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Kompetenzen verbriefen

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"Vorher hatte ich manchmal überlegt zu kündigen, weil mir der Verdienst zu gering war." Emanuela Allegra, Augustinum Seniorenresidenz

Das Projekt ValiKom geht in eine neue Runde. Es bewertet und zertifiziert berufliche Kompetenzen von Menschen, die keinen formalen Berufsabschluss haben. Davon profitieren die Arbeitnehmer ebenso wie die Arbeitgeber.

Sabine Hölper, Ausgabe 12/2021

Die Augustinum Seniorenresidenz Neufriedenheim beschäftigt 90 Mitarbeitende in ihren Restaurants. Eine davon ist Emanuela Allegra. Sie ist seit viereinhalb Jahren im Stift im Münchner Westen tätig und hat in diesem Sommer einen riesigen Motivationsschub erhalten. Der Grund: Die 44-Jährige hat erfolgreich am Projekt ValiKom teilgenommen. Im Juni wurde das Verfahren zur Validierung von beruflichen Kenntnissen abgeschlossen. »Vorher hatte ich manchmal überlegt zu kündigen, weil mir der Verdienst zu gering war«, sagt Allegra. Nun hat sie 200 Euro mehr in der Tasche und ist motivierter denn je.

Das Projekt ValiKom wurde 2015 ins Leben gerufen. Das Bundesbildungsministerium (BMBF), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie der Deutsche Handwerkskammertag (DHKT) hatten sich damals zusammengeschlossen, um eine Lücke im System zu schließen: Menschen ohne formale Berufsqualifikation sollte der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu qualifizierteren Tätigkeiten ermöglicht beziehungsweise erleichtert werden.

Auch die Unternehmen profitieren. Mithilfe des Verfahrens können sie Beschäftigte an die Firma binden, sie zur Weiterbildung motivieren und Wertschätzung ausdrücken. Zudem kann ValiKom für die Personalentwicklung eingesetzt werden und so die im Betrieb vorhandenen Kompetenzen sichtbar machen.

Verlängerung des Projekts um 3 Jahre

Wegen des großen Erfolgs ist ValiKom im November 2021 nun bereits zum zweiten Mal verlängert worden und läuft weitere drei Jahre. Der Bedarf ist nach wie vor beträchtlich und die Zielsetzung bleibt: ein dauerhaftes Angebot zur Kompetenzfeststellung zu etablieren. Etliche Arbeitnehmer haben keinen Berufsabschluss oder sind in fachfremden Gebieten tätig. Sie stecken somit fest:

Ein Weiterkommen auf dem Karriereweg ist für sie meist schwieriger als für ihre Kollegen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Außerdem ist das Gehalt in der Regel niedriger. Da können das informell angeeignete Wissen und die Arbeitsleistung noch so groß sein.

Dokumentation der berufsrelevanten Kompetenzen

Genau hier setzt ValiKom an: Die vorhandenen Kenntnisse der Teilnehmenden werden anhand allgemeingültiger Verfahrensstandards und Gütekriterien bewertet und zertifiziert. Sind die Kenntnisse in allen berufsrelevanten Themengebieten ausreichend hoch, wird die »volle Gleichwertigkeit« bescheinigt. »Das heißt: Die Kompetenzen des Teilnehmenden und die einer Person mit abgeschlossener Berufsausbildung gelten als gleichwertig«, sagt Veronika Horneber, Fachreferentin Projekt ValiKom bei der IHK für München und Oberbayern.

Das Zertifikat dokumentiert also, inwieweit die individuell erworbenen Kompetenzen mit den Qualifikationen eines anerkannten Ausbildungsabschlusses übereinstimmen. Betriebe können so erkennen, über welche berufsrelevanten Kompetenzen die Person verfügt. Manche Teilnehmende motiviert das Zertifikat sogar zu mehr: Sie wollen die reguläre Abschlussprüfung ablegen.

Motivation für den Arbeitnehmer

So weit gehen die Pläne von Restaurantmitarbeiterin Allegra derzeit nicht. Die in Italien geborene und in München aufgewachsene Frau ist erst einmal glücklich mit dem Erreichten. Endlich sind ihre langjährigen Erfahrungen in der Gastronomie verbrieft. Ihre Mutter ist Gastronomin, die Großeltern waren es ebenfalls. Mit ihrem Mann zusammen war sie zehn Jahre lang Inhaberin eines Restaurants im italienischen Rimini. »Ich habe die Gastronomie im Blut«, sagt Allegra. Doch das nutzte ihr bislang wenig, weil ihr ein formaler Abschluss fehlte.

Natürlich hätte sie auch ohne Zertifikat bis zur Rente weiter als Servicekraft arbeiten können, denn mit ihren Kenntnissen ist sie gefragt. Aber auf Dauer ist es unbefriedigend, wenn der Gehaltszettel jeden Monat zeigt, dass man als Ungelernte schlechter dasteht. Daher wurde Allegra sofort aufmerksam, als sie im Internet auf ValiKom stieß. Sie informierte sich bei der IHK für München und Oberbayern und bereits kurz darauf fing sie an, sich weiterzubilden und zum Beispiel Fachbegriffe zu lernen. Ein halbes Jahr später absolvierte sie die Bewertung »mit Bravour«.

Alternative zu monatelangen, externen Kursen

Davon profitiert auch ihr Arbeitgeber. Die Seniorenresidenz legt Wert darauf, dass die Mitarbeitenden zufrieden sind und möglichst lange bleiben. »Das ist Wertschätzung«, sagt Andreas Endl (45), Serviceleiter in der Gastronomie. Außerdem seien loyale Beschäftigte die beste Möglichkeit zur Fachkräftesicherung. Endl hatte seine Mitarbeiterin Allegra daher immer wieder motiviert, eine formale Prüfung abzulegen. Die Mutter von vier Kindern konnte sich aber nicht vorstellen, monatelang externe Kurse zu besuchen. Das hätte sie zeitlich nicht geschafft.

Das ValiKom-Verfahren ermöglicht den Teilnehmenden, im Betrieb weiterzuarbeiten und sich dort fortzubilden. Endl: »Meine Mitarbeiterin konnte jederzeit mit Fragen auf mich zukommen, ich habe sie unterstützt, ihr praktische Dinge beigebracht, Bücher empfohlen«, sagt er.

Heimstudium hielt sich in Grenzen

Dennoch, so ganz nebenher und quasi von selbst geht das Aneignen von wichtigem Stoff nicht. Allegra zum Beispiel konnte im Seniorenstift schwerlich üben, Cocktails zu mixen. Ein wenig Heimstudium an freien Tagen war folglich notwendig. Doch das hielt sich in Grenzen. »Bei den meisten sind die Kompetenzen ja in der Regel vorhanden«, sagt Horneber. Mit ValiKom werden sie dokumentiert.

Die Mitarbeitenden des Augustinums sind jedenfalls begeistert. Im Restaurantbereich arbeiten noch einige weitere Kräfte ohne formale Ausbildung. Endl und Allegra werben nun in der Belegschaft für dieses Zertifikat mit Mehrwert.

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