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Frauenpower in MINT

Devanthro ©
Arbeitet an Robotern, die zum Beispiel in der Pflege eingesetzt werden können – Alona Kharchenko, Mitgründerin von Devanthro

Frauen gründen spannende Technologieunternehmen. In der Öffentlichkeit sind sie jedoch selten sichtbar. Das sollte sich ändern. Als Role Models können diese Unternehmerinnen junge Mädchen motivieren, sich für das attraktive Berufsfeld zu entscheiden.

MECHTHILDE GRUBER, Ausgabe 12/2022

Der dramatische Fachkräftemangel ist eines der größten Probleme und das am häufigsten genannte Innovationshemmnis für die bayerische Wirtschaft. Verschiedenste Branchen suchen dringend vor allem nach Fachkräften im Bereich künstliche Intelligenz (KI) und Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT). Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt, doch es gibt ungenutztes Potenzial, sagt Elfriede Kerschl, Referatsleiterin Fachkräfte, Weiterbildung und Frauen in der Wirtschaft bei der IHK für München und Oberbayern: »Wir müssen die Frauen, die wir haben, besser sichtbar machen und damit Mädchen motivieren, in diesem Bereich Ausbildungswege zu gehen. Wir müssen aber auch Unternehmen motivieren, Potenziale von Frauen in der eigenen Belegschaft zu stärken.«

Nur 16 Prozent Frauen in MINT-Berufen

Denn bisher sind Frauen in den MINT-Sparten noch immer unterdurchschnittlich vertreten. Zwar arbeiten nach einem Report des Instituts der Deutschen Wirtschaft heute mehr als eine Million Frauen in MINT-Berufen, das entspricht aber nur einem Anteil von knapp 16 Prozent in diesen Professionen.

Weibliche Rollenvorbilder fördern

Neben sich hartnäckig haltenden Geschlechterstereotypen gibt es einen oft genannten Grund für dieses Defizit: Es fehlen weibliche Vorbilder. Dabei engagieren sich viele Initiativen, um dies zu ändern und den weiblichen Nachwuchs zu fördern. Auch die IHK ist hier aktiv. Zum Beispiel beim alljährlichen Girl’s Day oder der Aktion »Unternehmerinnen machen Schule«, erklärt IHK-Expertin Kerschl: »Wir gehen gezielt mit Start-ups im MINT-Bereich in Schulen und sprechen dort vor allem Mädchen an, um sie für diese Berufe zu sensibilisieren.« Enger Kontakt besteht auch zur TUM Werkstatt Makerspace.

Programme der TUM Werkstatt Makerspace

»Wir haben mehrere Programme, um Frauen in MINT-Berufen zu fördern«, sagt Felipa Carrara (29), Account Managerin der TUM Werkstatt Makerspace. Um Studentinnen für KI zu sensibilisieren, gibt es beispielsweise Workshops und Kurse in der Prototypenwerkstatt. Makerspace unterstützt aber auch Frauen, die bereits gegründet haben, mit Workshops, die das notwendige Know-how für einen erfolgreichen Start vermitteln. »Bei uns haben Frauen ebenfalls die Chance, Gleichgesinnte zu finden, auch um sich gegenseitig zu stützen«, sagt Felipa Carrara.

Wie wichtig ein gutes und verlässliches Netzwerk ist, zeigen die Karrieren der drei jungen erfolgreichen Unternehmerinnen, die das IHK-Magazin hier vorstellt.

Auf Umwegen zum Ziel

»Künstliche Intelligenz braucht die weibliche Perspektive«, ist Rosmarie Steininger, Gründerin und Geschäftsführerin der Münchner Chemistree GmbH, überzeugt.

»Ich war schon immer an Technik interessiert, ich wollte Erfinderin werden, auch wegen der guten Erfolgsaussichten in diesem Beruf«, sagt Rosmarie Steininger. Die 48-Jährige, die aus einem Hallertauer Hopfenbaubetrieb stammt, musste einige Umwege gehen, bis sie 2017 ihre eigene Firma gründete.

