Terra Quantum ©
„Es war der perfekte Zeitpunkt, um im Bereich des Quantencomputing ein Unternehmen zu gründen.“ Markus Pflitsch, CEO Terra Quantum

Die Terra Quantum AG entwickelt innovative Quantentechnologie für Hard- und Software. Markus Pflitsch hat das Unternehmen gegründet. Sein Weg dorthin war lang – buchstäblich.
 
Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 09/2024

Markus Pflitsch ist ein Denker. „Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin?“ Diese Fragen hätten ihn schon als Jugendlichen beschäftigt, sagt der 53-Jährige. Um Antworten darauf zu finden, seien tiefe Kenntnisse der Mathematik und Physik notwendig. Auch deshalb habe er diese beiden Fächer studiert, um als Unternehmer schließlich ebenfalls bei der Physik zu landen, genauer bei der Quantenphysik.

2019 gründete Pflitsch im Schweizer St. Gallen und in München Terra Quantum. Das Unternehmen mit mittlerweile 250 Mitarbeitern an weltweit 7 Standorten entwickelt und vertreibt hochinnovative Quantentechnologielösungen sowohl im Software- als auch im Hardwarebereich. Etliche große Firmen wie die Volkswagen AG, der Energiekonzern Uniper SE, der US-IT-Riese Nvidia, das Chemieunternehmen Evonik Industries AG oder die Schaeffler-Gruppe zählen zu seinen Kunden.

Von der Forschung in die Praxis

„Es war der perfekte Zeitpunkt, im Bereich des Quantencomputing ein Unternehmen zu gründen“, sagt CEO Pflitsch. Zum ersten Mal wurde damals die bislang fast ausschließlich in der Forschung genutzte Technologie in der Praxis eingesetzt. Ein Grund dafür lag im Aufstreben der künstlichen Intelligenz (KI). Mit herkömmlichen Supercomputern sind die benötigten Rechenleistungen dafür auf Dauer nicht zu bewerkstelligen.

Der Zeitpunkt war aber auch für Pflitsch persönlich passend. Nach seinem Studium an der RWTH Aachen und am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in der Nähe von Genf, war er zur Unternehmensberatung Boston Consulting Group gegangen. Es folgten Positionen bei Banken, diversen Tech-Unternehmen und Portfoliofirmen von Private-Equity-Fonds.

Raus aus dem beruflichen Korsett

Doch 2016 spürte Pflitsch, dass ihn seine Arbeit als Geschäftsführer oder Vorstand mit Verantwortung für mehr als 1.000 Mitarbeiter „nicht mehr glücklich machte“, wie er sagt. „In solchen Positionen ist es schwer, authentisch zu sein. Ich war in ein enges Korsett gepresst.“ Die Folge waren körperliche Beschwerden, zudem hatte er 20 Kilogramm Übergewicht. Also fasste Pflitsch den Entschluss: Ich steige aus. Und zwar ohne zu wissen, was danach kommt.

Pflitsch, der Denker, hätte es sich zu Hause bequem machen und über seine Zukunft nachsinnen können. Er aber entschied sich zu gehen – wortwörtlich. Ein halbes Jahr lang, zwischen Frühling und Herbst, an der Isar entlang. Anfangs wenige Kilometer, zum Schluss bis zu 50 Kilometer am Tag. 3 Liter Wasser und zwei Käsebrote reichten ihm, 25 Kilogramm nahm er ab.

Beim Meditieren zur Passion gefunden

Noch wichtiger aber waren die Erfahrungen, die er auf Wanderschaft machte: „Es war meditativ, ich war stets im Hier und Jetzt, ich hatte keine Ängste“, sagt Pflitsch. Er habe die Natur genossen, sich an die Kindheit im Bergischen Land auf dem großelterlichen Bauernhof erinnert. Zudem entdeckte er, „wofür ich wirklich eine Passion habe“ – das Quantencomputing.

Pflitsch gründete daraufhin das Deep-Tech-Unternehmen Terra Quantum. Eine der größten Herausforderungen war und ist es, Spezialisten zu gewinnen. 180 Quantenphysiker arbeiten aktuell für die Firma, Tendenz steigend. Der Ruf als eines der führenden Quantentechnologieunternehmen weltweit hilft, die besten Talente an die Firma zu binden.

Eine Sekunde statt 10.000 Jahre

Die enormen Möglichkeiten des Quantencomputing begeistern das Team. „Die Leistungskurve nimmt exponentiell zu“, erklärt Pflitsch. Noch sei die Hardware, die von Playern wie Google oder Amazon entwickelt wird, nicht so weit. Doch in naher Zukunft würden Quantencomputer innerhalb einer Sekunde verarbeiten, was derzeit 10.000 Jahre und länger dauern würde. Der Firmenchef rechnet mit dem universellen Quantencomputer in 10 bis 15 Jahren. „Das ist eine enorme Disruption mit einem Billionen-Dollar-Markt.“

Für Menschen, die keine Physik- und IT-Koryphäen sind, erklärt er die Leistungssteigerung anschaulich: Statt wie bisherige Supercomputer hintereinander löst der Quantencomputer alle Aufgaben gleichzeitig. Man stelle sich vor, man solle von München aus den höchsten Berg der Alpen bestimmen. Der klassische Algorithmus geht (sinnbildlich) von München aus in die Jachenau, zu Berg Nummer 1, kommt zurück, geht zur Zugspitze, Berg 2, kommt zurück, geht wieder los. Er misst so lange, bis er den höchsten Berg gefunden hat. Das dauert.

„Alles ist mit allem verbunden“

Die Quantum-Software aber breitet (wiederum sinnbildlich) vom Himmel aus ein großes Tuch über den Alpen aus und lässt es herunterfallen. Sobald das Tuch die erste Spitze berührt, die des höchsten Berges (des Montblanc), hat man die Antwort. „Das ist der holistische Ansatz der Quantentheorie“, sagt Pflitsch. „Alles ist mit allem verbunden.“

Das Anwendungspotenzial der Technologie ist gewaltig. Unternehmen weltweit wollen dabei sein, um zum Beispiel die personalisierte Medizin voranzutreiben, komplexe Datenanalysen im Rahmen der Portfoliooptimierung vorzunehmen oder das autonome Fahren zu ermöglichen.

Quantensicher verschlüsseln

Beim Quantencomputing geht es um Leistungssteigerung – und Sicherheit. Der Quantencomputer der Zukunft könne alle heutigen Codes im Nu entschlüsseln, sagt Pflitsch. Schon heute würden verschlüsselte Daten aufgekauft, „in den Keller gelegt“, um sie bei nächstbester Gelegenheit zu entschlüsseln. Das sei eine große Gefahr für die Wirtschaft. Der Terra-Quantum-Chef hat auch dafür eine Lösung: Sein Unternehmen könne quantensicher verschlüsseln.   

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