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Schadstoffe zu neuen Produkten

Thorsten Jochim ©
Setzt auf Nachhaltigkeit – Gerhard Godl, Verkaufsleiter von Rohrdorfer Zement

Von der Baustoffindustrie wünschen sich viele Unternehmen klimafreundlich produzierten Zement und Beton. Die Rohrdorfer Gruppe zeigt, dass dies nicht nur Kosten spart, sondern sogar Zusatzumsätze verspricht.

STEFAN BOTTLER, Ausgabe 05/2022

Die Fundamente aus Beton stehen bereits. Am Stammsitz im Landkreis Rosenheim zieht die Rohrdorfer Gruppe auf rund 30 Quadratmetern eine 25 Meter hohe Anlage für die Abscheidung von Kohlendioxid (CO2) hoch. Ab Herbst will der Baustoffhersteller jeden Werktag bis zu zwei Tonnen Kohlenstoffemissionen zu Ameisensäure verarbeiten und diese vielseitig nutzbare Flüssigkeit an die Chemieindustrie verkaufen.

Großer Schritt: neue Abscheideanlage

»Mit der Anlage kommen wir unserem Ziel, möglichst schnell klimaneutralen Zement zu produzieren, einen großen Schritt näher«, freut sich Gerhard Godl (60), Vertriebsleiter Zement bei Rohrdorfer und Geschäftsführer der Zementwerk Hatschek GmbH.

Das Unternehmen im österreichischen Gmunden ist Teil der Unternehmensgruppe, die rund 2.500 Mitarbeiter an 42 Standorten in Mitteleuropa beschäftigt und deren eigentlicher Name Südbayerisches Portland-Zementwerk Gebr. Wiesböck GmbH & Co. KG an den 1980 verstorbenen Firmengründer Georg Wiesböck erinnert. Die große Zahl der Standorte ist das Ergebnis einer druckvollen Expansionsstrategie seit den 1990er-Jahren. Vor allem während der Geschäftsführung von Mike Edelmann, einem früheren Manager des Marktführers und Minderheitsgesellschafters HeidelbergCement AG, stieg Rohrdorfer in zahlreiche regionale Baustoff- und Kiesbetriebe mit eigenen Steinbrüchen und sonstigen Abbaustätten ein.

Pionierprojekt für drei Millionen Euro

Mit der rund drei Millionen Euro teuren CO2-Abscheideanlage, der ersten in Deutschland, festigt Rohrdorfer seinen Ruf als Pionier in puncto Nachhaltigkeit. Der Baustoffhersteller will mit der Technologie seine CO2-Bilanz optimieren und einen neuen Benchmark für eine Branche setzen, die als notorischer Klimasünder gilt.

Acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen durch Zementindustrie 

Marktschätzungen zufolge verursacht die Zementindustrie bis zu acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Von jeher verschlingt die Produktion dieses Baustoffs außerordentlich viel Energie: Kalkstein, Ton und weitere Rohstoffe müssen nach ihrer Verarbeitung zu Rohmehl auf bis zu 1.450 Grad Celsius erhitzt werden, damit sie miteinander verschmelzen. Der so entstandene Zementklinker wird nach der Abkühlung zum Endprodukt weiterverarbeitet. Vor allem während des Verbrennungsprozesses wird jede Menge Kohlendioxid freigesetzt.

Klimaneutral produzieren

Der Verein Deutscher Zementwerke (VDZ), dem Rohrdorfer und 16 weitere Branchenunternehmen angehören, hat deshalb eine Roadmap für die Dekarbonisierung von Beton und Zement entworfen, die entsprechend den Green-Deal-Vorgaben der Europäischen Union (EU) eine klimaneutrale Produktion bis spätestens 2050 anstrebt. Möglich machen sollen dies klimaneutrale Wertschöpfungsketten mit neuen Technologien, alternativen Brennstoffen und optimierten Prozessen.

Der VDZ reagiert damit auch auf Forderungen der Wirtschaft. Für viele Makler und Mieter machen Nachhaltigkeitszertifikate für Immobilien nur Sinn, wenn deren Baustoffe und Bauprozesse mit Klimafreundlichkeit überzeugen.

