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„Ich mache das aus Passion“

Thorsten Jochim ©
Investiert viel in ihren Betrieb – Apothekerin Helen Brugger

Helen Brugger, Chefin der preisgekrönten See Apotheke, über Onlinekonkurrenz, Kundenservice, Kostendruck und das IHK-Ehrenamt.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 03/2025

Frau Brugger, Sie haben für Ihre See Apotheke in Herrsching den Preis als beste Apotheke Deutschlands 2024 gewonnen. Wie hat man das hier in der Region wahrgenommen?
Die Resonanz war wirklich groß. Wir haben das am 13. Dezember mit unseren Kunden gefeiert. An dem Tag hatten wir 700 Gäste hier, der Bürgermeister war da – und was mich auch sehr gefreut hat: IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl ist vor Weihnachten eigens aus München zu uns gekommen, um zu gratulieren.

Was machen Sie besser als andere Apotheken?
Wir haben einen ausführlichen Fragenkatalog ausfüllen müssen, die Themen waren sehr weit gefasst: Mitarbeiterbindung, Kommunikation mit den Kunden, die Sicherung des fachlichen Know-hows, Außendarstellung, ehrenamtliches Engagement und so weiter. Wie die Jury was gewichtet hat, wissen wir nicht.

Sie führen einen Familienbetrieb. Wie hat sich Ihr Geschäft über 3 Generationen hinweg gewandelt?
Früher blieb viel mehr Zeit für die Kunden, was mir auch am meisten Freude an meinem Beruf bereitet. Heute müssen wir viel mehr administrative Tätigkeiten erledigen. Auch die Digitalisierung ist bei uns ein großes Thema.

„Wir sind für Digitalisierung – wenn sie uns Arbeit abnimmt“

Die Digitalisierung sollte Ihnen das Geschäft doch leichter machen.
Ja, wir sind auch absolut für Digitalisierung, wenn sie uns Arbeit abnimmt. In den Apotheken und Arztpraxen ist aber von diesem Effekt bislang nichts zu spüren. Auch bei der Einführung des E-Rezepts ist dies nicht der Fall. In den ersten Monaten hat uns dies sogar deutlich mehr Arbeit gemacht.

Was lief denn da schief?
Das Set-up der Telematikinfrastruktur ist anscheinend so komplex, dass es gerade am Anfang zu Dutzenden Fehlermeldungen bezüglich Ausstellung, Übertragung, Verarbeitung und Abrechnung kam. Da wäre es hilfreich gewesen, wenn sich zuvor jemand überlegt hätte, was alles zu technischen Problemen führen kann.

Haben Sie sich darüber beschwert?
Natürlich, leider war der Support total überlastet. Wir haben dann mit anderen Apotheken einen Chat gestartet, um uns darüber auszutauschen, was alles nicht funktioniert – in der Hoffnung, dass die Schwarmintelligenz das löst. Wir bleiben aber optimistisch, dass zukünftige IT-Einführungen besser klappen.

Alternde Gesellschaft flächendeckend versorgen

Pro Tag macht in Deutschland 1 Apotheke zu. Bundesweit gibt es derzeit rund 17.000 Apotheken. Das ist der niedrigste Stand seit 1978. Müssen wir uns Sorgen machen?
Natürlich ist der Trend bitter, weil wir in einer alternden Gesellschaft eigentlich das Gegenteil bräuchten: Wir müssten die Patienten weiterhin flächendeckend versorgen können. Letztendlich werden hier die politischen Rahmenbedingungen entscheiden.

Wie sehen die derzeit aus?
Für uns Apotheken nicht so gut, daran ändert auch das Schönreden in Berlin nichts. Wir haben weiterhin Lieferschwierigkeiten bei vielen Arzneimitteln und wir haben seit 10 Jahren keine Honorarerhöhung trotz steigender Kosten gehabt, die vergangenen 2 Jahre sogar eine Kürzung. Und wir kämpfen wie der ganze Einzelhandel mit Fachkräftemangel, Bürokratie, höheren Energiepreisen etc.