Von der Fremdsprachenkorrespondentin zur KI-Pionierin

Als Fremdsprachenkorrespondentin finanzierte sie ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg selbst. Mit Stipendien studierte sie Wirtschaftsinformatik in Regensburg, ihren Master in European Studies machte sie in London. Ihren Bildungshunger konnte die Familie nicht immer nachvollziehen, sagt Steininger: »Auf keinen Fall wollte ich deshalb etwas ›Brotloses‹ studieren, sondern zeigen, dass ich damit wirtschaftlichen Erfolg haben kann. Wirtschaftsinformatik habe ich nicht nur aus Neigung, sondern auch wegen der Karrierechancen in diesem Beruf gewählt.«

Sie startete bei BMW und entwickelte dort Algorithmen für Logistiksysteme, bis sie in die BMW-eigene Eberhard von Kuenheim Stiftung wechselte. Schon beim ersten Projekt entstand die Idee für ihre spätere Gründung: Für ein Mentoringprojekt, bei dem Lehrkräfte und Studierende zusammengebracht werden sollten, entwickelte die KI-Expertin einen Algorithmus, der die passende Paarung erfolgreich ermittelt. Fünf Jahre später – mit zwei BMW-Großaufträgen für die obere Führungskräfteentwicklung im Rücken – wagte die damals 42-Jährige den Schritt in die Selbstständigkeit. »Seither läuft’s«, sagt Steininger.

Ihre Geschäftsidee: »Wir bringen mithilfe von Algorithmen – unter Einbeziehung einer Vielzahl von Kriterien – die richtigen Menschen im beruflichen Kontext zusammen, zum Beispiel Unternehmen und Bewerber.« Steiningers Talent, KI allgemein verständlich zu erklären, hat sie zu einer gefragten Rednerin gemacht. Auch die Bundesregierung greift bei der Fortschreibung der KI-Strategie auf ihre Expertise zurück.

»Zum Programmieren braucht es kein Zauberpulver«

Um als Frau in KI erfolgreich zu sein, brauche es vor allem Mut, etwas auszuprobieren, Fragen zu stellen und sich zu interessieren, betont die Software-Ingenieurin: »Zum Programmieren braucht es kein Zauberpulver.« Frauen sollten sich mehr trauen und das auch in anderer Hinsicht, meint die Mutter zweier Töchter. Oft werde die Frage, ob sich Familie und Beruf vereinbaren lassen, zu früh gestellt. KI-Berufe sind gut bezahlt, da sei Teilzeit kein Problem. »Künstliche Intelligenz braucht für eine ausgewogene Datenbasis Vielfalt, auch die weibliche Perspektive«, so Steininger. Deshalb sollten sich mehr Frauen für KI-Berufe entscheiden. Die Türen würden ihnen offenstehen: »Nirgendwo sonst müssen Frauen so wenig kämpfen, um einen guten Job zu bekommen

Von Vorbildern lernen

Kathrin Khadra, KI-Ingenieurin und Mitgründerin der Ryver AI GmbH i.G., hebt den Nutzen von Netzwerken für Unternehmerinnen hervor.

»Ich bin in meiner Familie mit dem Selbstverständnis aufgewachsen, dass es sehr normal ist, wenn Frauen MINT-Berufe ergreifen«, sagt Kathrin Khadra. Die 26-Jährige startete Anfang 2021 zusammen mit Simona Santamaria und Jonas Ils in die Selbstständigkeit. Ihr Unternehmen Ryver AI entwickelt für die Radiologie ein Produkt zur Erzeugung synthetischer Gesundheitsdaten, sodass Algorithmen zur Erkennung von Krankheiten erstellt werden können.

Schon während ihres Studiums beschäftigten sich sowohl Khadra als auch Santamaria mit Anwendungsfällen und Ethik der künstlichen Intelligenz. »Oft ist es ein Problem, gute Datensätze zu bekommen. Algorithmen können diskriminierend sein«, sagt Khadra. »Daran wollten wir gemeinsam arbeiten, auch weil wir uns gut verstehen.«

Erfolg durch Netzwerk für weibliche MINT-Talente

Kennengelernt haben sich die beiden Programmiererinnen bei Femtec, einem Netzwerk, das weibliche MINT-Talente mit Stipendien unterstützt und mit technischen Universitäten und Hochschulen in ganz Deutschland und in der Schweiz kooperiert. Ein erstes Erfolgserlebnis hatten die beiden Frauen, als sie zu Beginn der Pandemie eine Gutscheinplattform ins Leben riefen. Die Non-Profit-Initiative konnte innerhalb kürzester Zeit Gutscheine im Wert von 50.000 Euro zur Unterstützung von Einzelhandelsgeschäften und Gastronomiebetrieben in der Coronakrise vermitteln. Die Plattform wird auch heute noch weitergeführt.