Mitarbeit an VDZ-Roadmap

An der VDZ-Roadmap haben Rohrdorfer-Experten federführend mitgearbeitet. Für Vertriebsleiter Godl muss eine klimafreundliche Produktion jede mögliche Option nutzen und ganzheitlich handeln: »Im Grunde genommen, hat Rohrdorfer dieses Thema bereits in den 1970er-Jahren angepackt.« Als während der Ölkrise 1973 die Energiepreise erstmals in die Höhe schossen, investierte das Unternehmen in leistungsstarke und energiesparende Ofentechnologien und wechselte auf moderne Wärmetauscher.

Während der 1990er-Jahre fuhr Rohrdorfer seine Investitionen für Innovationen weiter hoch. Das Unternehmen gründete ein Labor für Entwicklungstechnik und wechselte auf Sekundärrohstoffe. Für Verbrennungsprozesse wurden anstelle von Kohle und Öl zunehmend thermoplastische Kunststoffe, Dachpappen, Papiere, Klärschlämme und andere biogene Alternativen eingesetzt. Heute verwendet Rohrdorfer fast ausschließlich solche Alternativen.

»Strom dort produziert, wo er genutzt wird«

Außerdem setzt das Unternehmen alternative Energieträger ein und deckt rund ein Drittel des Strombedarfs mit eigenen Abwärme- und Erdwärmekraftwerken. »Unser Strom wird dort produziert, wo er auch genutzt wird«, sagt Godl. Als Konsequenz entlastet der Baustoffhersteller das öffentliche Netz und spart Kosten, was gerade jetzt wichtig ist.

40.000 LKW-Anlieferungen im Jahr ersetzt

Ansonsten investiert Rohrdorfer in moderne Verfahrens-, Anlagen- und Fahrzeugtechnik. Bereits vor zehn Jahren rüstete das Unternehmen seine Produktion mit Katalysatoren aus, die heute gesetzlich vorgeschrieben sind. Die rund 50 Lkws im firmeneigenen Fuhrpark fahren alle mit umweltfreundlichem Euro-5- oder Euro-6-Antrieb. Für weitere Entlastungen sorgen Gleisanschlüsse in Rohrdorf und an weiteren Standorten, die für die Rohstoffbelieferung genutzt werden und laut Firmenangaben bis zu 40.000 Lkw-Anlieferungen im Jahr ersetzen.

Team »Zero Emission«

Die dezentrale Struktur des Unternehmens erleichtert arbeitsteilige Lösungen. So stellt das Zementwerk Hatschek seit 2021 mit einem neuen Rohstoffmix Transportbeton und Betonfertigteile her, die den örtlichen CO2-Ausstoß um bis zu 50.000 Tonnen jährlich verringern. Die hausinterne Forschungs- und Entwicklungsabteilung ermöglicht solche Innovationen. Im Team »Zero Emission« arbeitet über ein Dutzend Mitarbeiter an Lösungen für eine klimaneutrale Produktion. Sie haben in ihren Laboren auch die Gewinnung von Ameisensäure aus CO2 getestet.

65 Prozent Emissionseinsparung bis 2030

»Rund 65 Prozent der Emissionen können bis 2030 durch optimierte Zementsorten und Brennstoffeinsätze eingespart werden«, sagt Godl. »Für die verbleibenden 35 Prozent müssen andere Wege gefunden werden.« Hier soll die neue Abscheideanlage für den Durchbruch sorgen.

Zusätzliche Einnahmequelle

Wenn sich diese Technologie an allen Produktionsstandorten durchsetzen sollte, ist nicht nur eine klimaneutrale Herstellung zum Greifen nah. Dann hat Rohrdorfer mit dem neuen Endprodukt Ameisensäure auch eine zusätzliche Einnahmequelle erschlossen. Die farblose Flüssigkeit wird für die Herstellung von Reinigungs-, Desinfektions- und im Einzelfall sogar von Lebensmitteln verwendet. Erste Sondierungen in der Chemieindustrie gab es bereits.

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