Wie hoch ist denn der Fixbetrag, den Sie pro Medikament bekommen?
Der beträgt bei der gesetzlichen Kasse derzeit pro Packung 8,35 Euro und 3 Prozent des Apothekeneinkaufspreises. Aber auch das bleibt nicht komplett in der Apotheke, denn die Krankenkassen ziehen uns bei der Vergütung der Medikamente einen Festbetrag ab, der in den letzten Jahren – zwar zeitlich befristet, aber trotzdem – angehoben wurde.

Weniger als 5 Cent pro Euro übrig

Stimmt die Faustregel, dass Ihnen von einem eingenommenen Euro nur etwa 5 Cent bleiben?
Es gibt ja die Klischees: Apothekenpreise, Kunden kommen von allein, dem Apotheker reicht ein paar Mal Schubladenziehen pro Tag zum Leben aus. Die Realität sieht völlig anders aus. Es sind im Schnitt sogar etwas weniger als 5 Cent, Tendenz fallend – auch wegen der steigenden Kosten nicht zuletzt für das Personal, das immer bürokratischere Auflagen zu erfüllen hat. Dazu kommen die tariflichen Gehaltserhöhungen. Die sind wohlverdient, aber die muss sich eine Apotheke auch leisten können.

Haben Sie Probleme, Azubis zu finden?
Natürlich ist das heute schwieriger als vor 10 oder 20 Jahren. Deshalb machen wir hier beispielsweise Kinderführungen und beim Girls’Day der IHK mit. Ich zeige gern meine Apotheke – und dass wir hier ein tolles Arbeitsumfeld haben.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Werbung von Fernsehmoderator Günther Jauch für einen großen Onlineanbieter sehen?
Aus Marketingsicht war das ein genialer Schachzug, Herrn Jauch dafür einzukaufen. Viele Leute werden sich sagen: Wenn sogar der Jauch das empfiehlt, muss der Arzneimittelversender wirklich toll sein.

„Millionenbeträge für Werbung – da können kleine Apotheken nicht mithalten“

Und? Ist er das?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Meines Erachtens betreibt der Versand Rosinenpickerei, die einfache, rein lukrative Versorgung. Die Apotheke vor Ort leistet das, was auch nötig ist: Notdienste und Laborherstellungen, die Versorgung mit Grippe- und zuletzt Covid-Impfstoffen. Wir beliefern die Heime und Hilfsdienste, was häufig einen intensiven Austausch nötig macht.

Aber schon knapp 40 Prozent der Bundesbürger kaufen Medikamente online ein.
Große Onlineanbieter pumpen 3-stellige Millionenbeträge allein in die Werbung. Da können kleine Apotheken vor Ort nicht mithalten. Das Sortiment der Versender scheint endlos zu sein und die Websites sind klug gestaltet. Zugegeben, das sind super Logistiker, aber eben keine Apotheker vor Ort.

Welche Kunden kommen in die beste Apotheke Deutschlands?

Natürlich kommen hier ins Fünfseenland viele Ausflügler und Urlauber. Aber zum Glück haben wir auch eine konstante Zahl von Stammkunden. Insgesamt kommen hier etwa 250 bis 300 Kunden pro Tag in die Apotheke, aber dafür müssen wir auch viel tun.

Wir haben beispielsweise einen kostenlosen Lieferservice. Am Tag fährt 2-mal unser 5-köpfiges Ausfahrerteam kostenlos Medikamente aus, 4-mal am Tag bekommen wir Arzneien geliefert. Wir haben für Kunden, die eine Abholung während der Öffnungszeiten nicht schaffen, einen 24-Stunden-Abholautomaten.

Außerdem haben wir vor 4 Jahren unser Warenlager mit einem Kommissionierautomaten komplett automatisiert. Unser Warenlager fasst bis zu 15.000 Packungen, damit wir unsere Kunden optimal versorgen können.

IHK-Info: „Beste Apotheke Deutschlands“

Der Deutsche Apotheker Verlag hat die See Apotheke Herrsching als „Beste Apotheke 2024“ ausgezeichnet. Die Jury begründete dies neben fachlicher Exzellenz mit außergewöhnlichem Engagement für die Mitarbeitenden sowie Innovationsfreude und modernen Technologien, etwa einem 24-Stunden-Abholautomaten. „Die Apotheke glänzt zudem durch Sponsoring und Online-Präsenz“ würdigten die Juroren das Unternehmen als „große kleine Apotheke mit Herz“. Für Brugger ist der Award bereits die zweite bundesweite Auszeichnung, nach 2022 als „beste Ausbildungsapotheke“.

