Mit Turbo zum Erfolg

Orbem industrialisiert die Bildverarbeitung von MRT-Geräten mithilfe von KI. Das Start-up entwickelt sich schnell – wie managt es das Wachstum?
Von Monique Opetz, IHK-Magazin 03/2025
Im Universum der Orbem GmbH heißen die Büro- und Meetingräume „Holodeck“, „Voyager“ oder „The Bridge“. Buchen die Mitarbeitenden eine der Telefonkabinen im Großraumbüro, können sie sich für „Venus“ oder „Mars“ entscheiden. Ein Faible für das Weltall und Science-Fiction ist in der Münchner Arbeits- und Forschungsstätte unverkennbar. Ebenfalls auffällig: die bunt gemischte Crew. Im Team arbeiten Menschen aus 40 Nationen. In der Küche – „The Milky Way“ – hängen Flaggen aller Nationen als Wimpelkette quer im Raum.
Die Gründer Maria Laparidou, Miguel Molina und Pedro Gómez kommen ursprünglich aus Griechenland, Spanien und Mexiko. Sie starteten das Deep Tech 2019 als Spin-off der Technischen Universität München (TUM). Gemeinsam haben sie eine Technologie entwickelt, die Magnetresonanztomografie (MRT) mit Deep-Learning-Algorithmen verbindet und das MRT-Verfahren industrialisiert. Statt 15 bis 20 Minuten braucht ihr System 1 Sekunde pro Scan. „Das gelingt, indem wir nur die Informationen aufnehmen, die wir brauchen“, erklärt Laparidou, die für Forschung und Innovation zuständig ist.
Hühnerzucht: Geschlechterbestimmung per Scan
Die Entwicklung verhindert das Töten männlicher Küken in der Legehennenzucht. 40 Millionen männliche Küken wurden in Deutschland bis 2021 direkt nach der Geburt getötet. Mittlerweile ist das Kükentöten per Gesetz verboten und die Geschlechtsbestimmung bis zum 13. Tag im Brutei erlaubt.
Weitere europäische Länder ziehen nach – und eröffnen Orbem neue Vermarktungsmöglichkeiten. Damit die männlich befruchteten Eier gar nicht erst in den Inkubatoren landen und ausgebrütet werden, scannt das Orbem-System die Hühnereier und bestimmt per Deep-Learning-Algorithmus das Geschlecht. Außer dem Befruchtungsstatus liefert das Verfahren zahlreiche weitere Informationen, etwa um die Hühnerzucht zu optimieren.
Für die Entwicklung erhielt Orbem kürzlich den Innovationspreis Bayern 2024 (das IHK-Magazin berichtete, 11–12/2024). Der steht nun ganz in der Nähe der „Milchstraße“ und der vielen unterschiedlichen Länderflaggen in den Firmenräumen.
Mitarbeiterzahl in 1,5 Jahren mehr als verdreifacht
„Unsere Unternehmenskultur ist geprägt von Diversität“, sagt die Co-Gründerin. Sie sieht darin sehr viele Vorteile, etwa einen größeren Pool an Bewerbern. Dabei sind nicht nur die unterschiedlichen Nationalitäten gemeint. 41 Prozent der Beschäftigten sind zum Beispiel Frauen. „Denn egal wie unterschiedlich wir sind, wir verharren nicht im Hier und Jetzt, sondern wir blicken in die Zukunft und beschäftigen uns damit, wie wir sie gemeinsam nachhaltiger und besser machen können“, beschreibt Laparidou den Teamspirit.
2023 startete Orbem mit 2 Kunden in den französischen Markt. Es folgten Kunden in Deutschland und weiteren europäischen Ländern. Das Team wuchs in anderthalb Jahren von 35 auf über 120 Mitarbeitende. „Um liefern zu können, mussten wir das Unternehmen sehr schnell hochskalieren“, erinnert sich die Co-Gründerin. Dabei ging es nicht nur um die Größe des Teams, sondern auch um Prozesse, IT-Infrastruktur, cloudbasierte Lösungen und Automatisierung. „Wir mussten uns regelmäßig anpassen“, sagt Laparidou.