Khadras Begeisterung für alles, was mit Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu tun hat, zeigte sich früh. Sie hatte schon als Kind Vergnügen daran, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen: »Ich war sehr gut in Mathe, habe mit Science-Baukästen experimentiert und Ferien in Science-Camps verbracht.«

Erst mit Beginn des Studiums merkte Khadra an der geringen Zahl von Studentinnen im Hörsaal, dass dies nicht die Regel ist. »Das Netzwerk von Femtec war da sehr wichtig für mich«, sagt die junge Unternehmerin. Dort konnte sie sich mit Studentinnen auch von anderen Hochschulen über ihre Erfahrungen beispielsweise als Werkstudentin austauschen, aber auch Managerinnen jede Art von Fragen stellen. »Bei Femtec fand ich Vorbilder, von denen ich unglaublich viel lernen konnte, für mich selbst und für meinen Lebensweg.«

Bestimmte Voraussetzungen, um als Frau im MINT-Bereich erfolgreich zu sein, gibt es ihrer Meinung nach nicht. Jeder und jede könne ihren Weg finden, ist die Unternehmerin überzeugt: »Man muss nur Lust dazu haben und sich ein Umfeld suchen, in dem man so sein kann, wie man ist.«

Vorbehalte abbauen

Alona Kharchenko, Mitgründerin der Devanthro GmbH in München, entwickelt Roboter, die so geschickt sein sollen wie Menschen.

»Wir bauen Robodies. Das sind Körper, die wie humanoide Roboter aussehen, sich aber nicht selbstständig bewegen können, sondern von Menschen ferngesteuert sind«, sagt Alona Kharchenko, CTO und Mitgründerin von Devanthro. Erstes mögliches Einsatzgebiet für einen Robody ist die Altenpflege. Ferngesteuert durch eine Pflegekraft, könnte er in Zukunft ältere Menschen zu Hause unterstützen. »So könnten Pflegekräfte mit den Senioren interagieren, ohne dass sie vor Ort sein müssen«, sagt Kharchenko.

Die 28-jährige gebürtige Ukrainerin interessierte sich schon als Schülerin für Physik und Chemie, besonders aber für Mathematik und Informatik. Sie war die Erste in ihrer Klasse, die einen Computer mit Internetzugang hatte. Das Umfeld habe für sie immer eine wichtige Rolle gespielt, betont die Roboteringenieurin. Durch die Förderung ihrer Lehrer hatte sie die Freiheit, zu forschen und Zusammenhänge zu verstehen. Die Teilnahme an landesweiten Schulwettbewerben brachte frühe Anerkennung, sagt Kharchenko: »Hier die Beste zu sein, war für mich sehr motivierend.«

Förderung durch Akademischen Austauschdienst

Nach ihrem Bachelor in Applied Mathematics an der Universität in Kiew entschloss sie sich 2014, für den Master nach Deutschland zu gehen. Mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdiensts konnte sich die von Zukunftstechnologien begeisterte Studentin das Masterstudium Robotics, Cognition, Intelligence an der Technischen Universität München (TUM) finanzieren. Sie war hier eine der ersten Studentinnen der Research-Community, einer Studenteninitiative, der die TUM einen eigenen Raum zur Verfügung stellte. »Wir konnten uns auch nachts zusammensetzen, diskutieren und probieren, uns gegenseitig motivieren. Praktische Erfahrungen zu sammeln, war mir immer wichtig«, so Kharchenko.

Seither ist es ihr Ziel, Roboter zu bauen, die so beweglich, geschickt und elegant sind wie ein Mensch. Um als Frau in diesem Bereich erfolgreich zu sein, gibt es ihrer Meinung nach keine besonderen Voraussetzungen. Wichtig sei Bestimmtheit: »Ich muss genau wissen, was ich will, und den Weg mit Entschlossenheit verfolgen.«

Praxistest mit Senioren bestätigt Akzeptanz

Ein erstes Etappenziel hat die Robotikexpertin jedenfalls schon erreicht: Die Akzeptanz, die Bewohner und Pfleger eines Seniorenheims Robody bei seinem ersten Testeinsatz entgegenbrachten, war für sie ein großes Erfolgserlebnis. »Eine 74-jährige Seniorin hat mit Robody sehr natürlich interagiert und alle Möglichkeiten ausprobiert«, sagt Kharchenko. Das widerspräche allen Skeptikern, die behaupteten, die Gesellschaft sei noch nicht bereit für diese Zukunftstechnologie. Sie ist entschlossen: »Wir wollen diese Vorbehalte abbauen und Robody immer weiter verbessern.«

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