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Thorsten Jochim ©
Schätzen den ganzheitlichen Ansatz der Führungsrollen – Nikolaj Stuckmann und Daniela Janković von SprintEins

Bei der SprintEins GmbH können die Mitarbeitenden ihre Führungskraft selbst wählen. Das definiert Führung von Grund auf neu, funktioniert und bringt allen Seiten Vorteile.

Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 01–02/2024

Das IHK-Magazin möchte ein Interview mit uns machen.“ – „Okay, gib du es doch!“ Nikolaj Stuckmann, IT-Experte bei der SprintEins GmbH, einem Unternehmen für Softwareentwicklung, hatte die IHK-Anfrage an die Geschäftsführer Andre Bilsing, Dennis Meyer und Florian Röder weitergegeben. Und die haben ihm das Interview gern überlassen. Die 3 haben volles Vertrauen zu ihren Beschäftigten und ermuntern sie daher oft zu Aufgaben, die in vielen anderen Unternehmen typischerweise Chefsache sind.

So wenig wie es bei SprintEins typische Chefsachen gibt, so wenig gibt es typische Chefs und Chefinnen. Und genau darum ging es dann auch im IHK-Gespräch, das Stuckmann schließlich gemeinsam mit Daniela Janković gab. Wie hat SprintEins Führung neu erfunden?

Agilität erfordert persönlichere Führung

„Wir arbeiten agil. Das heißt, wir stellen Strukturen und Prozesse immer wieder infrage, um uns zu verbessern“, beginnt Janković. Seit 7 Jahren ist sie bei SprintEins beschäftigt und inzwischen eine dieser „untypischen“ Führungskräfte. Sie holt ein wenig aus: Bereits 2016 führte SprintEins die Führungsrolle des People Success Lead, kurz PSL, ein.

Jeder bestimmt seine Führungskraft selbst

In der agilen, flexiblen Arbeitswelt des Unternehmens sollte diese Rolle Führung individueller und persönlicher machen. Dabei wurden Mitarbeiter und People Success Leads einander zugeteilt. Vor 3 Jahren schauten sich die Geschäftsleitung und die Mitarbeitenden die Führungsstrukturen dann erneut an. „Wir kamen zu dem Schluss, dass die Führungskräfte ab jetzt in Schritt 2 selbst gewählt werden sollen. Das war für uns die logische Optimierung unserer Führungsphilosophie.“

Mentor, Coach, Berater

Klassische Personaler würden beim PSL nüchtern vom disziplinarischen Vorgesetzten sprechen. Hier ist er viel mehr: Der PSL ist der erste Ansprechpartner in allen Fragen. Er ist mehr noch Mentor, Coach und persönlicher Berater.

Läuft auf der fachlichen oder kollegialen Ebene etwas nicht rund, ändert sich etwas im Privatleben, das berufliche Folgen nach sich zieht, ist eine Weiterbildung oder ein Teamwechsel gewünscht, soll das Gehalt nachjustiert werden – jeder Mitarbeiter, bei SprintEins wertschätzend „Experte“ genannt, geht immer zuerst zu seinem PSL. Gemeinsam finden sie dann eine Lösung. Jeweils einmal im Jahr können die Mitarbeiter den persönlichen PSL neu wählen oder bei dem bestehenden bleiben. Wenn nötig, kann auch zwischendurch gewechselt werden.

Berücksichtigung der privaten Situation

„Damit dieses Führungskonzept aufgeht, müssen wir PSLs vor allem mehr kommunizieren, uns Zeit nehmen, ansprechbar sein – auch mal nach Dienstschluss“, sagt Janković. „Wir sind sehr nah am jeweiligen Menschen. Wir agieren auf Augenhöhe, hören zu, sind behutsam, empathisch und wertschätzend im Umgang. Wir gehen auf die Bedürfnisse und Interessen ein, berücksichtigen die private Situation, entwickeln unsere Mitarbeitenden. Wir schlagen ihnen auch vor, in andere Projekte oder Rollen zu wechseln, wenn wir Potenzial sehen.“

Sie ergänzt: „Das schließt, wenn nötig, Abmahnungen oder Kündigungen nicht aus. Aber auch dann holen wir die Mitarbeitenden anders, konstruktiver ab.“ Und wenn jemand den PSL wechseln will? „Das ist kein Problem, es wurde ja entsprechend kommuniziert“, so Janković. „Der alte PSL nimmt das auf keinen Fall persönlich.“

Auf Kulturschock folgte Begeisterung

Nikolaj Stuckmann hat zuvor in einem traditionell hierarchischen Unternehmen gearbeitet. Als er vor 2 Jahren zu SprintEins kam, erlebte er dieses System zunächst als Kulturschock. Doch schnell war er begeistert: „Ich habe mir meinen PSL danach ausgesucht, ob die Chemie stimmt, dass wir einen persönlichen, aber auch einen fachlichen Draht zueinander haben.“ Er freut sich: „Ich kann mit meinem PSL über alles offen reden, er begleitet, stützt, fördert mich. Ich kann ihm vertrauen, weiß, dass er mich versteht. Das gibt mir mehr Freiheit, Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.“