Agiles Zielmanagement
Das Wichtigste sei gewesen, dabei die Standardisierung des Produkts nicht aus den Augen zu verlieren. Denn was für 35 Leute funktioniere, funktioniere nicht unbedingt für 100.
Das schnelle Unternehmenswachstum fordert die Gründer weiter heraus: Sie passen die Kommunikationskanäle an und bringen die richtigen Teams zusammen. Außerdem arbeiten sie aktiv an der Unternehmenskultur. „Denn das ist es, was uns ausmacht – und uns von anderen unterscheidet“, sagt Laparidou.
Das Gründertrio nutzt die sogenannte Objectives-and-Key-Results Planung. Dabei werden aus der Unternehmensstrategie Teilziele von Teams und Mitarbeitern abgeleitet und in kurzen Zeiträumen umgesetzt. Die Unternehmer begannen sehr früh, diese agile Zielmanagement-Methode zu verwenden, um sich und das wachsende Team zu strukturieren. „Denn ohne konkrete Pläne ist es schwer, erfolgreich zu sein“, sagt Laparidou. Die Mannschaft trifft sich 1-mal pro Quartal, um gemeinsam zu planen und zu besprechen, was gut läuft und was noch besser laufen könnte. Am Ende profitieren alle von Verbesserungen: Die Mitarbeitenden werden am Erfolg des Unternehmens beteiligt.
Pay-per-Use-System erobert Europa
Das Start-up beliefert mittlerweile Kunden in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Norwegen. 2025 sollen 25 Systeme installiert sein, die nach dem Pay-per-Use-Prinzip vertrieben werden, die Kunden bezahlen dabei für die Nutzung des Systems: Das Unternehmen bietet seine Lösung als Software an, die Scanner werden von den Kunden gemietet. Für das voll automatisierte System in der Geflügelindustrie arbeitet Orbem mit dem niederländischen Maschinenbauer Vencomatic Group zusammen. Er liefert die Hardware für die Automatisierung. Orbem will seine Technologie bald auch außerhalb der EU vertreiben.
„Außerdem sehen wir zahlreiche weitere Anwendungsmöglichkeiten“, sagt Laparidou. Das Team entwickelt die KI-gesteuerte MRT-Technologie stetig weiter. Das Verfahren soll noch schneller und für weitere Lösungen in anderen Branchen eingesetzt werden. Es kann die unterschiedlichsten biologischen Proben scannen: Lebensmittel, verschiedene Pflanzenarten, aber auch Holz oder den menschlichen Körper.
Klimaresistente Pflanzen dank KI-MRT?
An Anfragen aus anderen Branchen mangle es nicht, berichtet die Co-Gründerin. Potenzial sieht sie etwa in der Lebensmittelindustrie, „denn es gibt ein großes Problem mit Lebensmittelverlust und -verschwendung“. Hier spiele die Krankheitsfrüherkennung eine wichtige Rolle. In Zukunft könnte das kombinierte KI-MRT-Verfahren Landwirten helfen, klimaresistente und ressourceneffiziente Pflanzen zu züchten. Infektionen oder Parasitenbefall könnten per Scan rechtzeitig erkannt werden.
Ein Prinzip – viele Einsatzmöglichkeiten
In der Baubranche könnte das Verfahren überprüfen, wie belastbar abbaubare Materialien sind, und so ein nachhaltigeres Bauen ermöglichen. Im medizinischen Bereich würde ein KI-gesteuerter MRT-Scan nur wenige Minuten dauern – ohne dass Radiologen oder Techniker nötig wären. All diese Anwendungsfelder seien in Planung. Große Umsetzungshürden sieht Laparidou nicht. Das Prinzip sei letztlich immer das gleiche.