beschäftigt sich Josef Willkommer intensiv mit Digitalisierungsthemen, seine Schwerpunkte liegen bei E-Commerce, Onlinemarketing und modernem Management. TechDivision ist ein Dienstleister für Digitalisierungslösungen mit Fokus auf mittelständische Kunden.

Als ich mich nach meinem Studium Anfang der 2000er-Jahre beworben habe, gehörte ein Anschreiben definitiv zum Pflichtprogramm jeder vernünftigen Bewerbung. Damals war sogar noch ein weiteres Schreiben mit dem Titel »Was Sie sonst noch über mich wissen sollten« enorm angesagt.

Fairerweise muss man sagen, dass ich mich damals bei diversen Vorlagen bedient und diese an meine Bedürfnisse angepasst habe – manchmal besser, manchmal schlechter. Im Laufe der Zeit und mit ersten Erfahrungen im Personal- beziehungsweise Bewerbungsumfeld habe ich dann recht schnell festgestellt, dass ich mit dieser Vorgehensweise bei Weitem nicht allein war. Ich habe schon einige Bewerbungen auf dem Schreibtisch gehabt, aber, ehrlich gesagt, nur ganz wenige, bei denen mir das Anschreiben wirklich im Kopf geblieben ist.

Die Recruiting-Plattform Taledo hat Stellenausschreibungen für IT-Positionen ausgewertet. Bei den allermeisten war das Anschreiben nur noch optional, ein Großunternehmen verzichtete sogar komplett drauf. Nur wenige Firmen bestanden explizit darauf. Selbst die Deutsche Bahn hat sich bereits 2018 dafür entschieden, die Sache mit dem Anschreiben nicht mehr ganz so eng zu sehen, als der Konzern bemerkte, dass immer weniger Auszubildende den Kontakt zum Unternehmen suchten. Mit dem Weglassen des Bewerbungsschreibens stieg die Zahl der Einsendungen plötzlich um satte zehn Prozent.

Aufwand für beide Seiten

Nachdem es für viele Bewerber, aber auch für die Arbeitgeberseite mit entsprechendem Aufwand verbunden ist, ein Anschreiben zu erstellen beziehungsweise zu prüfen – einem Aufwand, bei dem am Ende in den allermeisten Fällen kein wirklicher Mehrwert vorhanden ist –, sehe ich das klassische Bewerbungsanschreiben inzwischen eher als Auslaufmodell an. Ein klar gegliederter Lebenslauf enthält normalerweise alle wichtigen Informationen, die für eine erste Beurteilung notwendig sind. Zudem sind diese Infos dann meist auch noch übersichtlich und leicht verständlich aufbereitet und dadurch sehr effektiv prüfbar.

Insofern vertrete ich hier inzwischen den klaren Standpunkt »Weniger ist mehr« – dafür entsprechend fokussiert und faktenbasiert. Dies passt aus meiner Sicht auch besser in die heutige Zeit. Wenn jemand allerdings ein richtig gutes und individuelles Anschreiben erstellt hat, sollte das auch zukünftig kein Ausschlusskriterium sein.

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