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Anspruch und Wirklichkeit

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Bayerischer Landtag in München – am 8. Oktober 2023 wird gewählt

Bayern gilt als Musterland – und schiebt doch einen Berg von Problemen vor sich her. Die neue Staatsregierung muss sie lösen, damit der Freistaat erfolgreich bleibt.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 07-08/2023

Bürokratie? Peter Adrian hat damit in Bayern kein Problem. Adrian, gebürtiger Kölner, DIHK-Präsident und Besitzer des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen, hält die Regierung von Oberbayern auf Trab. Genehmigungen bekommt er binnen 24 Stunden per E-Mail schriftlich. Wenn es um neue Gebäude geht, ruft Adrian beim Landrat an. „Wenn der sagt: Ich kümmere mich, funktioniert das dann auch”, stellt er fest.

Der Flughafen Oberpfaffenhofen ist ein besonderer Airport. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war schon mehrmals dort, er spricht vom „Cape Canavaral Bayerns”. Im Februar 2023 bekannte er sich vor Vertretern der bayerischen Industrie zur „Mission Zukunft”. In Oberpfaffenhofen entsteht, was es dafür braucht: Flugtaxis, E-Flugzeuge, E-Fuels für die Luftfahrt, auch Münchens Elite-Universität TUM forscht dort.

Deutliche strukturelle Mängel  

Vor der Landtagswahl ist Söders Botschaft für die Wirtschaft klar: Bayern, das „Kalifornien Deutschlands”, macht es besser als der Rest der Republik. Bei allem, was Erfolg verspricht (Raumfahrt, künstliche Intelligenz, Robotik, Quantencomputer), ist Bayern bereit abzuheben. Wenn nur die Probleme am Boden nicht wären. Als das Hamburger Magazin „Der Spiegel” von Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, wissen wollte, was hinter Bayerns Premiumanspruch steckt, sagte sie: „Wenn wirklich alles so toll wäre in Bayern, müsste man es ja nicht ständig betonen.”

Sie traf damit einen wunden Punkt. Das, was ihrer Ansicht nach die Leute von der neuen Staatsregierung wollen, ist: eine bessere Migrationspolitik und Infrastruktur, eine schnellere, digitalisierte Verwaltung.

Da geht es nicht um technologische Höhenflüge, sondern um die Basis eines funktionierenden Landes. Offenbar tun sich da neben Bayerns Glanz bedenkliche Lücken auf. Zwar hat Bayern die größte Fakultät für Luft- und Raumfahrt Europas (25 Professoren, 1.500 Studierende), die Staatskanzlei lässt sich von Ex-Astronaut Ulrich Walter beraten und in Garching erforscht Nobelpreisträger Reinhard Genzel schwarze Löcher. Aber bei manch bodenständigem Thema läuft es gar nicht rund.

Schienenverkehr: schon lange auf der Strecke geblieben

Ein Beispiel dafür ist der Bahnhof Weidenbach: Das Wirken von drei bayerischen Bundesverkehrsministern in Folge ist dort komplett verpufft. Der Bahnhof ist für E-Loks unerreichbar. An schlechten Tagen entscheidet sich hier an der hundert Jahre alten Weichenanlage, ob und wann die Regionalzüge aus Mühldorf und Simbach die Landeshauptstadt München erreichen – und ob Güterzüge ins bayerische Chemiedreieck nach Burghausen rollen.

Seit 30 Jahren fordern Chemieunternehmen und IHK-Regionalausschuss den Ausbau und die Elektrifizierung der eingleisigen Schienenstrecke (ABS 38). Schließlich sind dort schon Güterzüge aus dem Gleis gefallen. 2022 hat ein Beschleunigungsgesetz (!) der alten Bundesregierung das Projekt um weitere Jahre verzögert.

Nicht nur Verladeterminals fehlen

Das ist kein Einzelfall. Die Elektrifizierung der Bahnstrecke München–Lindau war nach 40 Jahren Planungszeit nur möglich, weil die Schweiz 50 Millionen Euro vorfinanziert hat.

Seit es Lkws gibt, will Bayerns Politik Güter auf die Schiene verlagern. Über den Stand im Wahljahr 2023 sagt Spediteur und IHK-Vizepräsident Georg Dettendorfer: „Wir wollen, aber es funktioniert nicht.” Es funktioniert nicht, weil schon die Basis fehlt – Terminals, mit denen man Container vom Lkw auf den Zug verladen kann.

Dauerärgernis: der bürokratische Aufwand

Die Bayernhafen GmbH in Regensburg plant genau das: ein trimodales Terminal, mit dem sich Lkws, Schiffe und Züge mit Containern bestücken lassen. Dennoch hat Klaus Hohberger, Mitglied der Geschäftsleitung, an dem Projekt wenig Freude. Es habe 2 Jahre gedauert, nur um zu klären, welche Behörden überhaupt zuständig sind.

Auch in anderen Bereichen hakt es. So soll Bayern Wasserstoffland Nummer eins werden. Josef Ettenhuber, Busunternehmer und Mitglied des IHK-Verkehrsausschusses, arbeitet seit zwei Jahren daran. Er will in Feldkirchen eine Wasserstofftankstelle in Betrieb nehmen – und klagt über „irrsinnigen Aufwand” und einen „Genehmigungsmarathon”.

