Unternehmen | Unternehmen

Ein Wohnzimmer für 500 Stammgäste

Thorsten Jochim ©
»Spielen in gutbürgerlicher Atmosphäre« – Wirtin Evelin Mehr

Der Schelling-Salon hat sich in 150 Jahren zur gastronomischen Institution in der Münchner Maxvorstadt entwickelt. Wie das Traditionshaus durch die Pandemie gekommen ist.

EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 07-08/2022

Es ist schwer zu sagen, wer sich mehr freute, als der Schelling-Salon nach den diversen Lockdowns wieder aufmachen konnte: Die rund 500 Stammgäste, die hier regelmäßig essen, trinken und Billard, Kicker oder Tischtennis spielen? Die Wirtin Evelin Mehr, die vor allem das Hin und Her zwischen coronabedingten Schließungen und kurzfristig anberaumten Öffnungsmöglichkeiten schwer erträglich fand? Oder ihr Team, das ihr über die langen Pandemiemonate hinweg die Treue gehalten hat und nach wie vor komplett an Bord ist?

15 Mitarbeitende sind in der Münchner Traditionsgaststätte tätig, davon neun Vollzeit- und sechs Teilzeitkräfte. »Einige sind schon fast 25 Jahre im Schelling-Salon beschäftigt«, sagt Wirtin Mehr.

Aufstockung aus eigener Tasche

Während der Lockdowns hatte auch sie keine andere Wahl, als die Belegschaft in Kurzarbeit zu schicken. Allerdings stockte sie die Zahlungen auf. Die Coronahilfen deckten einen Teil ab, den Rest bezahlte sie aus eigener Tasche. »Denn in einer Stadt wie München kann man mit Kurzarbeitergeld schließlich nicht überleben.« Für ihr Unternehmen beantragte Mehr November- und Dezemberhilfe. »Das hat uns sehr geholfen und dafür bin ich auch dankbar – selbst wenn dadurch nur ein kleiner Teil der Umsatzverluste ausgeglichen wurde«, sagt die Wirtin.

Weitere Hilfsprogramme nahm sie nicht in Anspruch. »Es gibt andere Unternehmen, die das Geld nötiger haben«, findet sie. Als Eigentümerin des beeindruckenden Gebäudes, in dem sich der Schelling-Salon befindet, hatte sie es in den zurückliegenden Pandemiejahren schließlich deutlich leichter als andere Gastronomen.

Ihr Urgroßvater Silvester Mehr hatte das Gründerzeithaus an der Ecke Schelling-/ Barerstraße in der Maxvorstadt, dem Münchner Univiertel, errichten lassen. Zuvor hatte sich dort ein Wirtsgarten befunden, den Mehr 1872 erworben hatte.

Wirtin in vierter Generation

Anlässlich des 150-jährigen Firmenjubiläums ließ Evelin Mehr bereits im vergangenen Jahr die Fassade des denkmalgeschützten Gebäudes erneuern und neue Fenster einbauen. Nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters Silvester Mehr, der nach seinem Großvater benannt worden war, führt sie den Schelling-Salon seit 2002 in vierter Generation: »Seither habe ich das Gebäude peu à peu auf Vordermann gebracht.«

»Spiele in gutbürgerlicher Atmosphäre«

Der rund 300 Quadratmeter große Hauptgastraum mit seinen Stuckdecken und einigen Billardtischen erstrahlt nun in neuem Glanz. In den Nebenräumen befinden sich weitere Pool-Billard-Tische sowie Tischkicker. Und in der ehemaligen Kegelbahn stehen drei Tischtennisplatten. »Meine Eltern haben den Fokus des Schelling-Salons auf Spiele in gutbürgerlicher Atmosphäre gelegt«, sagt Mehr. »Das habe ich beibehalten.« Viele Gäste kommen auch zum Kartenspielen oder für einige Partien Schach oder Backgammon vorbei.

»Morgens die Erste und abends die Letzte«

Für Mehr ist der Schelling-Salon das Wohnzimmer. »Dass ich morgens die Erste und abends die Letzte bin, stört mich daher nicht«, sagt sie. Angesichts der regulären Öffnungszeiten von zehn Uhr morgens bis Mitternacht oder darüber hinaus ergeben sich beachtliche Arbeitszeiten.

Immerhin öffnet der Schelling-Salon nicht mehr wie einst schon um sechs Uhr morgens. »Da in den letzten 20 Jahren viele Bäckereien im Viertel Kaffee und belegte Brote to go anbieten, lief unser Frühstück nicht mehr so gut«, sagt die Wirtin, die ganz und gar nicht gestresst wirkt. Sie betont, dass der Schelling-Salon schließlich Dienstag und Mittwoch geschlossen sei. »Und im Sommer sperren wir während der Ferien sechs Wochen lang zu, in der Weihnachtszeit drei Wochen.«

»Quasi im Schelling-Salon aufgewachsen«

Dass sie den Familienbetrieb übernehmen würde, stand für Mehr, Jahrgang 1964, schon seit ihrer Kindheit fest: »Ich bin ja quasi im Schelling-Salon aufgewachsen.« Nach dem kaufmännischen Zweig der Realschule schloss sie eine Ausbildung zur Köchin ab. Als sehr sinnvolle betriebswirtschaftliche Fortbildung bezeichnet sie die Lehrgänge zur Erlangung des »Deutschen Wirtebriefs«, die sie danach absolvierte. Wer einst ihre Nachfolge antreten wird, steht noch nicht fest. »Aber ich bin sicher, dass wir eine sehr gute Lösung finden werden«, sagt die Wirtin. »Und schließlich bin ich ja auch noch putzmunter.«

500 Stammgäste querbeet

Von den rund 500 Stammgästen schauen manche täglich, andere alle ein bis zwei Wochen vorbei. Ein klares Gästeprofil gibt es nicht: »Zu uns kommen Uni-Professoren genauso wie Studenten, Arbeitslose, Handwerker, Büroangestellte – querbeet und in allen Altersstufen von 18 bis weit über 80«, sagt Mehr. Die Gäste schätzen nicht nur die Spielmöglichkeiten im Schelling-Salon, sondern auch die gutbürgerliche Küche mit einem eher klassischen Angebot von der Schweinshaxn über Wiener Schnitzel bis zum hausgemachten Apfelstrudel.

Tradition wird hochgehalten

Die Mehrs sind traditionsbewusst. Von Anfang an schenkte die Wirtsfamilie Weißbier-Spezialitäten von Schneider Weißbräu in Kehlheim aus, der wie der Schelling-Salon im Jahr 1872 gegründet wurde. Für die Brauerei, die seit 1884 die übrigen Biersorten geliefert hatte, suchte Evelin Mehr dagegen 2009 Ersatz. Der Grund: Der einstige Partner hatte das 125-jährige Bestehen der Geschäftsbeziehung ignoriert.

150-jähriges Firmenjubiläum – drei Feiern für alle

Zum 150-jährigen Firmenjubiläum plant Mehr nun gleich drei Veranstaltungen mit unterschiedlichem Programm. Damit auch wirklich alle Stammgäste mitfeiern können.

Zum Unternehmen
  • 1872 kaufte Silvester Mehr eine Gartenwirtschaft in der Münchner Schellingstraße und ließ dort das heutige Eckhaus mit Gaststätte errichten.
  • Der Schelling-Salon befindet sich seit vier Generationen im Besitz der Familie.
  • Er hat sich als »Wiener Café-Restaurant« mit durchgehend warmer Küche sowie Billard, Tischtennis und Tischkickern etabliert.

Verwandte Themen