Mensch, nicht Funktionsträger

Was ihm besonders wichtig ist: „Als Mitarbeitender bin ich auf diese Weise nicht nur funktional. Ich werde nicht nur nach meinen Leistungen bewertet, sondern ganzheitlich gesehen.“ Sein PSL Sergio Alvarenga sitzt in Bonn, Stuckmann in München. Das PSL-Konzept funktioniert auch standortübergreifend. „Wir arbeiten remote, es ist egal, wo wer ist“, sagt Stuckmann.

Unterm Strich entsteht die klassische Win-win-Situation. Beschäftigte, die sich wohlfühlen, sind motivierter und produktiver. Davon profitiert wiederum das Unternehmen – nicht zuletzt bei der Fachkräftesicherung: SprintEins erhält auf Bewertungsplattformen für Arbeitgeber wie kununu gute Noten. „Wir haben zudem eine niedrige Fluktuation“, sagt Janković.

Drei Führungsrollen, die sich ergänzen

Ergänzend zum PSL, haben die Beschäftigten noch zwei weitere, nicht gewählte Führungskräfte: den Domain Lead (DL), der innerhalb eines Fachbereichs Wissen, Methoden und Technologien verantwortet, und den Customer Success Lead (CSL), der als Projektleiter dient. Wobei ein PSL auch zugleich ein DL und/oder CSL sein kann.

„Die drei Rollen tauschen sich viel miteinander aus, arbeiten konstruktiv zusammen“, erklärt Stuckmann. „Zum Beispiel holt der PSL die Einschätzung der anderen beiden ein, wenn es um Gehalt, Weiterbildung oder disziplinarische Fragen geht.“

Selbst Führungskraft werden? Aber bitte!

Aktuell sind bei dem 2013 gegründeten Unternehmen von den 150 Beschäftigten insgesamt 14 PSLs, 12 DLs und 10 CSLs. Sie betreuen unterschiedlich viele Menschen, manche 5, andere 20. Dabei kann grundsätzlich jeder Führungskraft werden. Es gibt regelmäßige Abfragen, wer sich verändern will. Hat ein Mitarbeiter Interesse, eine Führungsrolle zu übernehmen, spricht er zunächst mit seinem PSL darüber. Dann folgt eine Aspirantenphase, in der der Wunsch des Mitarbeiters und seine Eignung geprüft werden.

Anschließend startet der individuelle Entwicklungsprozess: Der Mitarbeiter begleitet andere Führungskräfte, beobachtet, lernt, erhält Mentorings und besucht betriebsinterne Schulungen. „Wir wachsen weiterhin, die Zahl der Führungspositionen ist aktuell nicht beschränkt“, erklärt Janković. „Aber durch die sehr persönliche Führung werden wir auch eine Lösung finden, wenn wir eines Tages vielleicht nicht alle Wünsche berücksichtigen können.“

Supervision für die Führungskräfte

Damit sich auch die Führungskräfte wohlfühlen, treffen sie sich regelmäßig zum Austausch. Einmal im Monat gibt es einen Stammtisch. Jedes Vierteljahr reisen sie in ein Firmendomizil an den Bodensee und arbeiten dort 3 Tage lang an Führungsthemen, diskutieren ihr Rollenverständnis, entwickeln es weiter. Janković: „Das ist wie eine Art Supervision.“

Hierarchien bleiben flach

Die PSL-Struktur trägt nicht zuletzt dazu bei, die Organisation bei SprintEins insgesamt schlank zu halten. Es gibt die oberste Ebene, die Geschäftsleitung, die sich aus den verschiedenen Ressorts zusammensetzt, etwa die Bereiche Personal, Vertrieb und Finanzen. Die zweite Ebene bilden dann schon die 3 Führungsrollen PSL, CSL und DL.

„Nichts ist in Stein gemeißelt“

Gemeinsam entwickeln beide Ebenen die Firmenstrategie. Eine Zeit lang gab es noch dezidierte Standortleiter in Stuttgart, Bonn, München, Bodman und Kopenhagen – die werden wegen mehr Remote-Arbeit nicht mehr benötigt. „Nichts ist in Stein gemeißelt, anpassen bei Bedarf geht“, sagt Janković.

Gelingensbedingung: mehr kommunizieren

Ob das Modell übertragbar ist? Janković und Stuckmann sind sich einig: „Wenn es bei einem mittelgroßen Unternehmen wie uns funktioniert, warum nicht auch woanders? Es müssen sich nur beide Seiten ehrlich darauf einlassen – und mehr kommunizieren.“    

IHK-Infos: Viele Tipps und Checklisten gibt es auf der IHK-Website rund um New Work.

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