Landes- gleich Stauhauptstadt

Geduld braucht es auch beim Thema Mobilität. Das gilt vor allem für Bayerns Landeshauptstadt, die 542.000 Pendler hat. Das ist der deutsche Spitzenwert. Folglich stehen in keiner anderen deutschen Stadt die Autofahrer so lange im Stau wie in München: Im Schnitt sind es 74 Stunden pro Jahr. Gleichzeitig lag die Pünktlichkeit der Münchner S-Bahn 2022 auf dem schlechtesten Wert, der je gemessen wurde.

Man hat sich erstaunlich gut an das gewöhnt, was nicht funktioniert. In der Fläche gibt es nur Spurenelemente von öffentlichem Personennahverkehr. Unternehmen wie Wacker Chemie und BMW bieten daher ihren Azubis und Mitarbeitern eigene Werksbusse an.

Viele Dinge funktionieren nur, weil Firmen und Bürger es selbst in die Hand nehmen. So wie etwa die Unternehmer Dettendorfer und Ettenhuber, die für ihre Fahrer preisgünstige Unterkünfte in Eigenregie errichten. Auch der rasante Zubau an Photovoltaik ist nur möglich, weil Unternehmen und Bürger handeln.

E-Government weit hinter Zielen zurück

Dagegen ist Claire (31) ein Lichtblick. Claire ist das Model einer neuen PR-Kampagne, mit der die Staatsregierung mehr Tempo verspricht. Sie soll Bayerns Verwaltung digitalisieren und auf Touren bringen. Nur kommt Claire etwas spät. Eigentlich wollte Bayern laut den Worten des damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) schon bis 2018 beim E-Government Weltklasse sein.

Ein Selbsttest zum Stand im Juni 2023: Gebraucht wird ein Internationaler Führerschein. Immerhin muss man nicht mehr selbst zum Landratsamt. Nutzer haben die Wahl: Formular ausdrucken oder auf dem BayernPortal online ausfüllen. Das Dokument kommt nur per Post. Die Gebühr laut BayernPortal: „16,00 Euro (inkl. Versand per Einschreiben)”. Dafür muss man Zeit einplanen: „Die Bearbeitung des Antrags kann ungefähr 4 Wochen in Anspruch nehmen.”

Bayern-Turbo für den Klimaschutz?

Angesichts der Größe der Herausforderungen muss der Freistaat das Tempo erhöhen – zum Beispiel beim Klimaschutz. Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (VBEW), fragt sich, wie Bayern das schaffen möchte: Klimaneutralität bis 2040. „Wer damit fünf Jahre schneller sein will als der Bund, muss dafür auch mehr tun”, sagt Fischer. Söder will das mit dem „Bayern-Turbo” erledigen. Der Zeitdruck ist enorm.

Magere Bilanz: nur 14 statt 1.000 neue Windräder

Meinte es Bayern ernst mit seinem Klimaziel, müssten schon jetzt im Freistaat mindestens 5.100 Autofahrer pro Woche auf klimaneutrale Pkws umsteigen. Mehr als 1.000 Windräder sollen bis 2030 in Bayern in den Himmel ragen. 2022 sind aber nur 14 in Betrieb gegangen, im ersten Quartal 2023 waren es 0. Und die ganze schöne Fülle an bayerischem Sonnenstrom nutzt nichts, solange die Netze nicht stehen und es keine Speicher gibt. Bayern braucht Konzepte für den Klimawandel. Was wird aus Bayerns Wintertourismus ohne Schnee? In Oberfranken bricht wegen der Sommerdürre der Tourismus ein. Wassermangel wird das große Thema für Bürger und Wirtschaft. Bayerns Städte sind auf den Klimawandel nicht vorbereitet. Bis Juni spielte all das im Wahlkampf ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass Bayern allein nicht weiterkommt. Transitverkehr, Wohnungsbau, die Großprojekte Brenner-Nordzulauf und Zweite Stammstrecke in München, die Energieversorgung, Steuerreform und flexibles Arbeitsrecht – nur mit dem Bund ist das zu lösen.

Die bayerische Landtagswahl ist folglich viel spannender, als es nach dem flüchtigen Blick auf die Wahlprognosen scheint. Schon das ist ein triftiger Grund, am 8. Oktober 2023 zur Wahl zu gehen.      


IHK-Forderungen zur Landtagswahl 2023: Was die Wirtschaft braucht

Arbeitskräfte, Energieversorgung und Verwaltung – das sind nach Ansicht der bayerischen Unternehmen die größten Wachstumshemmnisse. Um die Hürden zu beseitigen, muss die Politik entschieden handeln. Die Forderungen der Wirtschaft:

  • Arbeitskräftemangel: Potenziale heben
    Für Frauen und ältere Menschen muss es attraktiver werden, mehr beziehungsweise länger zu arbeiten. Die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Drittstaaten muss erhöht werden.
  • Energiepolitik: Angebot vergrößern
    Statt das Energieangebot durch Ausstiege und gesetzliche Zielvorgaben perspektivisch zu verknappen, müssen verfügbare Kapazitäten genutzt und neue Kapazitäten geschaffen werden.
  • Bürokratie: Beim Abbau ins Handeln kommen
    442 Bürokratieabbauvorschläge wurden jüngst vom Statistischen Bundesamt in einer Verbändeabfrage gesammelt. Diese müssen nun konsequent umgesetzt werden.

Mehr Informationen zu den Top-Themen der Unternehmen, ihren Forderungen an die Politik sowie die Positionen und Ziele der Spitzenkandidaten gibt es auf der IHK-Website zur Landtagswahl 2023.

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