Ungewöhnliche Wege gehen
Mit Mut und Geschick stellen drei Geschwister die Unternehmensgruppe Linner komplett neu auf, um den Betrieb zukunftsfähig zu gestalten. Dabei zeigen sie, wie sich die Kultur eines Unternehmens grundlegend wandeln lässt.
HARRIET AUSTEN, Ausgabe 07-08/2022
Drei Geschwister, die gemeinsam ein Unternehmen führen und gerade ziemlich umkrempeln und zudem noch zusammen mit Eltern, Kind und Kegel auf einem großen Pferdegestüt in Wolnzach leben – das hat Seltenheitswert.
»Wir verstanden uns schon immer als Team«, sagt Katharina Linner (40), die mit ihren beiden Brüdern Ludwig und Lorenz die Linner GmbH leitet. Das ist wohl eine unabdingbare Voraussetzung für das, was das Trio seit Eintritt in den Familienbetrieb leistet: Krisen durchstehen, Portfolio, Produkte, Abläufe, Maschinen, Technik und Kunden komplett auf den Prüfstand stellen, eine Fusion bewältigen und einen ehrgeizigen Kulturwandel durchziehen.
Stringente Changeprozesse
»Das war und ist immer noch eine riesige Herausforderung«, gibt Ludwig Linner (42) zu. Allerdings waren diese stringenten Changeprozesse für die Geschwister die Voraussetzung dafür, in der väterlichen, autoritär geprägten und doch etwas renovierungsbedürftigen Firma zu bleiben und sie weiterzuentwickeln.
»Realistische Chancen auf starkes Zukunftswachstum«
Ihre Investitionen in Mitarbeiter und Maschinenpark haben sich gelohnt. Der mittelständische Betrieb für Präzisionswerkzeug, Zerspanung, Elektronik und Antriebstechnik ist inzwischen so aufgestellt, »dass wir realistische Chancen auf ein starkes Zukunftswachstum haben«, bestätigt Lorenz Linner (38).
Alle drei waren noch mitten im Studium, als Vater Gerhard Linner in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ihre Unterstützung benötigte. Die Firma, die er 1978 als Werkzeugfabrik gegründet und um ein zweites Standbein, die Linner Elektronik GmbH, erweitert hatte, war ins Trudeln geraten; er selbst musste aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden.
»Sprung ins kalte Wasser«
Als Sprung ins kalte Wasser bezeichnet Katharina Linner den ungeplanten Einstieg in den Familienbetrieb. Jedes der drei Geschwister übernahm einen Bereich und sammelte Praxiserfahrung. Gleichzeitig überlegten sie gemeinsam mit einem Coach genau, was diese Verantwortung für sie bedeutet und was sich ändern muss, »damit es unser Laden wird«, wie es Lorenz Linner formuliert.
Als die drei sich später dazu bereit erklärten, tatsächlich die Geschäftsführung zu übernehmen, stand für sie fest: »Wir wollten andere Werte vertreten, frischen Wind und neue Impulse in die Firma leiten«, sagt Katharina Linner, die die Neuausrichtung der Firmenphilosophie verantwortet. Ihr Ziel ist es, eine neue Arbeitswelt zu etablieren, mit einem kooperativen Führungsstil, transparenten Gehältern und einem Angebot an die Mitarbeiter: Sie sollten mitreden können, mehr Verantwortung übernehmen und ihre Potenziale entwickeln.
700-Punkte-Agenda
»Ein ungewöhnlicher Weg in einem ländlichen, traditionellen und produzierenden Betrieb, der anfangs viele überfordert hat«, gibt die Betriebswirtin zu. Als das Eis gebrochen war, bekam sie derart viel Feedback, dass daraus eine 700-Punkte-Agenda wurde – »Themen, die wir nicht vom Tisch wischen konnten und denen wir uns in allen Bereichen stellen«.
Inzwischen hat sich viel getan. Workshops führen Mitarbeiter und Führungskräfte an den Kulturwandel heran, mehr Eigeninitiative entsteht, eine neue Teamleiterebene sorgt für mehr Nähe zur Mannschaft und die Führungskräfte bestimmen ihr Gehalt nach drei Kriterien selbst.
Kulturwandel als Alleinstellungsmerkmal
Die gewagten, aber durchaus erfolgreichen Schritte bescherten der Firma ein neues Alleinstellungsmerkmal. Bei ihren Kunden ist der Kulturwandel zum Thema geworden, »wir werden zu Vorträgen eingeladen und bekommen Bewerbungen, mit denen wir nicht gerechnet haben«, freut sich Katharina Linner über »ihre Ernte«.
»Was lohnt sich zu behalten und was nicht?«
Parallel zur neuen Unternehmenskultur setzten die Brüder bei Fertigung und Produkten an – nach dem Motto »was lohnt sich zu behalten und was nicht?«, so Lorenz Linner. Sie ersetzten veraltete Maschinen, modernisierten Prozesse und Abläufe, lösten Beziehungen zu Kunden, bei denen keine Win-win-Situation mehr möglich war, und beendeten die Komponentenfertigung.
Neue Welt durch neuen Partner
Ihre operative Position verbesserten sie vor allem, indem sie mit dem langjährigen, vertriebsstarken Partner WMH Herion Antriebstechnik GmbH, ebenfalls aus Wolnzach, fusionierten. »Ein Riesenwurf, mit dem wir zwei verschiedene Welten zusammenbringen«, erklärt Maschinenbauingenieur Ludwig Linner. Die mechanischen Antriebskomponenten von WMH Herion, einem weltweit führenden Hersteller von Zahnrädern und Zahnstangen, plus das Produktportfolio der bisherigen Linner-Gruppe »erlauben uns, nicht mehr nur Einzelteile zu liefern, sondern kundenindividuelle Verbund-Schwerlastsysteme und dadurch stärker zu wachsen«, ergänzt Lorenz Linner.
»Wir kennen keine Firma, die so aufgestellt ist«
Das Unternehmen profitiere hier von einem neuen Alleinstellungsmerkmal, denn »wir kennen keine Firma, die so aufgestellt ist«, sagt der Wirtschaftsingenieur.
Da der Fusionsvertrag jedoch ausgerechnet 2020 kurz vor dem ersten Lockdown unterzeichnet wurde, mussten die drei Geschäftsführer nicht nur ein drittes Unternehmen durch die Krise ziehen, sondern auch einen massiven Umsatzeinbruch, Kurzarbeit und Entlassungen bewältigen. »Das hat uns enorm zusammengeschweißt«, versichert Katharina Linner.
Herausforderung Corona
Sie und ihre Brüder nutzten die Herausforderung, um neue Vertriebskanäle zu eröffnen, näher am Markt zu operieren, Prozesse zu digitalisieren, Lieferketten umzubauen.
»Unsere strategische Ausrichtung sieht jetzt ganz anders aus als vor Corona«, ergänzt die Unternehmerin, die künftig eine leitende Rolle in der Geschäftsführung wahrnimmt. Ludwig Linner ist verstärkt für Vertrieb, Marketing und Projekte zuständig und sein Bruder Lorenz baut den neuen, outgesourcten Geschäftsbereich Family Office auf, der sich um strategische Inhalte, Finanzen und Immobilien kümmert.
»Auf uns kommen wacklige Zeiten zu«
»Auf uns kommen wacklige Zeiten zu. Die Marktgegebenheiten verändern sich immer schneller. Deshalb müssen wir anpassungsfähig bleiben«, begründet Katharina Linner die Umstrukturierungen der letzten Jahre. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und seiner wirtschaftlichen Folgen zeigt sich, wie richtig sie mit dieser Einschätzung liegt.