In wie vielen Fällen müssen Sie helfen, weil Kunden mit ihrem Rezept Probleme haben?
Das erleben wir oft. Gerade hatten wir zum Beispiel eine ältere Dame hier, die wusste zunächst überhaupt nicht, worum es bei ihrem Antibiotikarezept geht. Weil sie Schluckbeschwerden hatte, wurde ihr ein Kindersaft verschrieben. Der musste eigens hergestellt werden. Das habe ich dann für die Kundin gemacht.

Mehraufwand durch Lieferengpässe

Tagtäglich gibt es momentan Lieferengpässe, sodass man mit dem Arzt eine Alternative finden muss. Dies führt zu etlichen Stunden Mehrarbeit pro Woche, aber im Endeffekt zu einer adäquaten Versorgung des Patienten. Auch Lieferungen nach Geschäftsschluss, wenn Ärzte im Hausbesuch anrufen, dass Patienten noch dringend etwas benötigen, kommen regelmäßig vor.

Lässt die Politik Sie im Stich?
Das kann man so nicht sagen, es wird immerhin viel diskutiert. Aber man will oft an der falschen Stelle sparen. Als Beispiel: Die Verwaltung der gesetzlichen Krankenkassen schlägt mit 4 Prozent der Gesamtausgaben der Krankenkassen zu Buche. Arzneimittelkosten machen etwa 14 Prozent der Gesamtausgaben aus. Die reinen Apothekenkosten betrugen im Jahr 2023 nur 2 Prozent der Gesamtausgaben. Für das, was wir tagtäglich leisten, finde ich diese Zahl nicht sehr hoch.

Aufhören scheint für Sie keine Option zu sein – im Gegenteil. Was motiviert Sie, mit Ihrer Apotheke weiterzumachen?
Ich mache meinen Beruf aus Passion. Hier in der See Apotheke hatten wir 3 große Umbauten in den vergangenen Jahren, und ich habe sehr viel in die Zukunft investiert. Unsere Teams haben zusammen überlegt, wie wir uns für die nächsten Jahre optimal aufstellen. Das alles war herausfordernd, aber es hat sich in unseren Augen gelohnt. Wir blicken optimistisch in die Zukunft.

Sie sind auch in der IHK sehr aktiv. Ebenso wie früher Ihre Mutter sitzen Sie in der Vollversammlung.
Ich gebe zu, dass es manchmal nicht einfach ist, mir die Zeit für die vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten zu nehmen. Das Ehrenamt ist jedoch sehr bereichernd und ich mache es gern. Ich schätze vor allem den Austausch mit Unternehmen aus anderen Branchen, bei dem ich viele Eindrücke gewinne, die ich ohne das Ehrenamt nicht hätte.

Sie sind auch im neuen Gesundheitsausschuss der IHK. Arbeiten Sie dort an Reformansätzen für unser Gesundheitssystem?
Ich hoffe zumindest, dass wir durch unser Mitwirken die Politik unterstützen können. Die Aufwertung vom Arbeitskreis zum Fachausschuss war ein wichtiger Schritt. Zudem hat die IHK für den Ausschuss eine Reihe neuer Mitglieder gewonnen.

„Einfache Lösungen gibt es nicht“

Wir haben eine gute Mischung aus Vertretern der Krankenkassen, Kliniken, Heime, Verbände und der Pharmaindustrie – auch große Namen wie BrainLab und Roche sind dabei. Einfache Lösungen gibt es nicht, aber ich denke, wir können aus der Praxis wertvolle Impulse geben. Die Bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach war auf der November-Sitzung mit dabei. Das macht Hoffnung: Die Politik hört uns zu.

Zur Person: Helen Brugger

Helen Brugger ist seit 2001 Apothekerin in der St. Nikolaus Apotheke in Herrsching. Dort hat sie 2007 auch die See Apotheke übernommen. Brugger ist Pressesprecherin der Apotheken im Landkreis Starnberg. In der IHK für München und Oberbayern gehört sie der Vollversammlung, dem Regionalausschuss Starnberg sowie der Ausschüsse Unternehmerinnen und Gesundheit an. Brugger wirkt zudem als stellvertretende Vorsitzende im Handelsausschuss.

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